Das Programmheft erfreut uns gleich mit einer Werbung – und noch einer und noch einer. Ja, offensichtlich reichen die hohen Eintrittspreise und die vielen Leute, die das Theater fasst, nicht aus.
In Salzburg haben wir schon letztes Jahr eine erfreuliche Lesung zu Kraus erlebt. Aber sein Riesendrama »Die letzten Tage …« lässt sich nur auszugsweise aufführen. Dem, der es gelesen hat, lässt jede Aufführung zu viel weg. Diese mischt das Stück in einer Weise auf und um, dass nun etwas herauskommt, das dem Publikum erstaunlich gut schmeckt. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, wer sich die Eintrittspreise leisten will und kann und in welcher Vorkriegszeit wir schon wieder leben.
Aktueller kann die Vergangenheit und damit KK nicht sein! Es beginnt auch durchaus erfreulich, aber es endet immer unerfreulicher. Wobei man uns keine Wagner-Länge zumutet. Die Schalek, das Urbild des Schmocks, des korrupten und staatshörigen Journalisten (ich habe das Geschlecht gewechselt!), steht im Mittelpunkt, die Dialektik des Nörglers und des Pessimisten bleibt unterbelichtet, wenngleich der Nörgler im Schweizer Dialekt, wieder eine Frau, ordentlich Wasser in den Wein schütten darf, der die Leute besoffen macht.
Man versteht manches nicht, manches ist mir zu zeitgemäß, die Musik sorgt für »Dampf«, als bräuchten die Worte ihre Unterstützung, was sie bei Kraus in diesem Falle nicht brauchen. Sie sorgen für eine Stimmung, statt für »böse« Gedanken.
Die Schalek hat damit angefangen (ich übertreibe!), die Tatsachen durch passende Stimmungen zu ersetzen, und wo die Fakten stören, werden sie tauglich für die Kriegspropaganda gemacht.
Wir sparen uns alle Vergleiche zu heute, wie sich das Theater diese auch nicht traut, obwohl sie auf der Hand liegen oder vor Augen, aber wir haben den Verdacht, dass heute wie damals die wenigsten sehen wollen …
Steht bei Kraus im Mittelpunkt, dass die Menschen ihre Fantasie eingebüßt haben, die aber nötig wäre, um den Schrecken ihrer (Kriegs-)Produkte überhaupt ermessen zu können. Ein Gedanke, der sich ausgeführt bei Günther Anders findet: die Antiquiertheit des Menschen.
Die Fantasie wird ersetzt, verdrängt, stranguliert durch die Presse und die durch sie gelieferten falschen Gefühle, weshalb die Schalek fragt: Was empfinden Sie in dieser Situation? Was sie nicht fragt: Wie konnte es dazu kommen, und wie kommen wir wieder da heraus?
So endet das Stück nach einigen durchaus treffenden Szenen, deren Verständnis aber erschwert wird, da z. B. am Schauspielpersonal gespart wird, und wir nicht immer wussten, wer nun was spielt.
Von keinem Theater erwarten wir, dass es bessere Menschen entlässt, aber doch, dass der Verstand gefordert wird und das Gefühl diesem nicht im Wege steht, sondern bestenfalls voran, aber notfalls auch hinterdrein geht.
Kraus ist besser, hat mehr verdient, aber wir haben keinen Einfluss darauf. Das Stück war trotzdem besser und aktueller als vieles, was wir in letzter Zeit gesehen haben. Deshalb steht zu hoffen, dass es mutige Regisseure gibt, die sich Kraus oder auch anderen annehmen und dem Zeitgeist gehörig in die Suppe spucken. Freilich, wer bezahlt dieses Theater, wer subventioniert solche Versuche? Wir suchen und hoffen auf weitere Anläufe. Und auf ein Publikum, das sich nicht unter Wert abspeisen lässt.
PS: Die Werbung im Programmheft wäre eine eigene Satire wert. Vielleicht nächste Ausgabe?