Die Galapagos-Insel Floreana gehört politisch zu Ecuador und hat ihren offiziellen Namen von Juan José Flores (1800-1864), dem ersten Präsidenten des Landes; alternativ wird sie auch Santa Maria genannt, nach dem Flaggschiff von Christoph Kolumbus, mit welchem dieser 1492 Amerika entdeckte.
An einem Tag im Monat März des Jahres 1934 verlor Floreana seine Kaiserin. Die Österreicherin Eloise Wagner de Bousquet, die als Baronin auftrat, die aber allgemein als Hochstaplerin angesehen wird und sich selbst zur Kaiserin der Insel gekürt hatte, war 1932 mit zwei deutschstämmigen Liebhabern sowie mit Kühen, Eseln und Hühnern nach Floreana gekommen, wo sie sofort eine dominante Rolle übernahm und ihre »Untertanen« drangsalierte. 80 Zentner Zement sollen ebenfalls an Bord des Schiffes gewesen sein, für den Bau eines Touristen-Hotels gedacht, aus dem jedoch nichts wurde. Einige Monate vor ihnen war aus Köln ein Ehepaar mit Sohn eingetroffen. Der Vater hatte seine Tätigkeit im Büro von Oberbürgermeister Konrad Adenauer aufgegeben, in der Hoffnung, auf Floreana ein »selbstbestimmtes Leben, fern von allen Zwängen« führen zu können.
Angelockt wurden die Neuankömmlinge von begeisterten Zeitungsartikeln über die angebliche »Insel der Glückseligen«. Sie fußten auf Berichten von vor allem nordamerikanischer Schiffsreisender, die kurz in dem kleinen Hafen Station gemacht und auf der ansonsten unbewohnten Insel einen Berliner Zahnarzt und seine Lebensgefährtin angetroffen hatten, die sich dort 1929 niedergelassen hatten. Die beiden wollten der westlichen Zivilisation entfliehen und entsagen – einschließlich der Kleidung, wozu das Klima auf den Galapagos-Inseln mit Jahresdurchschnittstemperaturen von angenehm warm bis sommerlich heiß sie einlud. Die beiden Zivilisationsflüchtlinge wurden angetrieben von einem eklektischen Gemisch aus alternativen, esoterischen, mystizistischen, lebensreformerischen, aber auch rassistischen und antisemitischen Beweggründen. Und »so lebte das Paar, wie von Gott erschaffen, allein in seinem Garten Eden«, heißt es in Berichten.
Doch mit dem Eintreffen der Neulinge und weiterer Personen, die sich zeitweise auf der Insel aufhielten, veränderte sich der »paradiesische Zustand«. Schon bald kam es zu erheblichen Konflikten unter den Inselbewohnern, die zu dem bis heute unaufgeklärten Vorgang im März 1934 eskalierten. Seit jenem Tag fehlt jegliche Spur von der »Kaiserin« und einem ihrer Liebhaber. Heutzutage überwiegt die Hypothese, dass die beiden von zwei männlichen Inselbewohnern ermordet und den Haien zum Fraß vorgeworfen wurden.
Diese »Galapagos-Affäre« beschäftigte die internationale Öffentlichkeit derart, dass der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt 1938 im Zuge einer Südamerikareise auf der Insel Station machte. Kein Geringerer als Georges Simenon verfasste eine Reportage-Serie für die damalige Tageszeitung Paris-Soir, und er schrieb einen Kriminalroman mit dem Titel Ceux de la soif (auf Deutsch erschienen bei Diogenes unter zwei Titeln: … die da dürstet bzw. Hotel »Zurück zur Natur«). Journalisten, Schriftsteller, Historiker und auch Inselbewohner sorgten in der Folge mit Romanen, Reportagen, Analysen, Memoiren und filmischen Bearbeitungen international für ein starkes, bis zum heutigen Tage anhaltendes, die Fantasie anregendes publizistisches Echo. 2024 stellte der US-amerikanische Regisseur und Oscar-Preisträger Ron Howard in Toronto seinen spekulativen Survival-Thriller »Eden« vor, der im April dieses Jahres in die deutschen Kinos kam. Die Hispanistin, Anglistin und Romanistin Michi Strausfeld nutzte die Gunst der Stunde. Zeitnah erschien im Februar ihr neues Sachbuch über »deutsche Abenteuer in Lateinamerika« unter dem Titel »Die Kaiserin von Galapagos«. Den Ereignissen sind fünf Seiten gewidmet.
Strausfeld hat über Gabriel García Márquez und den neuen Roman Lateinamerikas promoviert und zahlreiche Materialbände und Anthologien über Lateinamerika herausgegeben. Bei Suhrkamp und danach bei S. Fischer war sie ab Mitte der 1970er Jahre für die spanisch-lateinamerikanische Literatur verantwortlich und hat zahlreichen südamerikanischen Autorinnen und Autoren den Weg in die deutschen Bücherregale geebnet. 2012 wurde sie von der Buchmesse Buenos Aires in die Liste der 50 wichtigsten Personen für die spanischsprachige Kulturwelt aufgenommen.
Strausfelds Buch passt zu einer weiteren aktuellen Nachricht. Mitte Mai meldeten Agenturen, Mitarbeiter des Obersten Gerichtshofs in Argentinien hätten im Rahmen eines Umzugs 83 Kisten mit Material aus der Zeit des Nationalsozialismus gefunden. Sie seien 1941 von der deutschen Botschaft in Tokio an Bord eines japanischen Dampfers nach Argentinien geschickt worden, als persönliche Gegenstände deklariert. Nachdem damals die Zollbehörden einige Kisten durchsucht hatten, habe ein Bundesrichter in Anbetracht der entdeckten Postkarten und Fotos, Notiz- und Mitgliedsbücher sowie des umfangreichen Propagandamaterials die Beschlagnahme verfügt. »Als wir eine der Kisten öffneten, fanden wir Material, das dazu bestimmt war, die Ideologie Adolf Hitlers während des Zweiten Weltkriegs in Argentinien zu festigten und zu verbreiten«, stellte der Gerichtshof 84 Jahre später fest.
Auf welch fruchtbaren Boden die NS-Ideologie schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg in den deutschen Gemeinden in Lateinamerika gefallen war, nicht nur in Argentinien, sondern ebenso in Brasilien, Bolivien, Guatemala, Kolumbien, Uruguay, Chile oder Mexiko, das lässt sich in Strausfelds Buch nachlesen. Ebenso wird die »Rattenlinie« genannte Helferkette thematisiert, in die sich auch der Vatikan eingereiht hatte und auf der die meisten Nazis nach Kriegsende Südamerika erreichten, so auch Adolf Eichmann, Josef Mengele, Erich Priebke und Eduard Roschmann, der »Schlächter von Riga«. Sie konnten in Argentinien, Paraguay und Brasilien, auch dank der Unterstützung aus den deutschen Gemeinden, ein »normales« Leben führen. So wie Klaus Barbie, der »Schlächter von Lyon«, der unter Schutz britischer und dann US-amerikanischer Behörden stand, die ihn als Agenten beschäftigten und ihm bei der Einreise nach Bolivien halfen, wo er als militärischer Berater und Waffenschmuggler für den Diktator Hugo Banzer tätig war. Aber auch in anderen Ländern standen Nazis unter dem Schutz der jeweiligen Regierungen und wurden häufig zu deren politischen oder militärischen Beratern. Nachzulesen bei Michi Strausfeld.
Doch es gibt auch »unübersehbare« positive Spuren aus jener Zeit in Lateinamerika, und zwar die der jüdischen und politischen Emigration aus Deutschland und anderen Ländern Europas. Das Personenregister des Buches liest sich wie ein Who’s Who des Kultur- und Geisteslebens jener Zeit. Hervorheben möchte ich die Passage über den »bolivianischen Schindler«, den im baden-württembergischen Biblis geborenen Moritz Hochschild, der 1919 als studierter Bergbauingenieur emigrierte, in Chile und dann in Bolivien erfolgreich war und zu einem »legendären Zinnbaron« aufstieg, »märchenhaft reich und politisch mächtig«. Als »agnostischer Jude« soll er neuntausend, vielleicht sogar 20 000 Flüchtlingen die Überfahrt aus Europa bezahlt und Zuflucht in Bolivien verschafft haben. Strausfeld: »Als aber immer mehr Länder die Einreise von Juden erschwerten, (…) setzte er seinen Einfluss bei der bolivianischen Regierung und seinen Reichtum ein, damit das Land den Flüchtlingen die Einreise erlaubte und ihnen ein Stück Land zuteilte.«
So bietet »Die Kaiserin von Galapagos« auf »nur« 264 Seiten chronologisch und nach Ländern geordnet eine Fülle von Informationen. Namen, Orte, Zitate, ein kompakter Reader, der zum Weiterlesen und Weitersuchen anregt.
Das bisher Geschilderte umfasst allerdings nur einen Teil des Buches, das sich nicht in «deutschen Abenteuern« erschöpft, wie der Untertitel lautet. Die Lesereise beginnt im Jahr 1492, durchpflügt die Jahrhunderte spanischer und portugiesischer Räuberei, die »ordentlichen« Missionsversuche, vor allem der Jesuiten, die Auslöschung und Versklavung indigener Völker, die Auswanderungswellen aus Europa, aus Not und Armut und Verfolgung, die Suche nach dem El Dorado, dem Goldland.
Das Buch schließt mit einem Bedauern: dass seit den 1990er Jahren das Interesse an Lateinamerika nachgelassen habe, nach dem Hype in den 1970er Jahren, für den Stichworte wie Castro/Kuba, Allende und Unidad Popular/Chile, Frente Sandinista/Nicaragua und die Solidaritätsbewegungen stehen. Strausfeld: Zwar »lassen sich noch immer Reisende, Auswanderer und Unternehmer vom Kontinent, seinen Menschen und seiner Kultur faszinieren. Die deutsche – und zum Großteil auch die europäische – Politik scheint hingegen das Interesse an Lateinamerika verloren zu haben und denkt vornehmlich an den Einkauf der nötigen Rohstoffe, um den eigenen Wohlstand aufrechtzuerhalten.«
Michi Strausfeld: Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika, Berenberg, Berlin 2025,264 S., 24 €. – Strausfeld erwähnt in ihrem Buch auch den Deutsch-Argentinier Carlos Gesell (1891-1979), der fast 2000 Hektar Dünenland südlich von Buenos Aires kaufte, um dort eine Siedlung zu gründen. Sie besteht bis heute. Uwe Timm beschreibt in seinem Buch »Der Verrückte in den Dünen« das Vorhaben (siehe Ossietzky 18/2020, »Vom Nachdenken über die Kraft der Utopie«).