Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Wenn alles Fake sein kann

Die Aus­wüch­se von KI beein­flus­sen mitt­ler­wei­le auch die Dis­kus­sio­nen über Lehr­plä­ne an Schu­len und Hoch­schu­len. So wird dis­ku­tiert, die Fach­ar­beit an Schu­len, wie aktu­ell in Nie­der­sach­sen, und die Abschluss­ar­bei­ten an Hoch­schu­len abzu­schaf­fen, aus Sor­ge davor, sie könn­ten zu gro­ßen Tei­len mit­hil­fe von KI geschrie­ben wor­den sein. Mit­hil­fe von KI, zum Bei­spiel in Form von ChatGPT, Goog­le Gemi­ni oder Per­ple­xi­ty AI, las­sen sich näm­lich inner­halb kür­ze­ster Zeit umfang­rei­che Text­men­gen erstel­len. Aus die­sem Grund hat die Fakul­tät für Betriebs­wirt­schaft der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät in Prag die Bache­lor­ar­bei­ten abgeschafft.

Durch die Mög­lich­kei­ten des Inter­nets, die schier unend­li­che Mas­se an dort auf­find­ba­ren Quel­len, ist der Gang in die Büche­rei ohne­hin sel­ten gewor­den. Mit­hil­fe von KI las­sen sich heu­te gan­ze Tei­le von Haus­ar­bei­ten zu spe­zi­fi­schen The­men ver­fas­sen, die einer Bewer­tung in vie­len Fäl­len stand­hal­ten sol­len. Wenn die Fach- oder Abschluss­ar­beit nicht mehr selbst ver­fasst wird, son­dern nie­der­schwel­lig mit­hil­fe von KI gene­riert wer­den kann, ver­liert sie zwei­fels­oh­ne ihren ursprüng­li­chen Wert. Die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit einem The­ma, die Ent­wick­lung einer For­schungs­fra­ge, die eigen­stän­dig nach wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­ri­en dis­ku­tiert und beant­wor­tet wird, waren über Jahr­zehnt feste Bestand­tei­le der schu­li­schen sowie aka­de­mi­schen Ausbildung.

Nun schei­nen genau sol­che Lei­stungs­nach­wei­se auf­grund von KI bald nicht mehr mög­lich. Die Gefahr ist dann groß, dass wesent­li­che Kom­pe­ten­zen, die für das wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten erfor­der­lich sind, lang­fri­stig ver­lo­ren gehen. Gera­de das kri­ti­sche Ein­ord­nen von Infor­ma­tio­nen, das Hin­ter­fra­gen von geglaub­ten Rea­li­tä­ten und das Fin­den evi­denz­ba­sier­ter Wahr­hei­ten wur­den bei der Erstel­lung einer Fach- oder Abschluss­ar­beit gelernt. Das sind Fer­tig­kei­ten, die auch für eine poli­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on und damit für das demo­kra­ti­sche Zusam­men­le­ben von zen­tra­ler Bedeu­tung sind.

Ana­log erhöht KI selbst das Risi­ko von Mani­pu­la­ti­on in Form von Fake News, die über Algo­rith­men den Kon­su­men­ten zukom­men und zu Bewusst­seins­ver­zer­run­gen füh­ren. Ist das Bild real oder doch nur eine KI-Pro­duk­ti­on? Ent­spricht die­se Infor­ma­ti­on der Wahr­heit oder ist sie ein Fake? Sind die genann­ten Zah­len fin­giert oder kor­rekt? Han­delt es sich bei der Stu­die um eine den wis­sen­schaft­li­chen Maß­stä­ben ent­spre­chen­de Arbeit oder sind ihre Ergeb­nis­se kri­tisch einzuordnen?

Plötz­lich kann alles Fake sein und wir ver­lie­ren die Kom­pe­tenz zwi­schen dem Rich­ti­gen und Fal­schen, Wah­ren und Unwah­ren, Wis­sen­schaft­li­chen und Unwis­sen­schaft­li­chen sowie Rea­len und Nicht-rea­len zu dif­fe­ren­zie­ren. Wenn alles Fake sein kann, kommt es zu einer Ver­schie­bung sub­jek­ti­ver und objek­ti­ver Rea­li­tä­ten, die Demo­kra­tien welt­weit unter Druck setzen.

Das selbst­stän­di­ge Erstel­len einer schrift­li­chen Arbeit ist viel mehr, als bloß ein paar Text­sei­ten sach­lo­gisch anein­an­der­zu­rei­hen. Daher soll­te es auch wei­ter­hin einen festen Platz in den Cur­ri­cu­la der Schu­len und Hoch­schu­len fin­den. Die kon­kre­te Umset­zung der Erstel­lung muss sich dabei aber an den neu­en Rah­men­be­din­gun­gen ori­en­tie­ren. Denk­bar wäre es, zu spe­zi­fi­schen The­men eine Arbeit vor Ort in der Schu­le oder Hoch­schu­le zu ver­fas­sen und dort einen umfang­rei­chen Pool aus­ge­wähl­ter Fach­li­te­ra­tur vor­zu­hal­ten, der dann genutzt wer­den kann, oder bes­ser gesagt, genutzt wer­den muss – denn die KI-Nut­zung soll­te in die­sen Erar­bei­tungs­räu­men vor der Tür bleiben.

Alter­na­tiv könn­ten die Bedeu­tung und mög­li­che Gefah­ren von sowie der Umgang mit KI vor­be­rei­tend zur Haus­ar­beits­er­stel­lung behan­delt wer­den. Das fer­ti­ge Ergeb­nis der Fach- oder Abschluss­ar­beit müss­te bei der Beno­tung weni­ger Gewich­tung erfah­ren. Viel­mehr soll­te dann im Rah­men der Haus­ar­beits­er­stel­lung der Schreib­pro­zess enger und dis­kur­si­ver beglei­tet und zum bear­bei­te­ten The­ma münd­li­che Prü­fun­gen durch­ge­führt oder Refe­ra­te gehal­ten wer­den. Sie ermög­li­chen eine tief­ge­hen­de Aus­ein­an­der­set­zung und Über­prü­fung, inwie­weit das The­ma eigen­stän­dig gene­riert wurde.