Der Laden heißt »Le Bretagne«, und wer aus Aachen nach Berlin kommt, also von da, wo ein »Pain de Paris« von jedem Bäcker so gebacken wird wie in Paris, hierher, wo alles Essbare zuerst ein Gerücht gewesen sein und sich dann als seltener Fall einer Tatsache herausgestellt haben muss, will in diesem Laden plötzlich ein Croissant, auch wenn er gar keinen Hunger darauf verspürt.
Als ich eben »Ein Croissant bitte« gesagt habe und mir die passende Kaffeeausführung dazu einfallen lassen will, steht eine ältere Dame »neben mir« im Sinne von vor mir, vor dem Betreiber des »Le Bretagne«, erkundigt sich nach Baguette, das sicher noch nicht fertig sei, erfährt, dass es fertig sei, will es und wird so geschmeidig bedient, als hätte es mich und das Intermezzo meines Bestellfragments nie gegeben. Ich warte, bis das Geschäft abgeschlossen ist, Ware und Geld ausgetauscht sind und sage, nachdem der Platz zwischen mir und dem Betreiber wieder frei und die Dame zur Tür unterwegs ist: »So schnell kann es gehen, dass man nicht mehr dran ist, wenn man eben noch dachte, man sei dran.«
»Aach«, seufzt die Dame in der Tür, »hab ich mich vorgedrängelt? Das tut mir aber leid.« Woraufhin ich den Fehler des Tages oder, bei meinem Mundwerk, eher einen Fehler aus der heutigen Tagesserie mache und sage: »Bleiben Sie genau so, wie Sie sind, damit kommen Sie überall hin.« Sie meint, sie sei eigentlich nicht so, ihre Art sei eine ganz andere. Und der Betreiber herrscht mich an, ich solle gefälligst meine Bestellung machen und nicht so ein Theater, die Dame habe sich entschuldigt, also was ich mir einbilden würde (das Folgende schon außer Hörweite der Dame:), wie ein Gentleman solle ich handeln, immer lächeln, mir zu nichts irgendwas denken, derlei Frechheiten seien in Berlin an der Tagesordnung, wohin man denn komme, wenn man auf jede davon reagieren wolle.
Ich nehme den Rat an und ignoriere die Frechheit des Betreibers, will ihn, den ich als Lokalweisen in jeder Bedeutung des Wortes ausmache, nur noch etwas fragen: »Ich habe die Bemerkung gemacht, um mich selbst zu überwachen«, leite ich meine Frage ein. »In meinem Alter misstraut man allem, was zu erleben man sich einbildet. Ich wollte wissen, ob es real war, dass ich mitten in meiner Bestellung zu einem in meinem Fall zwei Meter großen Stück Luft wurde, das den Austausch von Worten und Waren nur noch wie einen Hauch mitten durch sich hindurch erlebte. Was denken Sie, müssen ältere Menschen sich so was nicht fragen, wenn sie nicht jede Kontrolle über ihre Wahrnehmung und ihren Glauben an das Reale verlieren wollen?«
Hier die Antwort des »Le Bretagne«-Betreibers:
»Ach was. Nichts müssen Sie kontrollieren. Lächeln müssen Sie zu allem. Nichts verpassen Sie da, wenn Sie nicht wissen, was Sie gerade erlebt haben. Das sich zu fragen, lohnt sich nicht, niemals. Im Gegenteil werden Sie froh sein das alles endlich hinter sich zu lassen. Lächeln Sie, schweigen Sie und nehmen Sie mein Berliner Ehrenwort zu allem, was Sie möglicherweise erlebt haben könnten: Es hatte keinerlei Bedeutung.«