Den mit dem gegenwärtigen Deutsch Vertrauten muss man die Bedeutung des Wortes »Kick« wohl nicht erläutern. Und derart Gewitzte wissen auch, dass man sich den in vielen Lebensbereichen holen kann. Kicks (vielleicht sogar ultimative) gab und gibt es auf der Route 66, jener legendären Fernstraße von Chicago bis Los Angeles, nicht zuletzt auch dank der musikalischen Bemühungen von Nat King Cole über die Rolling Stones bis hin zu Depeche Mode.
Den sprachlichen Kick kann man sich nun holen auf einer anderen Straße (wohl kein Highway), es ist die Jerusalem mit Jericho verbindende Route Kvish Akhad in einem »Lustspiel in mehreren Auftritten und Scherzo«, das zugleich »ein altes Gleichnis« ist – verfasst von Philipp Ammon. Die Dramatis Personae hier aufzuzählen, würde den Rezensionsrahmen sprengen, deswegen hier nur ein paar Kickauslöser: Gleb Borissow, der Nothelfer Hilferding, ein argloser Lachhyänenchor, ein deutschdeutscher Schäferhund, ein Frontschwein nebst Gotschi, einem flinken Ferkel, dann eine Grinsekatze, ein Fräulein Fromm, ein Sozialist namens Brother Bro usw. usf. Die und andere Figuren lassen sprachlichen Dampf ab, dass es eine Art hat. Nun ist es Dampfplauderern bekanntermaßen wurstegal, worüber sie reden. Hier jedoch gibt es einen Anlass. Ammons Regieanweisung: »Straßenschild der Route Kvish Akhad mit der Aufschrift ›Jericho‹ (…) Ein Mann liegt in einer Blutlache.« Und damit beginnt das Palaver, über das man am liebsten lachen möchte, wenn man es denn könnte. Zum Beispiel über Melik Hilferding, der ist »Nothelfer von der Guardian Angel Road Security ans Psychological Support Ltd.«. Er hat gute Lehren für den Überfallenen: »Sie wollten wohl das Leben einfach mal so in der Wüste hinwerfen und dann behaupten, Sie wären unter die Räuber gefallen. Mal ein bisschen sozial/emotional kompetent werden. Nicht von Räubern faseln, Mister Traveller, und die Schuld auf andere schieben, sondern eigenverantwortlich werden! Oder auch so: Fragen Sie sich einfach – was würde mir jetzt guttun?«
So geht es weiter: Gerede, Gerede. Gerede – und niemand hilft. Es ist, das muss man dem Autor lassen, ein äußerst kunstvolles und sprachlich überaus gelehrtes Gerede, voller Philosophie, Religionsgeschichte, Historie, Anspielungen, hintergründigen Zitaten, Literatur. Insofern eine Fundgrube für den Leser und die Leserin, die sich, um es vorsichtig zu sagen, ein wenig auskennen. Denn so tiefgründig wie der Autor kennt sich wohl kaum jemand aus in der behandelten Materie. Dies zu des Autors Lob! Freilich wird auch so mancher sprachliche Feuerwerkskörper gezündet, bei dessen Aufleuchten man sich wie bei jedem »Knaller« fragt: War der nun nötig? Beispiel aus einer Predigt, gehalten natürlich von einem Prediger mit allen Attributen dieses Genres: mild und sanft und engelsgleich. »Hep, hep, hooray, are you hep-hep happy? Happy Easter! Ist das etwa nicht bombig? Ich smse dir jetzt täglich die Tageslosung. Versprochen. Elbe oder Labe: Sie wird dich laben. Ich labere doch nicht von Labsal.« Dass des Autors Eloquenz mitunter auf seine Figuren abfärbt – wen sollte es wundern?
Wer das Werk liest, sollte sich sehr gut mit den Archaismen der Sprache auskennen und fremdwortfest sein. Aber – und dies wieder ausdrücklich zu des Autors Lob: Es gelingt ihm, unser aller Rederei angesichts des Elends in der Welt, und nicht nur in der durch den Titel aufgerufenen Region, seine Figuren nachplappern zu lassen und seine Nutzer und Gebraucher damit bloßzustellen. Ein aufmerksamer und zur Einfühlung fähiger Leser wird sich »erwischt« fühlen. Was nicht verhindern wird, dass auch einmal kräftig gelacht wird. Wenn zum Beispiel der Lachhyänenchor sich vernehmen lässt: »Wir verkörpern die Prävention. Wir sind, nüchtern betrachtet, das Ende aller Dinge. (…) Wir vergemeinschaften alles, was endet. Wir als Solidargemeinschaft.«
Philipp Ammon präsentiert uns ein Lustspiel, wie es eigentlich sein sollte: Man schüttelt sich, und das nicht nur vor Lachen. Das Spiel mit der Sprache dreht den Lesenden um und wieder zurück, er verliert den Boden unter den Füßen, schlägt hart auf und schwebt gleich darauf auf wohlgefügten Sätzen. Man sollte dieses Stück Literatur darum wirklich spielen, und zwar auf einer Bühne, am besten auf einer Freilichtbühne. Oder wirklich auf einer Straße: »Get your kicks on Route Kvish Akhad. Imagine. Hier werden Sie geholfen«, heißt es am Ende.
Vielleicht findet sich ein Regisseur, der nicht sein Stück, sondern das des Autors spielen lässt. Denn diesem wundersamen Ironiegebilde und Welttheaterstück darf nichts abgezwackt oder hinzugefügt werden.
Ob es uns wirklich hilft, mit unserem Geschwätz, unseren die Hilflosigkeit und Ergebenheit tarnenden Reden konfrontiert zu werden, wer weiß … Aber den Versuch wäre es wert, die Hoffnung auch dieses Autors, die Welt ein wenig besser machen zu können, auf die Probe zu stellen. Und wenn es zunächst nur eine Probe auf dem Theater wäre, im Sinne des natürlich auch hier zitierten Goethe – der sich in illustrer Zitatengesellschaft befindet: Tacitus, Angelus Silesius, Alfred Brehm (der Tierleben-Brehm). Goethe gab der Welt zu bedenken, dass alles Vergängliche nur ein Gleichnis sei. Das Gleichnis Philipp Ammons ist ein einprägsames, auch wenn ein wirklich barmherziger Samariter zunächst ausbleibt.
Philipp Ammon: Get your kicks. Ein altes Gleichnis, Moloko Print 2025, 71 S., 15 €.