»Ich halte den verzweifelten Optimisten für den Realisten der Zeit. Solange ich in einer Welt lebe, in der ich die Freiheit habe, Fragen zu stellen, in der ich keine Angst haben muss, Autoritäten anzuzweifeln, gibt es Hoffnung.« So der jüdische Publizist und Jurist Michel Friedman in einem aktuellen Interview. Er selbst bezeichnet sich als einen »verzweifelten Demokraten« und hat seine Ängste und Bedenken in einem aktuellen Buch zum Ausdruck gebracht. Dabei ist er offenbar jetzt an einem Punkt angelangt, wo es ihn drängt, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Er sieht die Demokratie in Gefahr, vor allem, weil nicht genügend Menschen an ihrer Erhaltung mitwirken und eine gewisse Gleichgültigkeit bzw. Agonie Einzug gehalten hat. Die bestehende Freiheit wird von vielen als gegeben hingenommen und als selbstverständlich angesehen. Friedman macht deutlich, dass dies nicht so ist und die Demokratie täglich neu verteidigt werden muss.
In ihrem Mittelpunkt steht der Mensch und letztlich auch die Liebe zum Menschen. Die Unantastbarkeit seiner Würde ist verfassungsrechtlich verbürgt. Dennoch bereitet ihm Sorge, »wie ein großer Teil der Menschen aus der Geschichte nicht lernt«. Die Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit der Meinungen sind ihm wichtig. Sie gehören zur Demokratie, und der Streit kann dieser nur förderlich sein. Er muss aber in gepflegter Kultur ausgetragen werden und mit gegenseitigem Respekt. Daran mangelt es heute oftmals; nicht selten wird dieser Mangel durch soziale Netzwerke gefördert. Hass, Gewalt und Bedrohung sind leider vielfach Alltag geworden und begleiten die Menschen.
Beleidigungen und auch Bedrohungen war Friedman selbst in seinem Leben oft ausgesetzt, auch zwei Attentatsversuche hat es gegeben. Einen absoluten Schutz kann der Staat nicht garantieren. Manche Gegenden in Berlin sind für bestimmte Personengruppen gefährlicher als andere. Wer Kippa trägt, zeigt Bekenntnis und Mut. Leider gibt es aber Mitmenschen, die sich dadurch scheinbar provoziert fühlen und mit psychischer oder physischer Gewalt reagieren. Antisemitische Straftaten sind auf dem Vormarsch. Sehr zu Recht verweist Friedman darauf, dass Demokratie Vertrauen braucht – das sich aber gesellschaftlich auf dem Rückzug befindet. Michel Friedman formuliert es so: »Der Vertrauensverlust beginnt dort, wo Erwartungen und Realität auseinanderklaffen.« Dabei treibt ihn die Frage um, was wirklich aus der Vergangenheit gelernt wurde. Brechts Warnung, dass der Schoß noch immer fruchtbar ist, hat erschreckende Aktualität. »Wer jetzt nicht eingreift, macht sich zum Komplizen. Jetzt gilt es, zu denken und zu reden, und zu handeln.«
Diese Aufforderung ist mehr als überfällig, und es bleibt zu hoffen, dass sie genügend Adressaten erreicht, die sich davon angesprochen fühlen. Die Rechtsentwicklung in vielen europäischen Ländern trägt zusätzlich dazu bei, dass die Sorge um die Erhaltung der Demokratie steigt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde, gilt weiterhin. Dennoch beobachten wir mit Sorge die innerstaatliche Entwicklung in vielen Ländern.
»Der Mensch ist nicht unmündig und die Geschichte hat bewiesen, dass Diktatoren und Autokraten sich nicht ewig an der Macht halten können.« Das 21. Jahrhundert – ein Zeitalter, das uns hätte nach vorn bringen sollen, geostrategisch, geopolitisch. Stattdessen erleben wir ein gefährliches Zurückfallen in die alten Muster. »Es geht um Macht. Um Geld. Um die Fantasien imperialer Größenwahnträume.«
Auch wenn die Erkenntnisse nicht neu sind, kann man Friedman nur nachhaltig zustimmen. Dennoch bleibt er verhalten optimistisch: »Das demokratische System wird sich weiterentwickeln müssen – auf der Basis seiner fundamentalen Grundrechte. (…) Der kritische Dialog braucht die offene Bühne. (…) Wir brauchen Dialog. Öffentlichkeit. Eine neue Streitkultur. Eine neue Demokratie. Eine ehrlichere Demokratie.« Wir sollten weiter zweifeln, auch gelegentlich weiter irren, aber an den Menschen glauben.
Michel Friedman: Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten, Berlin Verlag 2025,140 S., 20 €.