Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Heilige Johanna der Schlachthöfe

Im Ber­li­ner Ensem­ble, das mehr durch Per­so­nal­que­re­len als mit Stücken in letz­ter Zeit Auf­merk­sam­keit erreicht, sie­he z. B. Nachtkritik.de (Nacht ja, Kri­tik nun ja), gibt es gera­de »Die hei­li­ge Johan­na der Schlacht­hö­fe« von Ber­tolt Brecht. Ja, das Stück ist von Brecht, das merkt man auch, aber es ist auch noch etwas ande­res, das, was man aus ihm macht. Statt Klas­sen­kampf ist auch hier Woke­ness oder wie immer man die­se Art der Ablen­kung nen­nen möchte.

Mau­ler, der Groß­ka­pi­ta­list, wird von einer Frau gespielt – von Ste­fa­nie Rein­sper­ger, die ger­ne vor allem sich selbst spielt, was nicht zu über­se­hen, geschwei­ge denn zu über­hö­ren ist. Ob sie Mau­ler spielt oder sich selbst, ist eine Fra­ge, auch wie sie spielt, ob das der Geschich­te nutzt oder von ihr ablenkt?! Johan­na wie­der­um wird wie ein über­ra­schend lau­tes Mäus­chen gespielt von Kath­le­en Mor­ge­ney­er, ein Mann darf auch mit­spie­len, der Rest wird von Frau­en gespielt, die zumin­dest auf der Büh­ne zei­gen, dass sie auch nicht nur Engel sind. (Aber ist das noch interessant?)

Das Stück ist etwas in die Jah­re gekom­men, obwohl die Aus­wir­kun­gen des Kon­kur­renz­kamp­fes und der kapi­ta­li­sti­schen Wirt­schafts­kri­se aktu­ell sind, man hät­te als Schlag­zei­len auch geplan­te Mas­sen­ent­las­sun­gen im Maschi­nen­bau, der Auto­in­du­strie usw. an die Wand pro­ji­zie­ren können.

Die Büh­ne ist leer, die Wän­de eig­nen sich als Pro­jek­ti­ons­flä­che und für bezie­hungs­rei­che Schat­ten­spie­le, nicht schlecht.

In der Pau­se irrt eine ein­sa­me »Linken«-Spitzenpolitikerin durch die Gän­ge, macht einen unglück­li­chen Ein­druck, viel­leicht weil es mit deren Frie­dens­po­li­tik nicht mehr weit her ist? »Die LINKEN ver­schie­de­ner Bun­des­län­der haben im Bun­des­rat dem Beschluss des Schul­den- und Kriegs­pa­kets zuge­stimmt« (sie­he Nach­denk­sei­ten vom 21.3.). Viel­leicht wur­de sie ja wie Herr Aiwan­ger in Bay­ern sanft gedrückt, ent­we­der du stimmst zu oder du fliegst aus der Regie­rung? Und wer ris­kiert schon die­se schö­nen Pöst­chen?! (Zum Marsch durch die Insti­tu­tio­nen: »Dazu müs­sen sie aber zunächst die Insti­tu­tio­nen akzep­tie­ren, sich ihnen unter­wer­fen. So ver­än­dert sich aber, auch wenn sie es nicht wol­len, ihre poli­ti­sche Qua­li­tät.« J. Agno­li) Was bleibt ist Theaterdonner.

Das Stück ist mei­nes Erach­tens nicht ganz gelun­gen, die Spe­ku­la­tio­nen am Fleisch­markt etwas zu kom­pli­ziert für ein Thea­ter­stück, die Aus­wir­kun­gen der kapi­ta­li­sti­schen Kri­sen sind auch so dar­stell­bar. Die Ursa­chen wer­den im Stück und auf den Bret­ter­büh­nen benannt, was aber so vor­bei­rauscht; das Publi­kum ist zum Mit­sin­gen so schwer zu bewe­gen wie viel­leicht zum Mit­den­ken? Dass im Stück Kom­mu­ni­sten auf­tau­chen, regt nun kei­nen mehr auf, Hoff­nungs­trä­ger gibt es heu­te kei­ne mehr, oder weni­ge, oder sie haben wie­der Berufsverbote.

Die Kapi­ta­li­stin, die, wie ger­ne bei Brecht, ihre zwei Sei­ten hat, das hat sich nun ganz erle­digt. Die­se sehen wir nicht mehr, nir­gends. Wel­che zwei Sei­ten soll­ten auch ein Würth, Gates, Musk usw. usf. haben? Wel­che zwei Sei­ten ein Merz, der die Rol­le des Mau­lers, dank ent­spre­chen­der Erfah­rung, bes­ser hät­te spie­len kön­nen. Oder ist das Kunst und Kul­tur, was frü­her die Schwarz­hü­te waren?

Wir sind mit dem BE nicht zufrie­den, aber da die Spar­peit­sche das Ber­li­ner Kul­tur­le­ben hart zu züch­ti­gen droht, obwohl es doch kei­nes­wegs über die Strän­ge schlug … Wer will uns da die Zeit spie­geln, sie in Wor­te fas­sen, die kein Kul­tur­be­auf­trag­ter und kei­ne FAZ hören will?

In der Pau­se haben wir es vor­ge­zo­gen, eine sol­che zu machen, dass die­se nun auch noch mit Pro­gramm gefüllt wer­den muss, zeigt nur, dass es im BE auch kei­nen Raum mehr geben soll, wo man in der Unter­hal­tung über das Stück zu einem kri­ti­schen Gedan­ken kom­men könn­te. Solan­ge die­se gezähmt und ein­ge­hegt auf der Büh­ne para­die­ren, ist doch alles in Ord­nung. Ja wir möch­ten Pause!

Übri­gens scheint es mir mit dem Geschäft mit dem schlech­ten Gewis­sen so eine Sache. Das schaf­fen die Kir­chen immer schlech­ter. Kunst und Kul­tur, das heißt z. B. das Muse­en-, Gale­rie­un­we­sen und den Bil­der­markt hat es in unge­ahnt Höhen (Spe­ku­la­ti­on) getrie­ben, aber dass die­se nicht mehr system­re­le­vant sind, hat sich schmerz­lich erwie­sen. System­re­le­vant sind die Gefäng­nis­se, Rich­ter, die die­se ger­ne fül­len, die Pan­zer und Kano­nen, die immer auch nach hin­ten (und im Inne­ren) ein­ge­setzt wer­den kön­nen, Poli­zei und die ali­men­tier­te Zivil­ge­sell­schaft (NGO), die ihre Unschuld ver­kauft hat.

Stoff für Stücke gibt es genug, wir war­ten. Wir dan­ken für die nöti­ge Erklä­rung von Herrn Joseph Vogl im gra­tis ver­teil­ten Programmheft.