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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zwei Leben gegen den Nazismus

Fil­me­ma­cher haben mit Unter­stüt­zung der VVN-BdA Nord­rhein-West­fa­len eine Repor­ta­ge über die Auf­ga­ben, Erfol­ge und Erschwer­nis­se der anti­fa­schi­sti­schen und Frie­dens-Arbeit in den Jahr­zehn­ten seit dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges gedreht – und haben dafür das Leben der bei­den Anti­fa­schi­sten und Frie­dens­kämp­fer Trau­te und Ulli San­der als roten Faden gewählt. Tie­fe Ein­blicke in die Wider­sprüch­lich­keit der Poli­tik in Nach­kriegs­deutsch­land hel­fen den­je­ni­gen, die den Film sehen, ihr Ver­ständ­nis für die Gegen­wart zu vertiefen.

Das Enga­ge­ment gegen alte und neue Nazis sowie gegen den Mili­ta­ris­mus und für die Bewah­rung der Erin­ne­rung an die Gräu­el­ta­ten der NS-Herr­schaft war früh schon auch ein Wider­stand gegen neue For­men der Behin­de­rung und Repres­si­on gegen demo­kra­ti­sches Han­deln. Die Restau­ra­ti­on auto­ri­tä­rer Macht­struk­tu­ren begann sofort nach Kriegsende.

Trau­te und Ulli San­der wur­den unge­fähr fünf Jah­re vor dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs gebo­ren, sie haben dadurch in den ersten Jah­ren ihrer Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung die Repres­si­on, den Krieg und die Dik­ta­tur der Nazis erlebt, aber auch eine Kon­ti­nui­tät, die in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Öffent­lich­keit von inter­es­sier­ten Krei­sen ver­drängt wurde.

Sie haben nicht nur den Bom­ben­krieg in der Schluss­pha­se des Krie­ges erlit­ten, son­dern muss­ten auch unmit­tel­bar nach der Befrei­ung vom Faschis­mus mit anse­hen, wie NS-Ver­bre­chern in den staat­li­chen Struk­tu­ren nach 1945 ihren Ein­fluss behiel­ten. Ulli San­der besuch­te bei­spiels­wei­se 1947 eine Schu­le am Bul­len­hu­ser Damm in Ham­burg-Rothen­burgs­ort; dort hat­ten die Nazis, als die bri­ti­sche Armee her­an­rück­te, noch kurz vor Kriegs­en­de 20 jüdi­sche Kin­der zwi­schen fünf und zwölf Jah­ren, an denen zuvor teils auch medi­zi­ni­sche Ver­su­che exer­ziert wor­den waren, ermor­det, um die­sen Miss­brauch von Men­schen als Ver­suchs­ob­jek­te zu ver­tu­schen. Ulli San­des Leh­rer wuss­ten davon, hat­ten aber die Auf­la­ge, nicht dar­über zu spre­chen. Ein Staats­an­walt kam damals zu dem Schluss, dass den Kin­dern‚ außer dass ihnen das Leben genom­men wur­de, nicht viel Grau­sa­mes zuge­sto­ßen sei. Damit ver­band der Staats­an­walt auch die Absicht, NS-Täter zu ent­la­sten. Was Ulli San­der am Bul­len­hu­ser Damm erleb­te, moti­vier­te ihn schon als Grund­schü­ler zu anti­fa­schi­sti­schem Enga­ge­ment. Er bekam früh mit, dass die Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes in meh­re­ren Bun­des­län­dern ver­bo­ten war.

Der Vater von Trau­te San­ders, der als Nazi-Geg­ner in Haft gewe­sen war, erhielt nach Kriegs­en­de kei­ne Ent­schä­di­gung, da er, wie es hieß, »kein ras­sisch Ver­folg­ter« war, son­dern sei­ne Wider­stands­tä­tig­keit »selbst gewählt« habe. Das Unrecht nicht zu ent­schä­di­gen, kommt sei­ner indi­rek­ten Bestä­ti­gung als Recht gleich.

Trau­te und Ulli San­der lern­ten sich in der Grup­pe namens Geschwi­ster-Scholl-Jugend ken­nen. Sie erfuh­ren dort auch vom Wider­stand wei­te­rer Nazi-Geg­ner, dar­un­ter der jüng­ste je von der NS-Justiz als Wider­stands­kämp­fer ermor­de­te Hel­mut Hüb­ner, der nur 17 Jah­re alt wur­de und wegen Hörens aus­län­di­scher Sen­der und Ver­brei­tung von deren Infor­ma­tio­nen das Todes­ur­teil erhielt. Die von Ulli San­der auf­ge­deck­ten Details über ihn wur­den zur Vor­la­ge für den Roman »Ört­lich betäubt« von Gün­ter Grass.

Der Film bringt wei­te­re Ein­blicke in die Ent­wick­lun­gen in Nach­kriegs­deutsch­land, die für das Ver­ständ­nis der gegen­wär­ti­gen Rechts­ent­wick­lung und Mili­ta­ri­sie­rung unver­zicht­bar sind. Dazu zählt das Ereig­nis, dass Bea­te Klars­feld den Bun­des­kanz­ler Kie­sin­ger vor den Kame­ras der Medi­en an der West­ber­li­ner Kon­gress­hal­le wäh­rend eines Par­tei­ta­ges ohr­feig­te, weil das einst hoch­ran­gi­ge NSDAP-Mit­glied nun Regie­rungs-Chef war. Sie ver­band die­se Tat mit der Kri­tik, dass wei­te­re ehe­ma­li­ge Nazis in West­deutsch­land in hohe Ämter auf­ge­nom­men wur­den, etwa der Mit­ver­fas­ser der Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­ze Glob­ke, der Kanz­ler­amts-Chef gewor­den war. In ähn­li­cher Wei­se klär­ten auch die San­ders immer wie­der über die meist bruch­lo­se Tra­di­ti­on im Wirt­schafts­le­ben auf, wo die Namen Krupp, Flick, Thys­sen, und wei­te­re Indu­stri­el­le trotz ihrer NS-Ver­wick­lung wei­ter­hin Geschäf­te machen und dafür lan­ge Jah­re auch Gewin­ne aus der NS-Kriegs­wirt­schaft ein­set­zen konnten.

Ull­rich und Trau­te San­der haben immer wie­der kri­ti­siert, dass vie­le Men­schen der NS-Ideo­lo­gie blind gefolgt sind, sich täu­schen lie­ßen und nach dem Krieg schnell die Ver­bre­chen ver­dräng­ten und ver­tusch­ten. Sie kri­ti­sie­ren, dass die Pro­pa­gan­da bis heu­te von Frie­den redet, wäh­rend der Waf­fen­han­del floriert.

Ulli San­der war bereits bei den ersten Oster­mär­schen in Deutsch­land aktiv. 1960 begann die­se bis heu­te andau­ern­de pazi­fi­sti­sche Bewe­gung gegen die Atom­rü­stung, sie zogen unter ande­rem zu Nato-Ein­rich­tun­gen und zum ehe­ma­li­gen Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ber­gen-Bel­sen. Sie knüpf­ten damit an das Mot­to des Wider­stands zum Ende des Zwei­ten Welt­kriegs an »Nie wie­der Faschis­mus! Nie wie­der Krieg!«. Auch die an die NS-Zeit anknüp­fen­de Tra­di­ti­ons­pfle­ge in der Bun­des­wehr deck­ten sie auf. Sie lie­ßen sich auch nicht von der anti­kom­mu­ni­sti­schen Pro­pa­gan­da beir­ren und pfleg­ten Kon­tak­te im Sinn der durch Wil­ly Brandt ver­stärk­ten Ost­po­li­tik, für die er den Frie­dens­no­bel­preis erhielt.

Die bei­den Zeit­zeu­gen machen an ihrem eige­nen Bei­spiel und an den Fak­ten, die sie auf­decken, deut­lich: Es gab nicht nur Opfer, es gab und gibt auch Wider­stand. Ihre Bot­schaft: Es lohnt sich, und es ist unse­re Ver­ant­wor­tung, die Erin­ne­rung wach zu hal­ten. Wir haben, sagen sie, die Ver­ant­wor­tung, uns für ein mensch­li­ches Leben ein­zu­set­zen, jeden Tag aufs Neue.

Der Film läuft hin und wie­der in Pro­gramm­ki­nos und Volks­hoch­schu­len, er ist auch über den VVN-BdA-Lan­des­ver­band NRW gegen eine Gebühr von 20 Euro erhält­lich: nrw@vvn-bda.de.