Seit Mai 2024 gibt es mit der »Bibliothek der verbrannten Bücher« auf dem Potsdamer Bassinplatz einen Gedenkort an die Bücherverbrennungen vom 22. Mai 1933 in Potsdam und Nowawes (Ossietzky 12/2024). Die Bibliothek wurde aus Bücherspenden aufgebaut und in einer rot gestrichenen, mit einem kleinen Bücherregal ausgestatteten Telefonzelle ausgestellt. Auf einer Informationstafel werden die Hintergründe erklärt.
Jeden Monat, immer am 22., wurde die Bibliothek seither für das Publikum geöffnet, damit neue Bücher eingestellt werden konnten. Außerdem fand eine kleine Lesung aus den hier ausgestellten Werken statt. Anders als das Mahnmal auf dem Berliner Bebelplatz, wo die in den Bibliotheken entstandene Leere eindrucksvoll inszeniert und exponiert ist, versucht die Potsdamer Gedenkbibliothek, die Vielfältigkeit und Lebendigkeit der 1933 von den Nationalsozialisten verfemten und zur Vernichtung aus den Bibliotheken ausgesonderten Bücher erfahrbar zu machen. Nicht nur durch die verschiedenen Ausgaben, die hier ausgestellt werden, sondern auch durch die regelmäßigen Lesungen. Gelesen wurde u. a. aus Erich Kästners »Fabian«, Bertha von Suttners Roman »Die Waffen nieder!«, Alex Weddings »Ede und Unku«, Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« sowie aus Werken von Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Rosa Luxemburg, Anna Seghers und Arnold Zweig. Der Vortrag über die Weltbühne in Potsdam wurde in Heft 18/2024 abgedruckt. Besonders bewegend war die Lesung aus »Ede und Unku«. Nach der Veranstaltung wurde immer noch weiter aus dem Buch vorgelesen. Und in der Telefonzelle stand lange ein Blumenstrauß für Unku und die von den Nationalsozialisten verfolgten Sinti und Roma.
Auch in anderen Städten gibt es vergleichbare Initiativen und Gedenkorte, etwa in Berlin auf dem Bebelplatz, in München am Königsplatz, in Hamburg Eimsbüttel und im EGA-Park in Erfurt. Die Potsdamer Gedenkbibliothek wurde bewusst als Provisorium eingerichtet, aus Ungeduld über einen von der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gefassten Beschluss, dessen Umsetzung seit Jahren verzögert wird. Die Initiative hat gezeigt, dass es für eine lebendige Gedenkarbeit keine umfangreichen Vorbereitungen braucht, keine aufwendigen Gestaltungs-Entwürfe und keine besonderen finanziellen Aufwendungen. Alles, was nötig war, hat die Initiative in ehrenamtlicher Tätigkeit in Eigenleistung geschaffen. Natürlich fand sie viel Anklang und Unterstützung, u. a. von den Omis gegen rechts, dem Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum, dem Rechenzentrum, dem Bücherladen Sputnik und von vielen einzelnen Personen. Auch Schulklassen kamen, die sich für die Arbeit interessierten.
Die nunmehr 1½-jährige Erfahrung mit der Gedenkarbeit hat gezeigt, wie viel Geduld man braucht, um so einen Gedenkort am Leben zu halten, und wie verletzlich Gedenkarbeit im öffentlichen Raum ist. Immer wieder kam es zu Angriffen auf die Bibliothek. Nicht bei den Veranstaltungen, nicht während der Lesungen, aber in den Zwischenzeiten. Mehrfach wurde die Bibliothek aufgebrochen, Bücher wurden entwendet. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, wenn es sich um geistigen Mundraub handelt und durch jedes gestohlene Buch wenigstens ein neuer Leser gewonnen wird. Leider war meist nicht die Neugier das Motiv, sondern Hass und Zerstörungslust. Im Oktober 2014 wurden sogar Bücher vor der Bibliothek verbrannt. Außerdem wurden die Außenwände der Bibliothek immer wieder beschmutzt und beschmiert. Zu den wichtigsten Arbeitsmitteln der Initiative, die sich auch um den Erhalt der Bibliothek kümmert, gehören daher Putzmittel und Lappen.
Die vorerst letzte Lesung fand am 22. Oktober 2025 statt. Zu hören war der Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr« aus Tucholskys 1932 bei Rowohlt erschienenem Buch »Lerne lachen ohne zu weinen«. Außerdem wurden die beharrlichen Fragen der Fraktion »die andere« an das Potsdamer Rathaus und die hinhaltenden Antworten verlesen. Das wirkte auch beinahe wie ein Kabarett-Text von Tucho. Wenige Stunden später wurde die Bibliothek mit massiver Gewalt zerstört. Alle Scheiben wurden zertrümmert. Außerdem gab es einen Brandanschlag auf die eingestellten Bücher. Die Polizei ermittelt. Es soll kein Anschlag aus dem rechten Milieu sein.
Deutlich wird, wie verletzlich Gedenkarbeit im öffentlichen Raum ist. Die Potsdamer Initiative ist auch durch diesen brutalen Anschlag nicht entmutigt. Sie sammelt Spenden für die nötigen Reparaturen. Und sie hat den Glaser um einen Kostenvoranschlag gebeten, mit der festen Überzeugung, dass die Welt nur durch fortwirkende Vernunft zu ändern ist, wie Lion Feuchtwanger 1930 in seinem Roman »Erfolg« schrieb: »Ich glaube an gutbeschriebenes Papier mehr als an Maschinengewehre.«