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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Verletzlichkeit

Seit Mai 2024 gibt es mit der »Biblio­thek der ver­brann­ten Bücher« auf dem Pots­da­mer Bas­sinplatz einen Gedenk­ort an die Bücher­ver­bren­nun­gen vom 22. Mai 1933 in Pots­dam und Nowa­wes (Ossietzky 12/​2024). Die Biblio­thek wur­de aus Bücher­spen­den auf­ge­baut und in einer rot gestri­che­nen, mit einem klei­nen Bücher­re­gal aus­ge­stat­te­ten Tele­fon­zel­le aus­ge­stellt. Auf einer Infor­ma­ti­ons­ta­fel wer­den die Hin­ter­grün­de erklärt.

Jeden Monat, immer am 22., wur­de die Biblio­thek seit­her für das Publi­kum geöff­net, damit neue Bücher ein­ge­stellt wer­den konn­ten. Außer­dem fand eine klei­ne Lesung aus den hier aus­ge­stell­ten Wer­ken statt. Anders als das Mahn­mal auf dem Ber­li­ner Bebel­platz, wo die in den Biblio­the­ken ent­stan­de­ne Lee­re ein­drucks­voll insze­niert und expo­niert ist, ver­sucht die Pots­da­mer Gedenk­bi­blio­thek, die Viel­fäl­tig­keit und Leben­dig­keit der 1933 von den Natio­nal­so­zia­li­sten ver­fem­ten und zur Ver­nich­tung aus den Biblio­the­ken aus­ge­son­der­ten Bücher erfahr­bar zu machen. Nicht nur durch die ver­schie­de­nen Aus­ga­ben, die hier aus­ge­stellt wer­den, son­dern auch durch die regel­mä­ßi­gen Lesun­gen. Gele­sen wur­de u. a. aus Erich Käst­ners »Fabi­an«, Ber­tha von Sutt­ners Roman »Die Waf­fen nie­der!«, Alex Wed­dings »Ede und Unku«, Erich Maria Remar­ques »Im Westen nichts Neu­es« sowie aus Wer­ken von Kurt Tuchol­sky, Lion Feucht­wan­ger, Rosa Luxem­burg, Anna Seg­hers und Arnold Zweig. Der Vor­trag über die Weltbühne in Pots­dam wur­de in Heft 18/​2024 abge­druckt. Beson­ders bewe­gend war die Lesung aus »Ede und Unku«. Nach der Ver­an­stal­tung wur­de immer noch wei­ter aus dem Buch vor­ge­le­sen. Und in der Tele­fon­zel­le stand lan­ge ein Blu­men­strauß für Unku und die von den Natio­nal­so­zia­li­sten ver­folg­ten Sin­ti und Roma.

Auch in ande­ren Städ­ten gibt es ver­gleich­ba­re Initia­ti­ven und Gedenk­or­te, etwa in Ber­lin auf dem Bebel­platz, in Mün­chen am Königs­platz, in Ham­burg Eims­büt­tel und im EGA-Park in Erfurt. Die Pots­da­mer Gedenk­bi­blio­thek wur­de bewusst als Pro­vi­so­ri­um ein­ge­rich­tet, aus Unge­duld über einen von der Pots­da­mer Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung gefass­ten Beschluss, des­sen Umset­zung seit Jah­ren ver­zö­gert wird. Die Initia­ti­ve hat gezeigt, dass es für eine leben­di­ge Gedenk­ar­beit kei­ne umfang­rei­chen Vor­be­rei­tun­gen braucht, kei­ne auf­wen­di­gen Gestal­tungs-Ent­wür­fe und kei­ne beson­de­ren finan­zi­el­len Auf­wen­dun­gen. Alles, was nötig war, hat die Initia­ti­ve in ehren­amt­li­cher Tätig­keit in Eigen­lei­stung geschaf­fen. Natür­lich fand sie viel Anklang und Unter­stüt­zung, u. a. von den Omis gegen rechts, dem Pots­da­mer Moses Men­dels­sohn Zen­trum, dem Rechen­zen­trum, dem Bücher­la­den Sput­nik und von vie­len ein­zel­nen Per­so­nen. Auch Schul­klas­sen kamen, die sich für die Arbeit interessierten.

Die nun­mehr 1½-jäh­ri­ge Erfah­rung mit der Gedenk­ar­beit hat gezeigt, wie viel Geduld man braucht, um so einen Gedenk­ort am Leben zu hal­ten, und wie ver­letz­lich Gedenk­ar­beit im öffent­li­chen Raum ist. Immer wie­der kam es zu Angrif­fen auf die Biblio­thek. Nicht bei den Ver­an­stal­tun­gen, nicht wäh­rend der Lesun­gen, aber in den Zwi­schen­zei­ten. Mehr­fach wur­de die Biblio­thek auf­ge­bro­chen, Bücher wur­den ent­wen­det. Dage­gen ist an sich nichts zu sagen, wenn es sich um gei­sti­gen Mund­raub han­delt und durch jedes gestoh­le­ne Buch wenig­stens ein neu­er Leser gewon­nen wird. Lei­der war meist nicht die Neu­gier das Motiv, son­dern Hass und Zer­stö­rungs­lust. Im Okto­ber 2014 wur­den sogar Bücher vor der Biblio­thek ver­brannt. Außer­dem wur­den die Außen­wän­de der Biblio­thek immer wie­der beschmutzt und beschmiert. Zu den wich­tig­sten Arbeits­mit­teln der Initia­ti­ve, die sich auch um den Erhalt der Biblio­thek küm­mert, gehö­ren daher Putz­mit­tel und Lappen.

Die vor­erst letz­te Lesung fand am 22. Okto­ber 2025 statt. Zu hören war der Text »Ein älte­rer, aber leicht besof­fe­ner Herr« aus Tuchol­skys 1932 bei Rowohlt erschie­ne­nem Buch »Ler­ne lachen ohne zu wei­nen«. Außer­dem wur­den die beharr­li­chen Fra­gen der Frak­ti­on »die ande­re« an das Pots­da­mer Rat­haus und die hin­hal­ten­den Ant­wor­ten ver­le­sen. Das wirk­te auch bei­na­he wie ein Kaba­rett-Text von Tucho. Weni­ge Stun­den spä­ter wur­de die Biblio­thek mit mas­si­ver Gewalt zer­stört. Alle Schei­ben wur­den zer­trüm­mert. Außer­dem gab es einen Brand­an­schlag auf die ein­ge­stell­ten Bücher. Die Poli­zei ermit­telt. Es soll kein Anschlag aus dem rech­ten Milieu sein.

Deut­lich wird, wie ver­letz­lich Gedenk­ar­beit im öffent­li­chen Raum ist. Die Pots­da­mer Initia­ti­ve ist auch durch die­sen bru­ta­len Anschlag nicht ent­mu­tigt. Sie sam­melt Spen­den für die nöti­gen Repa­ra­tu­ren. Und sie hat den Gla­ser um einen Kosten­vor­anschlag gebe­ten, mit der festen Über­zeu­gung, dass die Welt nur durch fort­wir­ken­de Ver­nunft zu ändern ist, wie Lion Feucht­wan­ger 1930 in sei­nem Roman »Erfolg« schrieb: »Ich glau­be an gut­be­schrie­be­nes Papier mehr als an Maschinengewehre.«