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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Dichter unter den Waffen«

»Kriegs­tüch­tig« oder »frie­dens­fä­hig«? Das ist der­zeit die Fra­ge. Zur Ver­an­schau­li­chung die­ses Gegen­sat­zes könn­te ein Blick in die Ver­gan­gen­heit hilf­reich sein, und zwar in eine Epo­che, als nur die Kriegs­tüch­tig­keit zählte.

Im Jah­re 1941 erschien ein »Kriegs­al­ma­nach Deut­scher Dich­tung« mit dem Titel: »Dich­ter unter den Waf­fen«. Das Heft war vom Reichs­mi­ni­ste­ri­um für Volks­auf­klä­rung und Pro­pa­gan­da her­aus­ge­ge­ben wor­den. Es umfass­te 64 Sei­ten sowie einen Nach­trag von 16 Sei­ten. Der Nach­trag wur­de ein­ge­lei­tet durch eine Trau­er­an­zei­ge, in der es heißt, dass zwei »von den in die­sem Alma­nach ver­ei­nig­ten Dich­tern (…) für Füh­rer und Reich (star­ben)«. Die­ser Nach­trag rela­ti­viert den eupho­ri­schen Ton der Bei­trä­ge im Haupt­teil, die auf dem Hin­ter­grund der dama­li­gen Kriegs­si­tua­ti­on ver­fasst wur­den: Bestim­mend sind die Sie­ge über Polen und Frankreich.

Der Auf­bau des gesam­ten Hef­tes ist fol­gen­der: Auf jeweils einer Sei­te wer­den die »Dich­ter« in alpha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge mit einem Foto vor­ge­stellt, das sie in Uni­form zeigt. Neben die­sem Foto wird ein Werks­ver­zeich­nis – in Frak­tur – abge­druckt. Um einen Ein­druck zu geben, genügt ein Blick auf den Buch­sta­ben »B«: Gün­ther L. Bart­hel: »Der gro­ße Glau­be«, Lud­wig Fried­rich Bart­hel: »Das inne­re Vater­land« und »Kom­me, o Tag!«, Wal­ter Best: »Völ­ki­sche Dra­ma­tur­gie«, Wulf Bley: »SA marschiert«.

Die Ver­fas­ser geben in den mei­sten Fäl­len State­ments – zu ihrer Moti­va­ti­on für den Kampf, des­sen Sinn usw. – von sich. In eini­gen Fäl­len wäh­len sie eine bel­le­tri­sti­sche Form (Erzäh­lung oder Gedicht). Schon an die­ser Stel­le lie­ßen sich Unter­schie­de in der Schreib­mo­ti­va­ti­on ver­mu­ten: Die bel­le­tri­sti­sche Form erspart dem Ver­fas­ser expli­zi­te Äußerungen.

Von die­ser mög­li­chen Aus­nah­me abge­se­hen, ergibt sich ein ein­heit­li­cher Ein­druck, der der Erwar­tung des Reichs­pro­pa­gan­da­mi­ni­ste­ri­ums ent­spricht: »(Es) ist eine beson­de­re Ehren­pflicht, das Werk der­je­ni­gen Dich­ter her­aus­zu­stel­len, die dem Rei­che mit der Waf­fe die­nen.« Die Samm­lung strotzt – wen wun­dert es! – von NS-Ideo­lo­gie: »Volks­ge­mein­schaft« und »inne­re Front«, »Ewig­keit des Vol­kes« und »gen Ost­land rei­ten«, usw. Der­lei fin­det sich allent­hal­ben in der Lite­ra­tur der dama­li­gen Zeit.

Inter­es­san­ter, weil näher am The­ma – »Dich­ter unter den Waf­fen« –, sind etli­che der Bei­trä­ge, die sich dann auch – in unter­schied­li­cher Wei­se – mit dem Bezug zwi­schen Buch und Kampf befas­sen. Per­sön­lich und zugleich prak­tisch behan­delt Kurt Kölsch das The­ma: Er freut sich dar­über, dass das »West­wall-Lied«, das er » kurz vor Aus­bruch des Krie­ges« gedich­tet hat­te, »her­nach viel gesun­gen wur­de«. Wal­ter Bach greift auf die »Paro­le auf unse­rem letz­ten Dich­ter­tref­fen in Wei­mar« – »Buch und Schwert« – zurück. (Die­ses »Groß­deut­sche Dich­ter­tref­fen« fand im Jah­re 1940 statt.) Er fährt fort: »Zum Glück habe ich einen Kom­pa­nie­füh­rer, der im Wesen die­ses Wor­tes lebt, unse­re Bücher­ki­ste hat einen erfreu­lich leb­haf­ten Zuspruch.« Wil­helm Ehmer beginnt sei­nen Bei­trag mit den Wor­ten: »Mit der Waf­fe des Gei­stes um die ewig uner­gründ­li­che See­le des Vol­kes zu rin­gen, war seit jeher Auf­trag des Dich­ters. Sein Glück ist es, wenn er in den gro­ßen Kampf­zei­ten der Nati­on die­se Waf­fen den stäh­ler­nen Werk­zeu­gen hin­zu­ge­sel­len darf.«

Das Lesen wird in der Kampf­at­mo­sphä­re in eine höhe­re Sphä­re geho­ben. So berich­tet Hans Zöber­lein: »Wo ich bis­her noch hin­kam, bei jeder Trup­pe, merk­te ich die gewal­ti­ge Bedeu­tung des Buches für die Front. Es wird auf den Flug­plät­zen und in den Bun­kern oder Vor­feld­stel­lun­gen mit einer ganz ande­ren Inbrunst gele­sen als im gewöhn­li­chen Leben.« Dass allent­hal­ben gele­sen wird, wird als Kul­tur­lei­stung her­aus­ge­stellt, und zwar schon seit dem Ersten Welt­krieg: Josef Gün­ther Let­ten­mair berich­tet: »Eines Tages im Welt­krieg beka­men wir auf unser U(-Boot) 29 eine Kas­set­te mit hun­dert Reclam-Bänd­chen. Wir lächel­ten ein wenig, denn der Ein­fall des unbe­kann­ten Spen­ders schien uns neu und uner­war­tet. Nie zuvor waren Bücher unter den Lie­bes­ga­ben gewe­sen. Soll­ten wir nun in der Frei­zeit sit­zen und lesen? Das woll­ten wir eigent­lich nicht tun. Dann aber, als wir wie­der weit unten vor Afri­kas Küsten schwam­men, waren uns die klei­nen Bänd­chen längst zu guten Freun­den geworden.«

Offen­sicht­lich ist, dass die bru­ta­le Erobe­rungs­po­li­tik, auch gegen­über den »Volks­ge­nos­sen«, ver­hüllt wer­den soll­te. So lei­tet Gün­ther L. Bart­hel mit einem Bezug auf einen Klas­si­ker ein: »Wir haben nichts ande­res getan als das Höl­der­lin-Wort wahr gemacht, dass wir ›die Feder unter den Schreib­tisch war­fen‹.« Fried­rich Beth­ge berich­tet davon, wie ihn »von einem Gang durch das Vor­feld über ›fried­li­che‹ Wie­sen, unter denen Minen ›schlum­mer­ten‹, (…) ein Bänd­chen Goe­the oder Höl­der­lin-Hym­nen zu Trä­nen erschüt­tern (konn­ten)«.

Die­ser kit­schi­ge Gegen­satz zwi­schen Todes­nä­he und hoher Dich­tung wird im Rah­men der Bro­schü­re unfrei­wil­lig durch den Bei­trag Wal­ter Pegels als Vor­wand bloß­ge­stellt. Es han­delt sich um eine offen­bar humo­ri­stisch gemein­te klei­ne Geschich­te, die damit beginnt, dass sich der »Spieß« bei einer Weih­nachts­fei­er gegen­über sei­nen Unter­ge­be­nen unwil­lig äußert: »Ich sehe da ver­schie­de­ne, die Bil­dung scheu­en wie das Was­ser ohne Rum. Den Schnaps, den haben sie gesof­fen, den Kuchen haben sie gefres­sen, aber die Bücher haben sie nicht ein­mal aus­ge­wickelt.« Er spricht sie­ben der Sol­da­ten per­sön­lich an und ver­pflich­tet sie für den näch­sten Nach­mit­tag von 14 bis 16 Uhr zur Lek­tü­re unter Auf­sicht in dem Saal, in dem sie gera­de fei­ern. Paro­le: »Friss, Vogel, oder stirb.« Wäh­rend der Lek­tü­re schla­fen drei von ihnen ein. Der Spieß resü­miert: »Drei sind dar­an gestor­ben, vier haben es gefres­sen. Der Pro­zent­satz ist nicht schlecht.«

Ernst zu neh­men sind dage­gen Bemer­kun­gen, aus denen die Ableh­nung der Kul­tur her­vor­geht, und zwar aus der Posi­ti­on des »Berich­ter-Sol­da­ten«. So bezeich­net Wulf Bley die Front­be­richt­erstat­ter. Es han­delt sich in sei­nen Wor­ten um »eine neue Waf­fe«. Er fährt fort: »Das hat es frü­her nicht gege­ben und gibt es auch nur bei uns Deut­schen.« Außer der mili­tä­ri­schen misst er die­sem Typ des Schrift­stel­lers noch eine kul­tur­po­li­ti­sche Bedeu­tung bei: »Der Front­sol­dat weiß, dass sein Erle­ben nicht von absei­ti­gen Lite­ra­ten, son­dern von mit­kämp­fen­den Kame­ra­den gestal­tet wird. Für das gesam­te deut­sche Schrift­tum bedeu­tet die Ent­ste­hung die­ses Schrift­stel­ler-Typs einen wei­te­ren ent­schei­den­den Fort­schritt [sic!] auf dem Wege der Entin­tel­lek­tua­li­sie­rung, also zur Schlicht­heit und Gerad­li­nig­keit und all­ge­mei­nen Ver­ständ­lich­keit des Geschriebenen.«

Zu die­sem neu­en »Schrift­stel­ler-Typus« des »Berich­ter-Sol­da­ten« gehör­ten damals sowohl der spä­ter mit einem 4-bän­di­gen Barock-Roman (»Der Blaue Kam­mer­herr« (1949) her­vor­ge­tre­te­ne Wolf von Nie­bel­schütz als auch Heinz Schwitz­ke, der von 1951 bis 1971 Lei­ter der Hör­spiel­ab­tei­lung des NWDR bzw. (ab 1955) des NDR war. Bei­de zäh­len zu der Min­der­heit der »Dich­ter unter den Waf­fen«, deren Namen heu­te noch bekannt sein dürf­ten. Schwitz­kes 1938 ver­öf­fent­lich­ter Roman »Schwe­di­scher Win­ter« wur­de 1946 in Öster­reich in die »Liste der gesperr­ten Autoren und Bücher« auf­ge­nom­men. Er konn­te aber im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk Kar­rie­re machen und geriet erst in den spä­ten 1960er Jah­ren – und da auch nur mit sei­ner Hör­spiel­theo­rie – in Kon­flikt mit sei­nen Kol­le­gen. Wolf von Nie­bel­schütz galt als kon­ser­va­ti­ver Autor, des­sen vita­ler Roman beson­ders im Gegen­satz zur »Kahl­schlag-Lite­ra­tur« her­vor­stach – ein Fall für sich.

Nur weni­ge außer die­sen »Dich­tern unter den Waf­fen« hat­ten in der Nach­kriegs­zeit einen so gro­ßen Bekannt­heits­grad, dass sich um sie eine Kon­tro­ver­se hät­te ent­wickeln kön­nen Die­se schlug auch nur sel­ten gro­ße Wel­len: Man­fred Haus­mann konn­te sei­nen Ruf in der Nach­kriegs­zeit durch sei­ne Wen­dung ins Christ­lich-Abend­län­di­sche ret­ten. Her­mann Stahls Rol­le im NS galt als umstrit­ten, weil er mit Prei­sen bedacht wor­den war, ande­rer­seits nur knapp einem Ver­fah­ren vor dem »Volks­ge­richts­hof« ent­gan­gen war.

Der ein­zi­ge unter den »Dich­tern unter den Waf­fen«, der hef­tig umstrit­ten war, war Hans Bau­mann, Autor des Lied­tex­tes »Es zit­tern die mor­schen Kno­chen«. Wiki­pe­dia resü­miert: »Sein Erfolg als Autor von Jugend­bü­chern, die alle­samt nach dem Krieg ent­stan­den, inter­na­tio­na­le Aner­ken­nung erfuh­ren und viel­fach über­setzt wur­den, blieb von sei­ner natio­nal­so­zia­li­sti­schen Ver­gan­gen­heit unbeeinträchtigt.«

Was ist aber aus den Ver­blie­be­nen der ins­ge­samt 68 »Dich­ter unter den Waf­fen« in der Nach­kriegs­zeit gewor­den? Legt man das – zuge­ge­be­ner­ma­ßen grob­kör­ni­ge – Kri­te­ri­um zugrun­de, ob zu ihnen ein Wiki­pe­dia-Ein­trag exi­stiert oder nicht, kön­nen zehn von ihnen als ver­ges­sen gel­ten. Die rest­li­chen 58 wer­den von Wiki­pe­dia – zum Teil aus­führ­lich – kri­tisch gewürdigt.