Der Lebenslauf, die Lebensfahrt der Schriftstellerin Gisela Heller begann im Jahre 1929 und endete 2025. Die Geschichte ihres Lebens bietet sie in »Meine Irrungen, Wirrungen« dar, die Autobiografie liegt jetzt als E-Buch vor (eine gedruckte Ausgabe ist zurzeit nicht verfügbar). Der Fontane-Anklang des Titels ist nicht zufällig. Man darf im Meisterschriftsteller getrost das Richtungszeichen ihres eigenen Autorinnenlebens erkennen, das viele Facetten des Schreibens (besonders Rundfunk- und Fernseharbeit) kennt, aber sich immer wieder und hauptsächlich dem Märkischen und Fontane nähert. Damit gelangen ihr zu DDR-Zeiten große Verkaufserfolge, also Bestseller.
Während Fontane in »Irrungen, Wirrungen« die bitter endende Sommerliebesgeschichte der Plätterin Lene Nimptsch und des Barons Rienäcker in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre erzählt, nimmt Gisela Heller unter Hinzufügung eines Possessivpronomens ihre Lebensgeschichte in die Betrachtung. Die ist reich an Auf und Ab, an Hin und Her. Mit einem Zitat aus »Effi Briest« (»Die Welt ist nun einmal, wie sie ist, und die Dinge verlaufen nicht so, wie wir wollen, sondern wie die andern wollen.«) hebt eine lange, lange Lebensgeschichte an, die Privates geschickt mit der Geschichte des Landes verwebt, in dem sich dieses Leben ereignete. Wenn auch mitunter der Erzählton etwas bieder klingt: »Als die alten Herrschaften untrüglich zur Ruhe gegangen waren, hörte ich die Dielen im Esszimmer knarren, und Hansjochen legte sich zu mir. Ganz selbstverständlich. Wir erzählten noch lange Dönekens aus unserem Leben …«, so hat man doch stets das Gefühl, dass man erfährt, wie es der Autorin erging und wie ihr zumute war, und dass kaum einmal beschönigt wird. Das ist ein Plus einer Autobiografie, zumal ein Leben geschildert wird, das reich an Begegnungen war, z. B. mit Schriftstellern wie Martin Andersen-Nexö, Horst Beseler, Herbert Otto, Friedrich Schlotterbeck, der Fernsehgröße Herbert Köfer. Aber: »Christa und Gerhard Wolf hielten sich eher zurück.«
Der Reichtum dieses Lebens, seine Fülle produzieren in der Schilderung manche Länge und Wiederholung, z.B. die Darstellung der Ungarnreisen. Auch die eine oder andere Unsicherheit in Orthografie und Ausdruck fällt auf. Nun kann man einer Autobiografie nichts von ihrer Länge nehmen, aber eine Korrektur könnte nicht schaden und Gutes noch besser machen. Menschen, die in diesem Teil Deutschlands gelebt haben, werden viel von sich wiederfinden, kurz: ihre Lebenswirklichkeit. Und jüngere Menschen könnten durch die Lektüre vieles erfahren und manches begreifen, das sie vor eiligem Urteil bewahrt. Ganz unaufdringlich erlebt man hier Geschichte als Lebensgeschichte, weil das Erzählte, im besten Fontane‘schen Sinne, oft ironisch unterlaufen wird. Überhaupt ist der Rekurs auf Fontane (Gisela Heller hat auch eine Erzählung über Emilie, Fontanes Ehefrau, geschrieben!) zu loben. Dies umso mehr, als in einem Prospekt, der Pensionszimmer in hiesiger Gegend anpreist, auch auf die Möglichkeit einer Übernachtung in Zerben verwiesen wird. (Im dortigen Schloss wurde Elisabeth von Plotho, verh. von Ardenne, geboren, das Vorbild der Effi Briest.) Dort könne man sich »aussöhnen« mit einem »vollkommen überschätzten literarischen Werk (…) ›Effi Briest‹«. Nun, die kraftvolle Aneignung Fontanes durch Gisela Heller zeigt, dass man dieses Werk gar nicht überschätzen kann.
Gisela Heller: Meine Irrungen, Wirrungen. E-Buch, Edition digital, Pinnow 2020, 700 S. (gedruckte Ausgabe), 10,99 €.