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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Müllabfuhr

Alle Welt macht sich Gedan­ken um die von Sozio­lo­gen, Psy­cho­lo­gen und den Medi­en ent­deck­te Ver­ein­ze­lung. Nun ist die nichts Neu­es: Die Ent­deckung der Mas­se (ob bei Gust­ave Le Bon oder Sig­mund Freud) war immer mit der Ver­ein­ze­lung des Men­schen in ihr verbunden.

Auch die jun­ge Welt (20.5.) befasst sich damit und stimmt in die Kla­ge der Lin­ken ein, dass sich die Men­schen nicht mehr orga­ni­sie­ren wol­len. Wobei nicht gefragt wird, wor­an das wohl liegt? Ich ver­mu­te stark, dass Orga­ni­sa­ti­on (Gewerk­schaft, die Lin­ke usw.), auch wenn wir in Deutsch­land sind, kein Selbst­zweck ist, son­dern Mit­tel, und dass die­ses Mit­tel sei­nen Zweck eher ver­stellt, als zu errei­chen sucht, was immer das Ziel genau­er sein will. Wobei das Ziel (z. B. eine sozia­li­sti­sche Gesell­schaft) gar nicht genau zu beschrei­ben wäre, aber schon die Schrit­te dahin ver­bind­li­cher sein müss­ten als die Schritt­fol­ge der Ech­ter­na­cher Spring­pro­zes­si­on: zwei vor, einen zurück; aber das wäre heu­te schon ein Erfolg – eher geht »man« (oder: es) umgekehrt.

Aber zurück zum The­ma. Der Autor der jun­gen Welt ent­deckt zum Schluss sei­nes Tex­tes die Tür­ste­her und Ein­lass­kon­trol­len ein­schließ­lich Dreh­kreu­zen. Ver­mut­lich durf­te er trotz Pres­se­aus­wei­ses nicht in die Dis­co? Aber ja, über­all ist Ein­lass­kon­trol­le und Überwachung.

Bei mir waren unlängst, ich war lei­der nicht da, die Beauf­trag­ten mei­nes Ver­mie­ters (Woh­nungs­ge­sell­schaft), denen es im Büro wohl zu lang­wei­lig ist und die also Lust auf einen Spa­zier­gang hat­ten, und stell­ten fest, dass im Kel­ler aller­hand Gerüm­pel her­um­stand (Flucht­we­ge!) – der Kel­ler wird als Schutz­raum! vor den ABC-Waf­fen gebraucht – und auch die Trep­pe nicht ganz sau­ber war. Nun soll der Müll ent­fernt wer­den, sonst droht »Sip­pen­haft«, also alle müs­sen bezah­len. Ähn­li­che Ten­den­zen, die »Haus­ge­mein­schaft« zu stär­ken, fin­det man in der Kon­trol­le der Bio- und ande­rer Ton­nen, deren Über­wa­chung dank KI gro­ße Fort­schrit­te macht:

Sie sol­len bei fal­scher Befül­lung nicht geleert oder ein Buß­geld ver­hängt werden.

Wel­che Fol­gen hat dies und mehr: Muss ich mich jetzt in einen Block­wart ver­wan­deln, der Nach­barn kon­trol­liert, ob sie auch den Müll rich­tig tren­nen oder Kehr­wo­che machen?!

Die Lebens­wei­se der Men­schen, und als Ten­denz die Ver­ein­ze­lung, fällt nicht vom Him­mel, son­dern wird gemacht, und die Coro­na-Maß­nah­men haben dazu ihren Bei­trag gelei­stet. Ob sinn­voll oder eher nicht, ihr Nut­zen besteht und bestand im leich­te­ren Beherr­schen und der Züch­tung einer der schlech­te­sten deut­schen Eigen­schaf­ten: das Denunziantentum.

Selbst­ver­ständ­lich wäre das alles auch anders mög­lich, aber nicht mit die­sen Par­tei­en, nicht mit ihren Kar­rie­ri­sten und Opportunisten.

»Den Men­schen, die zu arm sind, um zu ver­mei­den, dass sie zur Kas­se gebe­ten wer­den, die Kosten der Gesell­schaft auf­zu­bür­den, ist inzwi­schen die Stan­dard­lö­sung für alle Pro­ble­me« (Oli­ver Bull­ough: »Der Welt zu Dien­sten. Wie Groß­bri­tan­ni­en zum But­ler von Olig­ar­chen, Klep­to­kra­ten und Ver­bre­chern wur­de«, Mün­chen 2023).

In der »Akku­mu­la­ti­on des Kapi­tals« von Rosa Luxem­burg ist von den »Schma­rot­zer­exi­sten­zen der heu­ti­gen Gesell­schaft (König, Pfaff, Pro­fes­sor, Hure, Kriegs­knecht)« die Rede. Die Auf­zäh­lung ent­spricht nicht mehr ganz der heu­ti­gen Zeit, weil inzwi­schen viel mehr Kapi­tal akku­mu­liert wur­de und der fau­len­de Impe­ria­lis­mus sei­ne demo­kra­ti­sche Mas­ke­ra­de gera­de ablegt, und zu den Waf­fen greift, als letz­tes Mit­tel, sei­ne fina­le(?) Kri­se zu bewältigen.

Wir waren schon ein­mal wei­ter und man brauch­te das nur gering­fü­gig zu aktua­li­sie­ren und den Text auf den neue­sten Stand zu brin­gen, das wäre für heu­te die Auf­ga­be! Frü­her hieß das so:

»Sol­che Leu­te wie der Adel, die Indu­stri­el­len, die Kapi­ta­li­sten ken­nen in der Poli­tik nur ein Ziel – den Geld­pro­fit, ihr Göt­ze ist das gol­de­ne Kalb und ihr Glau­be die Aus­beu­tung. Alle ande­ren Losun­gen und Phra­sen, die ihre ver­schie­de­nen Par­tei­en ver­kün­den, wie ›Patrio­tis­mus‹, ›katho­li­scher Glau­be‹, ›Frei­sinn‹, ›Anti­se­mi­tis­mus‹, ›Fort­schritt‹, das sind nur Män­tel­chen von ver­schie­de­ner Far­be und Form, hin­ter denen sich immer ein und das­sel­be Ziel ver­birgt: Gewinn­sucht und Gier nach Berei­che­rung« (Rosa Luxemburg).