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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schon recht komisch

Hat Ihnen schon mal jemand offen ins Gesicht gesagt, Sie sei­en ein komi­scher Kauz, eine komi­sche Nudel, ein komi­scher Mensch? Und Sie sind – sei es nega­tiv oder posi­tiv – über­rascht von sol­cher Zuschrei­bung, weil Sie die­se Eigen­schaft an sich selbst bis­her noch nicht bemerkt haben? Das wäre wirk­lich komisch. Das meint auch der Schrift­stel­ler Ewart Reder und hat die Fra­ge zum Titel sei­nes neue­sten Buches gemacht: »komisch, dass wir nicht mer­ken, dass wir komisch sind«. Es ist ein Sam­mel­band mit Tex­ten des Autors, die zwi­schen 2011 und 2024 erschie­nen sind.

Klar, er selbst hat schon längst bemerkt, dass und wie komisch er ist. Ossietzky-Lese­rin­nen und -Leser sicher­lich eben­falls. Seit 1998 erschei­nen lite­ra­ri­sche Tex­te des in Ber­lin gebo­re­nen, in Frank­furt am Main leben­den Autors in Zei­tun­gen, Maga­zi­nen und Zeit­schrif­ten oder in Online-Medi­en, auch im Rund­funk. Und seit eini­gen Jah­ren in Ossietzky.

Sei­ne Bei­trä­ge han­deln von mensch­li­chen Marot­ten, von All­tags­be­ob­ach­tun­gen zu absenk­ba­ren Klo­deckeln, Wein­kor­ken oder Her­ren­aben­den, von spre­chen­den Hand­schu­hen, Geschirr­spü­lern, von Poli­ti­kern, die sich »ver­quat­schen«. Sich selbst nimmt er bei der Dar­stel­lung lie­bens­wer­ter Schwä­chen nicht aus: »Mei­ne Frau meint, ich wür­de sie zutex­ten. Und nicht nur sie. Auch ande­re hät­ten das schon gesagt«, beginnt eine Glos­se. (Übri­gens: Mei­ne Frau sagt das manch­mal auch zu mir.)

Den ersten Ossietzky-Reder fin­de ich dank des neu­en Redak­ti­ons­ar­chivs in Heft 8/​2021. Es han­delt sich um den Teil­ab­druck von Impres­sio­nen aus Rede­rs Rei­se­ta­ge­buch über sei­nen Auf­ent­halt auf Mal­lor­ca, wo er zum Coro­na-Hoch eine Aus­zeit nahm. Die­ser Text ist zwar nicht in dem Sam­mel­band ent­hal­ten, ver­mut­lich wegen sei­ner Län­ge, dafür aber fin­den sich auf den ersten 80 Sei­ten und im hin­te­ren Teil des Buches Glos­sen, von denen vie­le auch in Ossietzky ver­öf­fent­licht wurden.

Kurz­wei­li­ge Sati­ren, humor­vol­le Pos­sen, Kurz­ge­schich­ten und humo­ri­sti­sche Erzäh­lun­gen, die mit­un­ter prä­miert wur­den, kom­plet­tie­ren den Band. Gelobt wird in der Ver­lags­an­kün­di­gung, dass »nicht die Rou­ti­ne so man­cher Come­dy-Spe­zia­li­sten hier herrscht, nicht Häme gegen Schwä­che­re, die in Social Media und in Medi­en zuneh­mend als Humor ver­kauft wird, son­dern gute Lau­ne mit den Mit­teln ech­ter Schreib­kunst«. Manch­mal streift die Fan­ta­sie wild durch die Geschich­ten. So han­delt eine Eulen­spie­ge­lei von einem Jugend­li­chen, der nie aus sei­nem Zim­mer her­aus­kommt, weil er in Wahr­heit sei­ne Eltern mit einer Zweit­fa­mi­lie betrügt. Eine ande­re Geschich­te dreht sich um Jim Mor­ri­son, den Front­mann der US-ame­ri­ka­ni­schen Rock­band The Doors. Sie behaup­tet, die­ser sei nicht 1971 in Paris gestor­ben, son­dern im Alter von 78 Jah­ren 2021 in Rom. Der »Tod« in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt sei ein »bio­gra­fi­scher Tauch­gang« gewe­sen, weil er den Tru­bel satthatte.

Ein 2011 ver­öf­fent­lich­tes und immer noch ver­gnüg­li­ches Fra­ge-Ant­wort-Spiel mit erfun­de­nen Inter­views – »Ein pro­mi­nen­ter Mensch ant­wor­tet auf Fra­gen des Autors« – beschließt das Buch. Hier hät­te ich mir erläu­tern­de Anmer­kun­gen gewünscht, denn an man­cher dama­li­gen Pro­mi­nenz und an man­chem lite­ra­risch ver­hoh­ne­pie­pel­tem Vor­gang hat nach fast 15 Jah­ren arg der Zahn der Zeit genagt, so dass man sich schon mal fragt: Wie war das damals, und wer war das nochmal?

Dem Buch ist ein Mot­to von Shake­speare vor­an­ge­stellt, aus Ham­let, drit­ter Akt, zwei­te Sze­ne: »Call me what instru­ment you will, though you fret me, you can not play upon me.«. Bei Erich Fried fin­de ich fol­gen­de Über­set­zung: »Nennt mich, was für ein Instru­ment Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar ver­stim­men, aber Ihr könnt mit mir nicht spie­len.« In der Sze­ne hat­te Jugend­freund Gül­den­stern zuvor Ham­let geta­delt, weil die­ser nicht über den Grund sei­ner Betrüb­nis spre­chen will. Ham­let ant­wor­te­te mit einer Ana­lo­gie, in der er auf die Block­flö­te ver­weist, die zu spie­len Gül­den­stern abge­lehnt hat, weil ihm die Fer­tig­keit dazu feh­le. Wenn aber Gül­den­stern schon unfä­hig ist, einer Flö­te Töne zu ent­locken, wie will er dann aus Ham­let etwas herausholen?

Ich inter­pre­tie­re den Sinn des Mot­tos so: Ewart Reder will damit auf­zei­gen, dass der Fürst von Däne­mark selbst in einer ern­sten Situa­ti­on sei­nen Humor behält – was der Autor wohl auch für sich in Anspruch nimmt.

Das Resü­mee zu dem Buch bor­ge ich mir vom Klap­pen­text, der unter den dort abge­druck­ten Testi­mo­ni­als auch ein Zitat aus der Ossietzky-Redak­ti­on ent­hält: »Die­ser Autor ist es wert, drin­gend emp­foh­len zu wer­den.« Und das ist ganz und gar nicht komisch gemeint.

Ewart Reder: komisch, dass wir nicht mer­ken, dass wir komisch sind. Pos­sen und Glos­sen, mit fünf­zehn Zeich­nun­gen und Aqua­rel­len des Autors, Pop Ver­lag, Lud­wigs­burg 2025, 288 S., 23 €.