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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kaffeehaus-Katharsis

Der Laden heißt »Le Bre­ta­gne«, und wer aus Aachen nach Ber­lin kommt, also von da, wo ein »Pain de Paris« von jedem Bäcker so gebacken wird wie in Paris, hier­her, wo alles Ess­ba­re zuerst ein Gerücht gewe­sen sein und sich dann als sel­te­ner Fall einer Tat­sa­che her­aus­ge­stellt haben muss, will in die­sem Laden plötz­lich ein Crois­sant, auch wenn er gar kei­nen Hun­ger dar­auf verspürt.

Als ich eben »Ein Crois­sant bit­te« gesagt habe und mir die pas­sen­de Kaf­fee­aus­füh­rung dazu ein­fal­len las­sen will, steht eine älte­re Dame »neben mir« im Sin­ne von vor mir, vor dem Betrei­ber des »Le Bre­ta­gne«, erkun­digt sich nach Baguette, das sicher noch nicht fer­tig sei, erfährt, dass es fer­tig sei, will es und wird so geschmei­dig bedient, als hät­te es mich und das Inter­mez­zo mei­nes Bestell­frag­ments nie gege­ben. Ich war­te, bis das Geschäft abge­schlos­sen ist, Ware und Geld aus­ge­tauscht sind und sage, nach­dem der Platz zwi­schen mir und dem Betrei­ber wie­der frei und die Dame zur Tür unter­wegs ist: »So schnell kann es gehen, dass man nicht mehr dran ist, wenn man eben noch dach­te, man sei dran.«

»Aach«, seufzt die Dame in der Tür, »hab ich mich vor­ge­drän­gelt? Das tut mir aber leid.« Wor­auf­hin ich den Feh­ler des Tages oder, bei mei­nem Mund­werk, eher einen Feh­ler aus der heu­ti­gen Tages­se­rie mache und sage: »Blei­ben Sie genau so, wie Sie sind, damit kom­men Sie über­all hin.« Sie meint, sie sei eigent­lich nicht so, ihre Art sei eine ganz ande­re. Und der Betrei­ber herrscht mich an, ich sol­le gefäl­ligst mei­ne Bestel­lung machen und nicht so ein Thea­ter, die Dame habe sich ent­schul­digt, also was ich mir ein­bil­den wür­de (das Fol­gen­de schon außer Hör­wei­te der Dame:), wie ein Gen­tle­man sol­le ich han­deln, immer lächeln, mir zu nichts irgend­was den­ken, der­lei Frech­hei­ten sei­en in Ber­lin an der Tages­ord­nung, wohin man denn kom­me, wenn man auf jede davon reagie­ren wolle.

Ich neh­me den Rat an und igno­rie­re die Frech­heit des Betrei­bers, will ihn, den ich als Lokal­wei­sen in jeder Bedeu­tung des Wor­tes aus­ma­che, nur noch etwas fra­gen: »Ich habe die Bemer­kung gemacht, um mich selbst zu über­wa­chen«, lei­te ich mei­ne Fra­ge ein. »In mei­nem Alter miss­traut man allem, was zu erle­ben man sich ein­bil­det. Ich woll­te wis­sen, ob es real war, dass ich mit­ten in mei­ner Bestel­lung zu einem in mei­nem Fall zwei Meter gro­ßen Stück Luft wur­de, das den Aus­tausch von Wor­ten und Waren nur noch wie einen Hauch mit­ten durch sich hin­durch erleb­te. Was den­ken Sie, müs­sen älte­re Men­schen sich so was nicht fra­gen, wenn sie nicht jede Kon­trol­le über ihre Wahr­neh­mung und ihren Glau­ben an das Rea­le ver­lie­ren wollen?«

Hier die Ant­wort des »Le Bretagne«-Betreibers:

»Ach was. Nichts müs­sen Sie kon­trol­lie­ren. Lächeln müs­sen Sie zu allem. Nichts ver­pas­sen Sie da, wenn Sie nicht wis­sen, was Sie gera­de erlebt haben. Das sich zu fra­gen, lohnt sich nicht, nie­mals. Im Gegen­teil wer­den Sie froh sein das alles end­lich hin­ter sich zu las­sen. Lächeln Sie, schwei­gen Sie und neh­men Sie mein Ber­li­ner Ehren­wort zu allem, was Sie mög­li­cher­wei­se erlebt haben könn­ten: Es hat­te kei­ner­lei Bedeutung.«