Alle eiern nur rum. Niemand kennt oder sagt die »ganze Wahrheit«, wie immer sie aussehen mag. Wie steht es um unsere Rente? So genannte Experten, Politiker und, ja, auch Journalisten ergehen sich entweder in Untergangsszenarien (»das System der Altersvorsorge fährt aufgrund der demografischen Entwicklung gegen die Wand«) oder in Durchhalteparolen (»die Rente ist sicher«, mindestens für die nächsten fünf Jahre). Doch auch die Letzteren fordern eine radikale Reform der Alterssicherung – und das seit Jahrzehnten, es handelt sich um schlichte Mathematik: das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern. Überzeugende Vorschläge sind allerdings Mangelware.
Die angehenden Rentengenerationen üben sich derweil in Fatalismus – und wissen häufig gar nicht, worüber da eigentlich schwadroniert wird. Viele können sich vielleicht noch an die letzte »radikale Reform« erinnern – die Agenda 2010 des damaligen SPD-Kanzlers Schröder –, die eine zweite, »private«, staatlich geförderte »kapitalgedeckte« Säule der bis dahin rein »umlagegedeckten« Alterssicherung propagierte und einführte. Dies sei nötig, um das Rentenniveau, das bis Mitte der 1990er Jahre bei über 55 Prozent lag auf unter 50 Prozent drücken zu können, damit die Beitragssätze halbwegs stabil bleiben. Daran ist einiges richtig und vieles falsch.
Die Logik des Ganzen war – vorsichtig formuliert – recht eigenwillig: Man nimmt dem Bürger per Rentenformel etwas weg, um es ihm dann über die Förderung seiner privaten Vorsorge wiederzugeben. Nun ja. Funktioniert hat die »Reform« bekanntlich nicht. Die Sparquote der Deutschen blieb nämlich weitgehend konstant, d. h. die Sparer/Vorsorger haben ihr Geld lediglich umgeschichtet, in viel zu teure und ineffektive »Riester-Produkte«. Von einem Ausgleich der Absenkung des Rentenniveaus kann keine Rede sein. Den Schaden haben die jetzigen und zukünftigen Rentner.
Aber natürlich gab es auch Profiteure. Im Grunde war das Ganze ein gigantischer »Booster« für die Versicherungsbranche. Der schillernde Schröder-Freund Carsten Maschmeyer, für dessen Firma AWD die private Vorsorge in der Folge zu einem Umsatzschwerpunkt werden sollte, frohlockte damals ganz offen und nannte die Riester-Rente »eine Ölquelle«: »Sie ist angebohrt, sie ist riesig, und sie wird sprudeln.« Das tat sie dann auch für eine ganze Weile; inzwischen gilt die »Riester-Rente« als gescheitert.
Ganz nebenbei wurden dabei gleichzeitig die Arbeitgeber »entlastet« und praktisch von der paritätischen Finanzierung der Altersabsicherung freigestellt. An dem Ausgleich der Versorgungslücke müssen sie sich nicht beteiligen – wohl aber, über die staatliche Förderung, all jene Steuerzahler, die selber nicht »riestern«, von den Rentenkürzungen aber gleichwohl betroffen sind.
Und auch für die Architekten der Sparpläne, den ehemaligen Gewerkschafter Walter Riester, von Schröder zum Arbeits- und Sozialminister ernannt, sowie den allseits gut beleumdete Experten Bert Rürup – beide bis dahin kapitalistischer Umtriebe unverdächtig –, hat sich der politische Einsatz durchaus gelohnt. Bert Rürup gründete später mit Carsten Maschmeyer eine gemeinsame Beratungsfirma – Schwerpunkt: Gesundheits- und Altersvorsorge. Walter Riester blieb nach seinem Austritt aus dem Kabinett 2002 weiterhin Bundestagsabgeordneter, war neben dieser Tätigkeit gern gebuchter und gut bezahlter Referent bei verschiedenen Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche und wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag in den Aufsichtsrat von Union Investment berufen, dem damaligen Marktführer von Riester-geförderten Investmentsparplänen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Und die Rentner (die Rentnerinnen sind hier selbstverständlich mitgemeint)? Die wissen nicht recht, wie ihnen geschieht und was auf sie zukommt. Sie hören viele, sich zum Teil widersprechende Botschaften, allein, ihnen fehlt der Glaube. Und jeder Zweifel ist berechtigt. Nehmen wir hier nur mal das beliebteste Zahlenspiel, die Berechnung des Rentenniveaus, d. h. die vermeintlich objektiven Fakten, mit denen wir »aufgeklärt« werden. Dass das Rentenniveau runter (und bald auch das Renteneintrittsalter rauf) müsse, dagegen ist mathematisch schwer zu argumentieren, es scheint alternativlos. Politisch hingegen sieht die Sache ganz anders aus – und wir haben doch wohl Politiker gewählt, nicht Mathematiker, die das Land nach Statistiktafeln regieren.
Nun will ich gar nicht auf dem Bonmot rumreiten, wonach ich nur der Statistik traue, die ich selbst gefälscht habe. Nein, auch mit korrekten Zahlen lässt sich ein dichter Nebel erzeugen, etwa mit jenem »unbestechlichen« Rentenniveau. Der Wert beschreibt übrigens nicht, wovon viele immer noch auszugehen scheinen, wie hoch die Rente im Verhältnis zum letzten Bruttogehalt ausfallen wird, sondern bezieht sich allgemein auf das aktuelle Durchschnittseinkommen. Das liegt zurzeit (2024) bei knapp 40.000 Euro und ergibt beim derzeitigen Rentenniveau von 48 Prozent eine Standardrente von etwa 18.800 Euro im Jahr, also nicht einmal 1.600 Euro monatlich (Kranken- und Pflegeversicherung sind hier bereits abgezogen). Jede/r mag selbst errechnen, wie sie/er damit zurechtkäme.
Der Konjunktiv im letzten Satz ist bewusst gewählt. Denn tatsächlich ist die durchschnittliche Rente in Deutschland, laut Rentenversicherungsbericht 2024, deutlich geringer, sie lag 2023 bei 1.099 Euro (Männer 1.346 Euro, Frauen 903 Euro). Was hat es also mit dem »gesetzlich« fixierten Rentenniveau von 48 Prozent auf sich? Es handelt sich um reine Statistik, die mit der Wirklichkeit recht wenig zu tun hat. Zur Orientierung in der Praxis taugen die Daten kaum.
Die Prozentangaben der Fachleute und Gesetzgeber beziehen sich auf einen sogenannten Eckrentner. Ein »Eckrentner« ist jemand, der 45 Jahre ein durchschnittliches Arbeitseinkommen erzielt hat. Fragen Sie, liebe Leserin, verehrter Leser, einmal in Ihrem Bekanntenkreis herum, ob es jemanden gibt, der da auch nur annähernd heranreicht. Sie werden feststellen, dass der »Eckrentner« wie ein ganz, ganz scheues Reh ist. Er lässt sich nur sehr selten blicken und gehört zudem einer aussterbenden Spezies an. In der Praxis erreichen nur sehr wenige Arbeitnehmer 45 Beitragsjahre – und noch viel weniger mit einem durchgehend »durchschnittlichen Einkommen«. Die durchschnittliche Lebensarbeitszeit aller Rentenversicherten liegt knapp zehn Jahre darunter, mit weiter abnehmender Tendenz. Die moderne Arbeitswelt, inklusive Arbeitslosigkeit, Jobwechsel, Erziehungs- oder Pflegezeiten und einem enormen Anstieg aller Arten von prekärer Beschäftigung, lässt das tatsächliche Rentenniveau in Wahrheit immer weiter in den Keller sinken.
Das ist die Realität, die bei all der Fakten-, Daten- und Statistik-Hudelei von Experten und Politikern zumeist eben vernebelt, statt ausgeleuchtet wird. Da werden dann lieber Generationen gegeneinander ausgespielt – die Alten leben auf Kosten der Jungen –, um vermeintliche Sparzwänge zu rechtfertigen. Dass die Abermilliarden, die stattdessen in den Rüstungshaushalt fließen, der Generationengerechtigkeit dienen, könnte wohl nur als zynischer Witz gemeint sein. Um die »Kanonen«, die davon gekauft werden, zu bedienen, braucht es ganz viele junge (möglichst »wehrpflichtige«) Leute als »Futter«.
Und noch etwas sei angemerkt: Andere Berufsgruppen (Beamte, Selbstständige) in die allgemeine Rentenversicherung einzugliedern, ist eine absolut berechtigte Forderung. Natürlich änderte das nichts an der demografischen Entwicklung, und es würde auch die Finanzierungsprobleme nicht kurzfristig lösen. Es ist vielmehr eine Gerechtigkeitsfrage und wäre vielleicht nicht mathematisch, ist aber eben politisch gefordert. Die Kosten für die Beamtenpensionen beispielsweise, die im Übrigen sehr viel üppiger ausfallen als die gesetzlichen Renten, sind schon heute ein erheblicher – und weiter steigender – Posten in den Landeshaushalten; die Ausgaben beliefen sich im Jahr 2023 auf knapp 90 Milliarden Euro. Finanziert werden diese Staats-Ausgaben durch Steuern, also zum großen Teil von gesetzlich versicherten Arbeitnehmern und Rentnern, die mithin nicht nur für das eigene Alter vorsorgen, sondern auch für den Ruhestand der Beamten. Faktisch ist also der Altersvorsorge-Beitrag um einiges höher als der von der Rentenversicherungsanstalt eingeforderte Beitragssatz.
Anstatt aber über all dies einmal »politisch«, im Zusammenhang zu diskutieren, wird, nicht selten interessengeleitet und Lobby-gelenkt, »unpolitisch« differenziert und, wie eingangs erwähnt, mit Zahlen »rumgeeiert«, die irgendwie korrekt sein mögen, die aber von unserer Lebenswirklichkeit allzu weit entfernt sind. Und wir? Wir stochern weiter im Nebel.