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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sprachliche Kicks

Den mit dem gegen­wär­ti­gen Deutsch Ver­trau­ten muss man die Bedeu­tung des Wor­tes »Kick« wohl nicht erläu­tern. Und der­art Gewitz­te wis­sen auch, dass man sich den in vie­len Lebens­be­rei­chen holen kann. Kicks (viel­leicht sogar ulti­ma­ti­ve) gab und gibt es auf der Rou­te 66, jener legen­dä­ren Fern­stra­ße von Chi­ca­go bis Los Ange­les, nicht zuletzt auch dank der musi­ka­li­schen Bemü­hun­gen von Nat King Cole über die Rol­ling Stones bis hin zu Depe­che Mode.

Den sprach­li­chen Kick kann man sich nun holen auf einer ande­ren Stra­ße (wohl kein High­way), es ist die Jeru­sa­lem mit Jeri­cho ver­bin­den­de Rou­te Kvish Akhad in einem »Lust­spiel in meh­re­ren Auf­trit­ten und Scher­zo«, das zugleich »ein altes Gleich­nis« ist – ver­fasst von Phil­ipp Ammon. Die Dra­ma­tis Per­so­nae hier auf­zu­zäh­len, wür­de den Rezen­si­ons­rah­men spren­gen, des­we­gen hier nur ein paar Kick­aus­lö­ser: Gleb Boris­sow, der Not­hel­fer Hil­fer­ding, ein arg­lo­ser Lach­hyä­nen­chor, ein deutsch­deut­scher Schä­fer­hund, ein Front­schwein nebst Got­schi, einem flin­ken Fer­kel, dann eine Grin­se­kat­ze, ein Fräu­lein Fromm, ein Sozia­list namens Brot­her Bro usw. usf. Die und ande­re Figu­ren las­sen sprach­li­chen Dampf ab, dass es eine Art hat. Nun ist es Dampf­plau­de­rern bekann­ter­ma­ßen wur­ste­gal, wor­über sie reden. Hier jedoch gibt es einen Anlass. Ammons Regie­an­wei­sung: »Stra­ßen­schild der Rou­te Kvish Akhad mit der Auf­schrift ›Jeri­cho‹ (…) Ein Mann liegt in einer Blut­la­che.« Und damit beginnt das Pala­ver, über das man am lieb­sten lachen möch­te, wenn man es denn könn­te. Zum Bei­spiel über Melik Hil­fer­ding, der ist »Not­hel­fer von der Guar­di­an Angel Road Secu­ri­ty ans Psy­cho­lo­gi­cal Sup­port Ltd.«. Er hat gute Leh­ren für den Über­fal­le­nen: »Sie woll­ten wohl das Leben ein­fach mal so in der Wüste hin­wer­fen und dann behaup­ten, Sie wären unter die Räu­ber gefal­len. Mal ein biss­chen sozial/​emotional kom­pe­tent wer­den. Nicht von Räu­bern faseln, Mister Tra­vel­ler, und die Schuld auf ande­re schie­ben, son­dern eigen­ver­ant­wort­lich wer­den! Oder auch so: Fra­gen Sie sich ein­fach – was wür­de mir jetzt guttun?«

So geht es wei­ter: Gere­de, Gere­de. Gere­de – und nie­mand hilft. Es ist, das muss man dem Autor las­sen, ein äußerst kunst­vol­les und sprach­lich über­aus gelehr­tes Gere­de, vol­ler Phi­lo­so­phie, Reli­gi­ons­ge­schich­te, Histo­rie, Anspie­lun­gen, hin­ter­grün­di­gen Zita­ten, Lite­ra­tur. Inso­fern eine Fund­gru­be für den Leser und die Lese­rin, die sich, um es vor­sich­tig zu sagen, ein wenig aus­ken­nen. Denn so tief­grün­dig wie der Autor kennt sich wohl kaum jemand aus in der behan­del­ten Mate­rie. Dies zu des Autors Lob! Frei­lich wird auch so man­cher sprach­li­che Feu­er­werks­kör­per gezün­det, bei des­sen Auf­leuch­ten man sich wie bei jedem »Knal­ler« fragt: War der nun nötig? Bei­spiel aus einer Pre­digt, gehal­ten natür­lich von einem Pre­di­ger mit allen Attri­bu­ten die­ses Gen­res: mild und sanft und engels­gleich. »Hep, hep, hoo­r­ay, are you hep-hep hap­py? Hap­py Easter! Ist das etwa nicht bom­big? Ich smse dir jetzt täg­lich die Tages­lo­sung. Ver­spro­chen. Elbe oder Labe: Sie wird dich laben. Ich labe­re doch nicht von Lab­sal.« Dass des Autors Elo­quenz mit­un­ter auf sei­ne Figu­ren abfärbt – wen soll­te es wundern?

Wer das Werk liest, soll­te sich sehr gut mit den Archais­men der Spra­che aus­ken­nen und fremd­wort­fest sein. Aber – und dies wie­der aus­drück­lich zu des Autors Lob: Es gelingt ihm, unser aller Rede­rei ange­sichts des Elends in der Welt, und nicht nur in der durch den Titel auf­ge­ru­fe­nen Regi­on, sei­ne Figu­ren nach­plap­pern zu las­sen und sei­ne Nut­zer und Gebrau­cher damit bloß­zu­stel­len. Ein auf­merk­sa­mer und zur Ein­füh­lung fähi­ger Leser wird sich »erwischt« füh­len. Was nicht ver­hin­dern wird, dass auch ein­mal kräf­tig gelacht wird. Wenn zum Bei­spiel der Lach­hyä­nen­chor sich ver­neh­men lässt: »Wir ver­kör­pern die Prä­ven­ti­on. Wir sind, nüch­tern betrach­tet, das Ende aller Din­ge. (…) Wir ver­ge­mein­schaf­ten alles, was endet. Wir als Solidargemeinschaft.«

Phil­ipp Ammon prä­sen­tiert uns ein Lust­spiel, wie es eigent­lich sein soll­te: Man schüt­telt sich, und das nicht nur vor Lachen. Das Spiel mit der Spra­che dreht den Lesen­den um und wie­der zurück, er ver­liert den Boden unter den Füßen, schlägt hart auf und schwebt gleich dar­auf auf wohl­ge­füg­ten Sät­zen. Man soll­te die­ses Stück Lite­ra­tur dar­um wirk­lich spie­len, und zwar auf einer Büh­ne, am besten auf einer Frei­licht­büh­ne. Oder wirk­lich auf einer Stra­ße: »Get your kicks on Rou­te Kvish Akhad. Ima­gi­ne. Hier wer­den Sie gehol­fen«, heißt es am Ende.

Viel­leicht fin­det sich ein Regis­seur, der nicht sein Stück, son­dern das des Autors spie­len lässt. Denn die­sem wun­der­sa­men Iro­nie­ge­bil­de und Welt­thea­ter­stück darf nichts abge­zwackt oder hin­zu­ge­fügt werden.

Ob es uns wirk­lich hilft, mit unse­rem Geschwätz, unse­ren die Hilf­lo­sig­keit und Erge­ben­heit tar­nen­den Reden kon­fron­tiert zu wer­den, wer weiß … Aber den Ver­such wäre es wert, die Hoff­nung auch die­ses Autors, die Welt ein wenig bes­ser machen zu kön­nen, auf die Pro­be zu stel­len. Und wenn es zunächst nur eine Pro­be auf dem Thea­ter wäre, im Sin­ne des natür­lich auch hier zitier­ten Goe­the – der sich in illu­strer Zita­ten­ge­sell­schaft befin­det: Taci­tus, Ange­lus Sile­si­us, Alfred Brehm (der Tier­le­ben-Brehm). Goe­the gab der Welt zu beden­ken, dass alles Ver­gäng­li­che nur ein Gleich­nis sei. Das Gleich­nis Phil­ipp Ammons ist ein ein­präg­sa­mes, auch wenn ein wirk­lich barm­her­zi­ger Sama­ri­ter zunächst ausbleibt.

Phil­ipp Ammon: Get your kicks. Ein altes Gleich­nis, Molo­ko Print 2025, 71 S., 15 €.