Im Jahre 1950 führte Johannes R. Becher Tagebuch, veröffentlicht als »Auf andere Art so große Hoffnung« (hier Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1969). Man liest eitle Selbstermunterungen, Banalitäten, Berauschungen mit und an Lenin, dessen »Größe« darin bestanden habe, dass ihm Stalin nachfolgte. Man hört von begeisterten Pionieren, welche die die von ihm verfasste Nationalhymne »schön« abschreiben wollen, von einer Frau namens »Ikchen« (»anspruchslos und einfach gut, und auf zauberhafte Art verglühend«), vernimmt ein Lob des Weines aus der Pfalz und die Trinksprüche zum 74. Geburtstag des Präsidenten Wilhelm Pieck. Man erfährt von Bechers Auseinandersetzungen mit »Kunstbürokraten«, spürt oft den leisen Zweifel am eigenen Tun, den zaghaften Widerstand gegen politische Umstände: »Nur das nicht: Randglossen zum politischen Geschehen«. Und manche Betrachtung über Kunst und Schreiben passt noch heute: »Man muss dem Menschen einen Halt geben und Gedanken, mit denen sich weiterleben läßt.« Andererseits nimmt er die Nachricht vom Tode George Orwells auf wie die vom Tod eines »Menschheitsfeindes«.
Der innerlich zerrissene Parteischreiber und doch wunderbare Lyriker Johannes R. Becher sinnt am 18. Januar 1950 darüber nach, dass jede Gesellschaftsordnung das Recht und die Plicht habe, »Gemeingefährliche« zu verwahren. Dann fragt er sich, für welche Tatbestände diese »Verwahrungspflicht« gelten müsste und antwortet: »Kriegshetze (…) Widerstand gegen die Neuordnung menschlicher Verhältnisse (…), Versuche, das Unmenschliche wieder als System zu konstituieren.«
Es stimmt verdrießlich, dass es heute wohl nicht weniger »Verwahrungsanwärter« gibt als vor fünfundsiebzig Jahren. Doch hat man damals nicht nach den Vorschlägen von Dichtern gehandelt, so wird man es auch jetzt unterlassen.