Wir lesen und sind gleich schwer beeindruckt: Das größte Operetten-Festival Europas. Die Dame fragt da zu Recht: Wieso nicht der Welt?
Zumindest war klar, dass wir nicht in der Unterwelt sind, sondern in der Oberwelt bzw. der heutigen Operettenwelt. Der Landeshauptmann von Ober(!)Österreich wurde gleich vor Beginn des Spektakels vom Intendanten auf die Bühne gebeten, um zu seinen WählerInnen zu sprechen.
Nun, unser MP dürfte die Eröffnung der neuen bzw. renovierten Stuttgarter Oper kaum noch erleben, so wenig wie der Schreiber dieser Zeilen, wir sind ja schon froh, wenn wir die endgültige Eröffnung des Stuttgarter Tiefbahnhofs (S21) schaffen. Ach, was wäre das für ein Operettenstoff.
Auffällig war einiges: die Modernisierung des »Orpheus‹«, in deren Mittelpunkt eine Influenzerin mit Smartphone stand; dazu muss man nichts schreiben, der Esprit, den diese Operette mal hatte, war dabei nicht zu finden, eher das, was hier einst verspottet wurde. Ähnlich konventionell ist inzwischen, dass den Cancan nun Frauen und Männer tanzten, da hat doch jede und jeder was davon?! Wenn die dann mit dem Hintern wackeln, ist das inzwischen jugendfrei!
Die Pause war der Höhepunkt, selten so viel Platz gehabt – und so gut organisiert, das Sektglas irgendwie nötig. Der Hauptmann mit kleinem Gefolge folgte uns in die Pause, die Präsidentin des Festivals schleppte die Getränke herbei. Wenigstens hier ist die Welt noch in (alter) Ordnung, obwohl?!
Auch wenn die Operette laut Intendanten, und wer könnte darüber glaubhafter Auskunft erteilen, gerade eine Renaissance erlebt, scheint es mir eher so, dass das, worüber ein Karl Kraus, ein Siegfried Kracauer und noch ein Volker Klotz schrieb, Geschichte ist. Wer verspottet heute noch so das Militär oder das konservative Bürgertum, welche Musik reißt den kritischen Gedanken in die Höhe, ohne ihn unterwegs zu verlieren?
Spätestens als der Wille zum Mit-Klatschen sich Bahn brach, war die affirmative Kultur für jedermann hörbar. Hier wurde eine Götterwelt auf die Schippe genommen, aber die heutige war damit nicht gemeint und getroffen. Offenbach wurde eingereiht in die allgemeine Seligkeit: Alles Walzer …
Übrigens wurde der beste Teil des Stückes glatt überspielt, nämlich die Wahrheit über Zeus, denn der landet nur in verwandelter Form als Tier: als Fliege bei der aktuell schönsten Frau. Wer versteht diese Anspielung auf unsere heutigen »Götter«?
Offenbach könnte man als Kleinunternehmer, als Selbstständigen, bezeichnen, anders als die heutigen Theaterleiter und Intendanten hat er sich mehr getraut als die in die Kulturindustrie integrierten. Und auch die besten Teile des Bürgertums dachten damals weiter, als nur den Moment abzuwarten, in dem sie zu klatschen anfangen können.