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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wortfindungsstörungen

Tat­säch­lich

Das Wort wird neu­er­dings häu­fig gebraucht von Fern­seh­jour­na­li­sten und ihren Kol­le­gin­nen. Natür­lich auch von deren Gesprächs­part­nern. »Tat­säch­lich haben wir in NN noch Spu­ren des Oster­fe­stes ent­deckt.« Eine Stu­den­tin: »Tat­säch­lich kre­ieren wir die Mode für die­se Kli­en­tel.« Am Tele­fon höre ich: »Tat­säch­lich haben wir ver­sucht, Sie zu errei­chen.« Es scheint, als sei die Bekräf­ti­gung, dass sich etwas so und so ver­hält oder sich ereig­net hat, zwin­gend. Wir müs­sen uns des­sen, was wir sagen, offen­bar dau­ernd selbst ver­si­chern. Viel­leicht been­den dar­um auch so vie­le ihre Sät­ze mit: »Und ja!« Ver­wen­den wir »tat­säch­lich«, muss das Wort aber den Satz ein­lei­ten, um zu wirken.

Resi­li­ent und vul­nerabel

Die­se Wör­ter tauch­ten mit der Coro­na-Pan­de­mie auf und ver­brei­te­ten sich mit der Geschwin­dig­keit von deren Erre­gern – und mutier­ten wie die­se. Inzwi­schen ist man in fast allen Berei­chen der Gesell­schaft resi­li­ent oder noch nicht aus­rei­chend resi­li­ent, wie etwa auf mili­tä­ri­schem Gebiet, wie dau­ernd ver­si­chert wird. In der Coro­na-Zeit muss­ten zuerst die vul­ner­ablen Grup­pen geimpft wer­den, jetzt haben vul­nerable Per­so­nen die Chan­ce, trotz ver­schärf­ter Grenz­kon­trol­len ein­rei­sen zu dür­fen. Nun müss­ten wir die Vul­ner­ablen nur noch resi­li­en­ter machen.

Gern

»Kom­men Sie gern vor­bei, um Ihren Auf­trag abzu­ho­len.« »Rufen Sie uns gern an.« Wie schön war es, als ich noch sagen konn­te, dass ich die­ses und jenes gern oder nicht gern tue, esse oder las­se. Nun gut, die­ses Wort hat mit »begeh­rend« zu tun, nichts Schlech­tem also, wie­wohl auch die »Gier« zur Fami­lie gehört. Frei­lich for­dern Fuß­ball­trai­ner von ihren Spie­lern auch »Gier«, und wenn sie ver­lie­ren, war die­se nicht groß genug. Aber wie aus­sa­ge­kräf­tig sind die Wör­ter, die Johann Chri­stoph Ade­lung (1732 bis 1806) im Zusam­men­hang erwähnt: »Tadel­gern«, »Trink­gern«, »Habe­gern«, »Zank­gern«, »Spiel­gern«. Da suche ich mir gern etwas aus. Aber mit »Kom­men Sie gern vor­bei …«, damit kann man mich gernhaben.

Extrem, abso­lut, mega 

Wer die­se Wör­ter nicht ver­wen­det, beraubt sich wich­ti­ger Aus­drucks­mög­lich­kei­ten. Er kann weder sagen, dass die Stim­mung in einer Par­tei oder anders­wo ange­spannt oder schlecht sei, noch kann er sei­nem Gesprächs­part­ner signa­li­sie­ren, dass er ganz recht habe und dass man die erziel­te Eini­gung groß­ar­tig fin­det. Sol­che Sprach­ar­mut muss nicht sein.