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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Tagebuch: Bürgerversammlung gegen Flüchtlinge

5.Juni 2024: In der Köl­ner Agnes­kir­che, die dem Agnes­vier­tel, in dem ich lebe, sei­nen Namen gibt, fand am Abend eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung statt: Zum Umbau der nahe­ge­le­ge­nen ehe­ma­li­gen Ober­fi­nanz­di­rek­ti­on als Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung für Flücht­lin­ge. Ver­tre­ter der Stadt Köln und der Bezirks­re­gie­rung Köln erläu­ter­ten das Pro­jekt. Die Kir­che war voll; die Stim­mung schon zu Beginn der Ver­an­stal­tung angespannt.

Die Bezirks­re­gie­rung Köln ist für die Unter­brin­gung von fünf Pro­zent aller in Deutsch­land ankom­men­den Flücht­lin­ge zustän­dig. Das bedeu­tet - gemein­sam mit den Städ­ten - auch die Suche nach pas­sen­den Gebäu­den. Und eine gerech­te Ver­tei­lung. Flücht­lings­un­ter­künf­te sol­len nicht nur in den ärme­ren Stadt­tei­len, son­dern auch in den schicken Vier­teln der Mit­tel­schicht ein­ge­rich­tet wer­den. Zum Bei­spiel eben im gen­tri­fi­zier­ten Agnes­vier­tel mit sei­nen vie­len Eigen­tums­woh­nun­gen und gastro­no­mi­schen Ein­rich­tun­gen. Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men, aber auch alte Men­schen kön­nen hier nicht mehr leben: Die Mie­ten viel zu hoch, der Cap­puc­ci­no ein Luxus­ar­ti­kel, Ein­zel­han­dels­ge­schäf­te für den all­täg­li­chen Bedarf: Fehl­an­zei­ge. Es gibt nur noch Rewe und natür­lich Ama­zon. Aber auch immer mehr Obdach­lo­se, die auf die Almo­sen der Wohl­ha­ben­den hoffen.

Eine Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung ist – wie das Wort schon sagt – die erste Sta­ti­on für neu ankom­men­de Flücht­lin­ge. Dort wer­den sie regi­striert und ärzt­lich unter­sucht. Außer­dem erhal­ten sie (wenn es gut geht) eine Bera­tung und kön­nen ihre Asyl­an­trä­ge stel­len. Nach eini­gen Wochen wer­den sie einer kreis­frei­en Stadt oder einem Land­kreis zuge­wie­sen und dort bis zum Ende ihrer Ver­fah­ren in einer »nor­ma­len« Flücht­lings­un­ter­kunft unter­ge­bracht. Die neue Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung für bis zu 500 Men­schen im Agnes­vier­tel, die wohl im Früh­jahr 2026 eröff­net wird, soll eine Flücht­lings­un­ter­kunft im Köl­ner Süden erset­zen. Dort wird nun – zur Erleich­te­rung der Anwoh­ner – eine Schu­le gebaut werden.

Wäre ich ein­fach so in die Agnes­kir­che gegan­gen, zum Bei­spiel um Gott in einem Gebet anzu­fle­hen, dass er den Men­schen mehr Mit­ge­fühl für Flücht­lin­ge und ihre trau­ma­ti­schen Bela­stun­gen schen­ken möge, ich hät­te gedacht, dass ich in einer AfD-Ver­samm­lung gelan­det bin. Nach den Infor­ma­tio­nen der offi­zi­el­len Ver­tre­ter durf­ten die anwe­sen­den Bür­ger Fra­gen stel­len. Was sie in der Regel nicht taten. Die Mehr­heit der­je­ni­gen, die sich an das Mikro­phon im Mit­tel­gang stell­ten, hat­te kei­ne Fra­gen, son­dern längst eine Mei­nung – gegen die Erstaufnahmeeinrichtung.

Man sorg­te sich, dass die Flücht­lin­ge »frei durch das Agnes­vier­tel lau­fen« könn­ten, einer der Red­ner woll­te gar wis­sen, ob es sein kön­ne, dass dann »Flücht­lin­ge neben uns im Café sit­zen?«; man sorg­te sich, dass die Immo­bi­li­en­prei­se im Vier­tel wegen der Flücht­lin­ge sin­ken könn­ten; man sorg­te sich um die jun­gen Frau­en, die im klei­nen Park am Theo­dor-Heuss-Ring um die Ecke »im Som­mer ger­ne oben ohne in der Son­ne lie­gen« und in Zukunft stän­dig Angst haben müss­ten, »von Flücht­lin­gen belä­stigt zu wer­den«. Man for­der­te, im Gebäu­de der Ober­fi­nanz­di­rek­ti­on lie­ber Woh­nun­gen zu bau­en, um etwas gegen die herr­schen­de Woh­nungs­not zu unter­neh­men; man beschwer­te sich über die hohen Umbau­ko­sten, das Geld sich »sowie­so nicht mehr«, will in abseh­ba­rer Zeit dank der ver­schärf­ten Grenz­kon­trol­len und ande­re Maß­nah­men der EU »nicht mehr so vie­le Flücht­lin­ge nach Deutsch­land kom­men wer­den – glücklicherweise«.

Eben­so bedrückend wie die­se Aus­sa­gen, war eine Erfah­rung mit mir selbst. Es koste­te mich näm­lich Mut, in die­ser feind­li­chen, aggres­si­ven Umge­bung ans Mikro­phon zu gehen. Und u.a. zu fra­gen, was denn nach Ansicht der Anwe­sen­den mit den Flücht­lin­gen gesche­hen sol­le? Erschie­ßung an der Gren­ze? Oder Tod durch Ertrin­ken im Mit­tel­meer? Ich jeden­falls sei der Mei­nung, dass das rei­che Agnes­vier­tel sei­ner sozia­len Ver­pflich­tung nach­kom­men müs­se. Das auf­bran­den­de aggres­si­ve Wut­ge­heult, die »Aufhören!«-Rufe mach­ten mir Angst. Mei­ne Knie zitterten.

Das also macht mir schon Angst? Dafür brau­che ich schon Mut? Was wer­de ich tun, wenn die Stim­mung gegen Flücht­lin­ge noch schlim­mer, noch feind­se­li­ger, noch auf­ge­hetz­ter, noch bru­ta­ler wird? Oder wenn die Obdach­lo­sen der Sau­ber­keit und Ord­nung wegen weg­ge­räumt wer­den. Ein­fach den Mund halten?

Ich kann­te vie­le Gesich­ter in der Kir­che, schließ­lich lebe ich schon lan­ge hier im Vier­tel, doch natür­lich weiß ich nicht, wer wel­cher Par­tei nahe­steht. Aber ich weiß, dass knapp 40 Pro­zent der Vier­tel­be­woh­ner bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl grün gewählt haben, also in ihrem Selbst­ver­ständ­nis zur Avant­gar­de für eine bes­se­re Welt gehö­ren. Immer­hin gab es aus den letz­ten bei­den Rei­hen in der Kir­che Applaus für mei­nen Rede­bei­trag. Poten­ti­el­le Ver­bün­de­te viel­leicht. Wir müs­sen uns finden!

 

 

Ausgabe 15.16/2025