»Kriegstüchtig« oder »friedensfähig«? Das ist derzeit die Frage. Zur Veranschaulichung dieses Gegensatzes könnte ein Blick in die Vergangenheit hilfreich sein, und zwar in eine Epoche, als nur die Kriegstüchtigkeit zählte.
Im Jahre 1941 erschien ein »Kriegsalmanach Deutscher Dichtung« mit dem Titel: »Dichter unter den Waffen«. Das Heft war vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda herausgegeben worden. Es umfasste 64 Seiten sowie einen Nachtrag von 16 Seiten. Der Nachtrag wurde eingeleitet durch eine Traueranzeige, in der es heißt, dass zwei »von den in diesem Almanach vereinigten Dichtern (…) für Führer und Reich (starben)«. Dieser Nachtrag relativiert den euphorischen Ton der Beiträge im Hauptteil, die auf dem Hintergrund der damaligen Kriegssituation verfasst wurden: Bestimmend sind die Siege über Polen und Frankreich.
Der Aufbau des gesamten Heftes ist folgender: Auf jeweils einer Seite werden die »Dichter« in alphabetischer Reihenfolge mit einem Foto vorgestellt, das sie in Uniform zeigt. Neben diesem Foto wird ein Werksverzeichnis – in Fraktur – abgedruckt. Um einen Eindruck zu geben, genügt ein Blick auf den Buchstaben »B«: Günther L. Barthel: »Der große Glaube«, Ludwig Friedrich Barthel: »Das innere Vaterland« und »Komme, o Tag!«, Walter Best: »Völkische Dramaturgie«, Wulf Bley: »SA marschiert«.
Die Verfasser geben in den meisten Fällen Statements – zu ihrer Motivation für den Kampf, dessen Sinn usw. – von sich. In einigen Fällen wählen sie eine belletristische Form (Erzählung oder Gedicht). Schon an dieser Stelle ließen sich Unterschiede in der Schreibmotivation vermuten: Die belletristische Form erspart dem Verfasser explizite Äußerungen.
Von dieser möglichen Ausnahme abgesehen, ergibt sich ein einheitlicher Eindruck, der der Erwartung des Reichspropagandaministeriums entspricht: »(Es) ist eine besondere Ehrenpflicht, das Werk derjenigen Dichter herauszustellen, die dem Reiche mit der Waffe dienen.« Die Sammlung strotzt – wen wundert es! – von NS-Ideologie: »Volksgemeinschaft« und »innere Front«, »Ewigkeit des Volkes« und »gen Ostland reiten«, usw. Derlei findet sich allenthalben in der Literatur der damaligen Zeit.
Interessanter, weil näher am Thema – »Dichter unter den Waffen« –, sind etliche der Beiträge, die sich dann auch – in unterschiedlicher Weise – mit dem Bezug zwischen Buch und Kampf befassen. Persönlich und zugleich praktisch behandelt Kurt Kölsch das Thema: Er freut sich darüber, dass das »Westwall-Lied«, das er » kurz vor Ausbruch des Krieges« gedichtet hatte, »hernach viel gesungen wurde«. Walter Bach greift auf die »Parole auf unserem letzten Dichtertreffen in Weimar« – »Buch und Schwert« – zurück. (Dieses »Großdeutsche Dichtertreffen« fand im Jahre 1940 statt.) Er fährt fort: »Zum Glück habe ich einen Kompanieführer, der im Wesen dieses Wortes lebt, unsere Bücherkiste hat einen erfreulich lebhaften Zuspruch.« Wilhelm Ehmer beginnt seinen Beitrag mit den Worten: »Mit der Waffe des Geistes um die ewig unergründliche Seele des Volkes zu ringen, war seit jeher Auftrag des Dichters. Sein Glück ist es, wenn er in den großen Kampfzeiten der Nation diese Waffen den stählernen Werkzeugen hinzugesellen darf.«
Das Lesen wird in der Kampfatmosphäre in eine höhere Sphäre gehoben. So berichtet Hans Zöberlein: »Wo ich bisher noch hinkam, bei jeder Truppe, merkte ich die gewaltige Bedeutung des Buches für die Front. Es wird auf den Flugplätzen und in den Bunkern oder Vorfeldstellungen mit einer ganz anderen Inbrunst gelesen als im gewöhnlichen Leben.« Dass allenthalben gelesen wird, wird als Kulturleistung herausgestellt, und zwar schon seit dem Ersten Weltkrieg: Josef Günther Lettenmair berichtet: »Eines Tages im Weltkrieg bekamen wir auf unser U(-Boot) 29 eine Kassette mit hundert Reclam-Bändchen. Wir lächelten ein wenig, denn der Einfall des unbekannten Spenders schien uns neu und unerwartet. Nie zuvor waren Bücher unter den Liebesgaben gewesen. Sollten wir nun in der Freizeit sitzen und lesen? Das wollten wir eigentlich nicht tun. Dann aber, als wir wieder weit unten vor Afrikas Küsten schwammen, waren uns die kleinen Bändchen längst zu guten Freunden geworden.«
Offensichtlich ist, dass die brutale Eroberungspolitik, auch gegenüber den »Volksgenossen«, verhüllt werden sollte. So leitet Günther L. Barthel mit einem Bezug auf einen Klassiker ein: »Wir haben nichts anderes getan als das Hölderlin-Wort wahr gemacht, dass wir ›die Feder unter den Schreibtisch warfen‹.« Friedrich Bethge berichtet davon, wie ihn »von einem Gang durch das Vorfeld über ›friedliche‹ Wiesen, unter denen Minen ›schlummerten‹, (…) ein Bändchen Goethe oder Hölderlin-Hymnen zu Tränen erschüttern (konnten)«.
Dieser kitschige Gegensatz zwischen Todesnähe und hoher Dichtung wird im Rahmen der Broschüre unfreiwillig durch den Beitrag Walter Pegels als Vorwand bloßgestellt. Es handelt sich um eine offenbar humoristisch gemeinte kleine Geschichte, die damit beginnt, dass sich der »Spieß« bei einer Weihnachtsfeier gegenüber seinen Untergebenen unwillig äußert: »Ich sehe da verschiedene, die Bildung scheuen wie das Wasser ohne Rum. Den Schnaps, den haben sie gesoffen, den Kuchen haben sie gefressen, aber die Bücher haben sie nicht einmal ausgewickelt.« Er spricht sieben der Soldaten persönlich an und verpflichtet sie für den nächsten Nachmittag von 14 bis 16 Uhr zur Lektüre unter Aufsicht in dem Saal, in dem sie gerade feiern. Parole: »Friss, Vogel, oder stirb.« Während der Lektüre schlafen drei von ihnen ein. Der Spieß resümiert: »Drei sind daran gestorben, vier haben es gefressen. Der Prozentsatz ist nicht schlecht.«
Ernst zu nehmen sind dagegen Bemerkungen, aus denen die Ablehnung der Kultur hervorgeht, und zwar aus der Position des »Berichter-Soldaten«. So bezeichnet Wulf Bley die Frontberichterstatter. Es handelt sich in seinen Worten um »eine neue Waffe«. Er fährt fort: »Das hat es früher nicht gegeben und gibt es auch nur bei uns Deutschen.« Außer der militärischen misst er diesem Typ des Schriftstellers noch eine kulturpolitische Bedeutung bei: »Der Frontsoldat weiß, dass sein Erleben nicht von abseitigen Literaten, sondern von mitkämpfenden Kameraden gestaltet wird. Für das gesamte deutsche Schrifttum bedeutet die Entstehung dieses Schriftsteller-Typs einen weiteren entscheidenden Fortschritt [sic!] auf dem Wege der Entintellektualisierung, also zur Schlichtheit und Geradlinigkeit und allgemeinen Verständlichkeit des Geschriebenen.«
Zu diesem neuen »Schriftsteller-Typus« des »Berichter-Soldaten« gehörten damals sowohl der später mit einem 4-bändigen Barock-Roman (»Der Blaue Kammerherr« (1949) hervorgetretene Wolf von Niebelschütz als auch Heinz Schwitzke, der von 1951 bis 1971 Leiter der Hörspielabteilung des NWDR bzw. (ab 1955) des NDR war. Beide zählen zu der Minderheit der »Dichter unter den Waffen«, deren Namen heute noch bekannt sein dürften. Schwitzkes 1938 veröffentlichter Roman »Schwedischer Winter« wurde 1946 in Österreich in die »Liste der gesperrten Autoren und Bücher« aufgenommen. Er konnte aber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Karriere machen und geriet erst in den späten 1960er Jahren – und da auch nur mit seiner Hörspieltheorie – in Konflikt mit seinen Kollegen. Wolf von Niebelschütz galt als konservativer Autor, dessen vitaler Roman besonders im Gegensatz zur »Kahlschlag-Literatur« hervorstach – ein Fall für sich.
Nur wenige außer diesen »Dichtern unter den Waffen« hatten in der Nachkriegszeit einen so großen Bekanntheitsgrad, dass sich um sie eine Kontroverse hätte entwickeln können Diese schlug auch nur selten große Wellen: Manfred Hausmann konnte seinen Ruf in der Nachkriegszeit durch seine Wendung ins Christlich-Abendländische retten. Hermann Stahls Rolle im NS galt als umstritten, weil er mit Preisen bedacht worden war, andererseits nur knapp einem Verfahren vor dem »Volksgerichtshof« entgangen war.
Der einzige unter den »Dichtern unter den Waffen«, der heftig umstritten war, war Hans Baumann, Autor des Liedtextes »Es zittern die morschen Knochen«. Wikipedia resümiert: »Sein Erfolg als Autor von Jugendbüchern, die allesamt nach dem Krieg entstanden, internationale Anerkennung erfuhren und vielfach übersetzt wurden, blieb von seiner nationalsozialistischen Vergangenheit unbeeinträchtigt.«
Was ist aber aus den Verbliebenen der insgesamt 68 »Dichter unter den Waffen« in der Nachkriegszeit geworden? Legt man das – zugegebenermaßen grobkörnige – Kriterium zugrunde, ob zu ihnen ein Wikipedia-Eintrag existiert oder nicht, können zehn von ihnen als vergessen gelten. Die restlichen 58 werden von Wikipedia – zum Teil ausführlich – kritisch gewürdigt.