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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Spätes Geständnis der Konzerne

Auf Initia­ti­ve des BAY­ER-Kon­zerns haben 49 Fir­men zum 80. Jah­res­tag der Befrei­ung Deutsch­lands vom Faschis­mus eine Erklä­rung ver­öf­fent­licht, in der sie sich zu ihrer »Mit­schuld an der Nazi-Herr­schaft« beken­nen. »Deut­sche Unter­neh­men« hät­ten dazu bei­getra­gen, die Herr­schaft der Natio­nal­so­zia­li­sten zu »festi­gen«. Die Macht­über­tra­gung – in der Erklä­rung wird von Macht­über­nah­me durch die Natio­nal­so­zia­li­sten 1933 gespro­chen – »wäre ohne das Ver­sa­gen der dama­li­gen Ent­schei­dungs­trä­ger in Poli­tik, Mili­tär, Justiz und Wirt­schaft nicht denk­bar gewe­sen«, unter­schrei­ben die geschäfts­füh­ren­den CEOs, nicht die Eigen­tü­mer. »Auf ihren eige­nen Vor­teil bedacht, waren vie­le Unter­neh­men und ihre dama­li­gen Akteu­re ver­strickt«, kon­sta­tie­ren die Fir­men­chefs. Sie zie­hen dar­aus die Leh­re, »die Zer­brech­lich­keit der Demo­kra­tie immer wie­der zu erken­nen« und Errun­gen­schaf­ten wie Rechts­staat­lich­keit und Frei­heit zu schüt­zen. Die Wor­te Krieg und Rüstung kom­men in der Erklä­rung nicht vor.

Rhein­me­tall hat auch unter­schrie­ben, auch Thys­sen­krupp, BASF, Evo­nik, Hen­kel und Sie­mens sowie Deut­sche Bank und Deut­sche Bahn. Die Kon­zer­ne haben sich dem­nach an der Demo­kra­tie ver­gan­gen, nicht am Frieden.

Die Süd­deut­sche Zei­tung fass­te das in der Erklä­rung nicht genau geschil­der­te Gesche­hen so zusam­men: »Vie­le deut­sche Unter­neh­men haben sich mit­schul­dig gemacht am Mas­sen­mord. Indem sie den Nazis jene Mit­tel über­haupt erst zur Ver­fü­gung gestellt hat­ten, die die­se für ihre Gräu­el brauch­ten. Zum Bei­spiel das KZ-Gift­gas Zyklon B. Ande­re (…) pro­fi­tier­ten, indem sie selbst Hun­dert­tau­sen­de Zwangs­ar­bei­ter in ihre Fabri­ken hol­ten.« Wie erwähnt, wur­de die Erklä­rung, mit Aus­nah­me des Oet­ker-Kon­zerns, nur von lei­ten­den Ange­stell­ten unter­schrie­ben. Die Namen von Mil­li­ar­dä­ren, die ihr Ver­mö­gen von den Kriegs­ver­bre­cher­fir­men erb­ten, fehlen.

Die »Coor­di­na­ti­on gegen BAY­ER-Gefah­ren« kri­ti­sier­te an der Stel­lung­nah­me der Kon­zer­ne, dass z. B. BAYER die Auf­ar­bei­tung nur halb­her­zig betrei­be und kei­ne Leh­ren für die Gegen­wart zie­he. Zudem spie­le der Kon­zern die akti­ve Rol­le her­un­ter, wel­che die von ihm mit­ge­grün­de­te I.G. FARBEN in der Dik­ta­tur gespielt hat. Das Nazi­re­gime habe die I.G. »als einen der ›kriegs- und lebens­wich­ti­gen‹ Betrie­be der deut­schen Wirt­schaft« ein­ge­stuft, ste­he sogar in der offi­zi­el­len BAY­ER-Unter­neh­mens­ge­schich­te. Auch wei­se die Dar­stel­lung vie­le Lücken auf: Kein Wort zu den Wahl­kampf-Spen­den an die NSDAP, kein Wort zur Ein­bin­dung von I.G.-Managern in das NS-System, kein Wort zu Zyklon B und kein Wort zu den medi­zi­ni­schen Expe­ri­men­ten mit KZ-Häftlingen.

Erin­nert wird dar­an: Der Glo­bal Play­er BAYER unter­stütz­te Trump im Wahl­kampf mas­siv durch Spen­den und sein Vor­stands­vor­sit­zen­der nahm sogar als ein­zi­ger Chef eines DAX-Unter­neh­mens per­sön­lich an der Amts­ein­füh­rung des US-Prä­si­den­ten teil.

Die Erklä­rung der Kon­zer­ne ist auch für die Erin­ne­rungs­ar­beit von Belang. Im Febru­ar 2025 hat die Dort­mun­der Ver­wal­tung beschlos­sen, die Bewei­se gegen größ­te Mas­sen­mör­der aus dem Ver­kehr zu zie­hen. Die Erin­ne­rungs­po­li­tik wird ver­än­dert, indem die Gedenk­stät­te Stein­wa­che gerei­nigt wird von dem Mate­ri­al, das die Ver­bre­chen füh­ren­der Indu­stri­el­ler nach­weist. So im sieb­ten The­men­raum »Die Schwer­indu­strie setz­te auf Hit­ler«, der ab 1. Juni für immer geschlos­sen wur­de. Begrün­dung: Neue Bewei­se wür­den die Vög­ler, Flick, Spring­orum, Krupp, Kir­dorf, Reusch und Co. ent­la­sten. Die Mit­glie­der­mas­sen der NSDAP und nicht die Indu­strie hät­ten die Par­tei finan­ziert. Es wur­de zuletzt noch ein neu­er Kurz­ka­ta­log her­aus­ge­ge­ben, in dem es zum Raum 7 heißt: Der Zen­trums­po­li­ti­ker Franz von Papen, nicht unter Ein­fluss der Indu­stri­el­len, sei der­je­ni­ge gewe­sen, der am 30. Janu­ar 1933 von Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg mit der Regie­rungs­bil­dung beauf­tragt wur­de. Papens Regie­rungs­bil­dung habe dann zur Kanz­ler­schaft Hit­lers geführt.

Neue Bewei­se gibt es für die Ver­bre­chen der Ruhr­ge­biets­in­du­stri­el­len – so im Buch des füh­ren­den Wirt­schafts­hi­sto­ri­kers Adam Too­ze mit dem bezeich­nen­den Titel »Öko­no­mie der Zer­stö­rung«. Und ganz neu nun­mehr: Die Erklä­rung von 49 füh­ren­den Kon­zern­ver­tre­tern zum Jah­res­tag des 8. Mai. Dar­in heißt es: »Heu­te über­neh­men wir als deut­sche Unter­neh­men Ver­ant­wor­tung, die Erin­ne­rung an die Ver­bre­chen der NS-Zeit sicht­bar zu machen.«

Das Kon­zern­do­ku­ment bringt die staat­li­che Erin­ne­rungs­po­li­tik in Dort­mund, in NRW und vie­len Städ­ten im Bund in Erklä­rungs­not. Dort wur­den kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche, anti­fa­schi­sti­sche Aus­sa­gen getilgt. Das ging so weit, dass in der Wewels­burg bei Pader­born, der ein­sti­gen Kult­stät­te der SS, kein Wort zum Freun­des­kreis Reichs­füh­rer SS/Kepp­ler-Kreis gesagt wird – die Mit­glie­der aus der Wirt­schaft mach­ten ja 1945 weiter.

Offen­bar geschah die Ände­rung der Gedenk­stät­ten auf Wei­sung der Regie­rung, ver­mut­lich auf Emp­feh­lung des Ver­fas­sungs­schut­zes. Die For­mu­lie­rung im Schwur von Buchen­wald, dass die Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln not­wen­dig sei, wird amt­lich als ver­fas­sungs­wid­rig bezeich­net, da der Kapi­ta­lis­mus als Bestand­teil des Grund­ge­set­zes anzu­se­hen ist. Jedoch: Der Kapi­ta­lis­mus wird nicht im Grund­ge­setz erwähnt.

Nach der neu­en Kon­zern­er­klä­rung müss­ten nun in den Gedenk­stät­ten z. B. in Köln, Ober­hau­sen, Düs­sel­dorf, Essen und Dort­mund die den Kapi­ta­lis­mus beschö­ni­gen­den Dar­stel­lun­gen bzw. Unter­las­sun­gen rück­gän­gig gemacht wer­den. In Ober­hau­sen soll­te zum Bei­spiel die Losung »Faschis­mus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapi­tal gemacht« wie­der auf­ge­hängt werden.