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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Jahrhundertausstellung: Heisig in Sacrow

Der Weg zum Welt­erbe ist weit, aber nicht so beschwer­lich wie vor zwei­hun­dert­fünf­zig Jah­ren, als sich Pastor Johann And­res Moritz von Fahr­land nach Sacrow bemüh­te. Sei­ne Pfar­rei war abge­le­gen, »auf einer Stra­ße, die nie­mand berei­set als ich, was denn beim Schnee desto beschwer­li­cher fällt«, klag­te er. »Es ist in allem Betracht eine ver­drieß­lich Fili­al, und doch muss ich es alle vier­zehn Tage bereisen.«

Die fünf Kilo­me­ter durch den dich­ten Forst sind heu­te asphal­tiert und stark fre­quen­tiert. Wan­de­rer und Jog­ger, Zwei­rad- und Vier­rad­fah­rer sind unter­wegs, von Pots­dam kann man auch den öffent­li­chen Nah­ver­kehr nut­zen: Der Bus hält direkt vorm Schloss­park. Wobei das Schloss ein ehe­ma­li­ges Guts­haus ist, das 1840 der Preu­ßen­kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. erwarb. Er ließ es von Per­si­us erwei­tern, an der Havel noch eine Kir­che erbau­en, und Len­né rich­te­te die Natur zu, um Durch­laucht zu erbau­en. Der König nahm jedoch hier nie­mals Quar­tier. Alles zusam­men ist, wie so manch wei­te­res Klein­od im nahe­ge­le­ge­nen Pots­dam, heu­te UNESCO-Welterbe.

Wahr­schein­lich gibt es im Dreh zu vie­le bemer­kens­wer­te Hin­ter­las­sen­schaf­ten, wes­halb man mit dem Restau­rie­ren und Pfle­gen des Erbes nicht nach­kommt. Zwar unter­steht das Anwe­sen der Ver­wal­tung der Stif­tung Preu­ßi­sche Schlös­ser und Gär­ten, doch »wegen der ungün­sti­gen infra­struk­tu­rel­len Vor­aus­set­zun­gen« und dem Feh­len eines »trag­fä­hi­gen Nut­zungs­kon­zep­tes« über­ließ man vor über zwan­zig Jah­ren dem Ver­ein Ars Sacrow das Schloss »für eine zeit­wei­se Zwi­schen­nut­zung als Muse­um für einen Som­mer«. Na klar, alle Welt strömt nach Sans­sou­ci und Ceci­li­en­hof – wer ver­irrt sich schon nach Sacrow?

Zu die­ser »zeit­wei­sen Zwi­schen­nut­zung« gehört auch die Jubi­lä­ums­aus­stel­lung des Malers Bern­hard Hei­sig, der am 31. März 100 Jah­re gewor­den wäre. Und irgend­wie passt der mor­bi­de Charme des alten, bau­fäl­li­gen Gebäu­des zum The­ma der Aus­stel­lung. Die­se zeigt sech­zig Gemäl­de, die sich mit dem Krieg und sei­nen Prot­ago­ni­sten beschäf­ti­gen: düste­re Bild­nis­se, die sche­men­haft das Töten, Aus­har­ren, Ver­zwei­feln, Ver­fol­gen, die Angst von Krea­tu­ren zeigen.

Im Ober­ge­schoss sind Gra­fi­ken Hei­sigs zu sehen – Stu­di­en, Por­träts, Kriegs­sze­nen – sowie Wer­ke sei­ner Frau Gud­run Brü­ne, die im Janu­ar die­ses Jah­res ver­stor­ben ist. Dop­pel­por­träts dar­un­ter, die hier wohl im frü­he­ren Bad hän­gen, wie die schwarz­wei­ßen Flie­sen und die Aus­spa­rung für die Bade­wan­ne im Fuß­bo­den ver­ra­ten. Wuch­tig und pastös sein Strich, fein der ihre.

Im Unter­ge­schoss also sind die zumeist groß­for­ma­ti­gen, gerahm­ten Bil­der des Grau­ens zu sehen. Vier Räu­me in einer Flucht. In der Mit­te klo­bi­ge Ses­sel, aus­ge­rich­tet wie Sol­da­ten in einer Rei­he. Im Kamin­zim­mer – die Wän­de feld­grau, von der die Far­be blät­tert, – sind auf einem Bild zwei Sol­da­ten zu sehen, sie hocken im Schüt­zen­gra­ben. Der eine hält ein Schild. »Mos­kau 100 km« ist dar­auf zu erkennen.

Der Blick geht nach drau­ßen, in den mai­grü­nen Park. Auf den Wegen fla­nie­ren Men­schen, man­che schie­ben Kin­der­wa­gen. Auf der Wie­se hal­ten eini­ge Pick­nick. Man meint den Geruch des Flie­ders und den des üppig blü­hen­den Blau­re­gens zu rie­chen, durch die Fen­ster­schei­ben. Und den Gesang der Vögel zu ver­neh­men. Drau­ßen die fried­li­che Idyl­le, drin­nen deren Gegenteil.

Hei­sigs Gene­ral­the­ma, das ihn zeit­le­bens beschäf­tig­te, ist der Krieg. Der mache, wie Hel­mut Schmidt im Nach­ruf in der Zeit schrieb, fort­schritts­un­gläu­big, geschichts­pes­si­mi­stisch und künst­le­risch ankla­gend. Als sieb­zehn­jäh­ri­ger Maler­sohn aus Bres­lau hat­te sich Bern­hard Hei­sig frei­wil­lig zum Kriegs­dienst gemel­det, drei Jah­re an der West- und an der Ost­front geschos­sen und viel­leicht auch getö­tet. Die trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se lie­ßen ihn zeit­le­bens als Künst­ler nicht mehr los. 1945 kam er in sei­ner Hei­mat­stadt Bres­lau, die von den Nazis zur Festung erklärt wor­den war, in sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Die Rus­sen schick­ten den schwer­ver­wun­de­ten jun­gen Mann noch im glei­chen Jahr nach Hau­se zurück. Sei­ne Hei­mat­stadt wur­de mit dem Pots­da­mer Abkom­men pol­nisch, Hei­sig ging nach Zeitz, schloss sich der anti­fa­schi­sti­schen, anti­mi­li­ta­ri­sti­schen SED an, stu­dier­te, wur­de Pro­fes­sor und 1961 Rek­tor der Hoch­schu­le für Gra­fik und Buch­kunst in Leip­zig. Mit Unter­bre­chun­gen übte er die­ses Amt bis 1987 aus. In jener Zeit por­trä­tier­te er Hel­mut Schmidt auf des­sen Bit­te fürs Bundeskanzleramt.

Dar­über berich­tet übri­gens der Ket­ten­rau­cher selbst in einem Video, das im vier­ten Raum in End­los­schlei­fe zu sehen ist. In der von ihm gewohn­ten Wei­se erzählt der Alt­kanz­ler und Wehr­macht­leut­nant a. D. – lan­ge, gedan­ken­schwe­re Pau­sen zwi­schen bana­len, aber bedeu­tungs­vol­len Sät­zen und Zügen aus der Ment­hol­zi­ga­ret­te –, wes­halb er aus­ge­rech­net Hei­sig für die­se Übung aus­ge­wählt habe. Ent­ge­gen dem Rat wohl­mei­nen­der Freun­de. Aber, und das macht die Stär­ke sol­cher Cha­rak­ter­köp­fe eben aus, wes­halb ihre Abwe­sen­heit in der heu­ti­gen Poli­tik so schmerzt und lei­der auch fatal ist: Er, Schmidt, habe sich sei­ne Über­zeu­gung nicht ver­bie­ten las­sen, dass sei kei­ne Sot­ti­se eines west­li­chen Poli­ti­kers gewe­sen. Hei­sig war ein bedeu­ten­der deut­scher Maler, völ­lig egal, dass er bei den Kom­mu­ni­sten war und zwei­mal den Natio­nal­preis der DDR bekom­men hat­te. Und dass Hei­sig auch 1. Stell­ver­tre­ter des Prä­si­den­ten des Ver­ban­des Bil­den­der Künst­ler der DDR war, als er ihn ums Por­trät bat, schien Schmidt der Beach­tung nicht wert.

VBK-Prä­si­dent Wil­li Sit­te reagier­te ver­är­gert, als Hei­sig sei­nen Natio­nal­preis Anfang Dezem­ber 1989 retour­nier­te. Die­ser hat­te in der Redak­ti­on des Neu­en Deutsch­land ange­ru­fen und sei­ne an Mini­ster­prä­si­dent Mod­row gerich­te­te Bot­schaft mit­ge­teilt: »Das bis­her bekannt gewor­de­ne Aus­maß an Macht­miss­brauch und Kor­rup­ti­on in der ehe­ma­li­gen Füh­rungs­spit­ze der DDR lässt mich die durch die dama­li­ge Staats­füh­rung für mei­ne künst­le­ri­sche Arbeit mir erwie­se­nen Ehrun­gen nicht mehr als sol­che emp­fin­den.« Auch ande­re Erklä­run­gen Hei­sigs erreg­ten Sit­tes Miss­mut, wes­halb er sei­nem lang­jäh­ri­gen Stell­ver­tre­ter im VBK Mäßi­gung und Besin­nung emp­fahl. Offen­kun­dig habe sei­ne Sicht auf die jüng­ste Ver­gan­gen­heit etwas mit sei­ner unter­schied­li­chen Ver­gan­gen­heit zu tun: Wäh­rend er, Sit­te, bei den ita­lie­ni­schen Par­ti­sa­nen gegen die deut­schen Faschi­sten gekämpft habe, hät­te Hei­sig bei der Waf­fen-SS das Nazi­reich ver­tei­digt. Die­ser Hin­weis war böse, aber zutreffend.

Hei­sigs kurz­sich­ti­ge, viel­leicht ein wenig auch oppor­tu­ni­sti­schen Refle­xe änder­ten nichts an sei­ner Ableh­nung im Westen. Künst­ler aus der DDR wie Bern­hard Hei­sig oder Wolf­gang Mattheu­er sei­en über­haupt kei­ne Künst­ler, erklär­te im Juni 1990 Georg Base­litz apo­dik­tisch im Inter­view. »Kei­ner von denen hat je ein Bild gemalt. Die haben an Wie­der­her­stel­lun­gen gear­bei­tet, an Rekon­struk­tio­nen, aber nichts erfun­den.« Sein Ver­dikt nahm Base­litz spä­ter zurück. Hei­sig aber wur­de unver­än­dert als angeb­li­cher Staats­künst­ler geschmäht. 1998 bei­spiels­wei­se reg­te sich hef­ti­ger Wider­stand, als er in die künst­le­ri­sche Aus­ge­stal­tung des Par­la­ments­ge­bäu­des im Ber­li­ner Reichs­tag ein­be­zo­gen wur­de. Bun­des­tags­prä­si­den­tin Süss­muth ging am 5. Juni 1998 auf die Aus­ein­an­der­set­zung ein. Der Kunst­bei­rat habe sich ein­stim­mig zur Nomi­nie­rung des Malers Bern­hard Hei­sig bekannt und wer­de in die­ser Fra­ge kei­nes­falls zurückweichen.

Schmidt sagt in dem Video­clip über Hei­sig, der sei »ein sehr deut­scher Maler« gewe­sen, beses­sen auch noch im Roll­stuhl. Was mein­te er damit? »Schrecken erlebt zu haben und die­se zu ver­ar­bei­ten – nicht zu ver­drän­gen und zu über­la­gern, wie es vie­le ande­re Deut­sche im 20. Jahr­hun­dert taten.«

Das kann man unter­schrei­ben. Aber die Ver­drän­gung ist nicht zunft­ge­bun­den. Sie fin­det über­all auch im 21. Jahr­hun­dert statt. Um das zu erken­nen, muss man nicht bis Sacrow fah­ren. Aber man soll­te auch dort­hin rei­sen, um zu sehen, wie einer, der in der DDR zum Künst­ler gewor­den war, Krieg und Faschis­mus ver­ar­bei­tet hat. Und wo er letzt­lich auch poli­tisch stand. Denn auf die Fra­ge des Spie­gel im Mai 2009, war­um er in der DDR geblie­ben sei, ant­wor­te­te er: »Man konn­te sich als Künst­ler in der DDR ver­wirk­li­chen.« Er habe »die Kunst des Westens gese­hen. Sie inter­es­sier­te mich nicht so sehr, dass ich das Bedürf­nis gehabt hät­te, dort­hin zu gehen.« Und um wohl die poli­ti­sche Kon­no­ta­ti­on die­ser Aus­sa­ge zu unter­strei­chen, füg­te er an: »Mein The­ma war der Krieg. Man woll­te mir die stän­di­ge Beschäf­ti­gung damit sehr wohl aus­re­den, aber ich setz­te mich durch. Und die West­deut­schen mei­ner Gene­ra­ti­on haben sich damit doch nicht wirk­lich auseinandergesetzt.«

Damit ist eigent­lich alles zu die­ser Jahr­hun­dert­aus­stel­lung gesagt. Geh und sieh!

Krieg und Frie­den? 100 Jah­re Bern­hard Hei­sig 1925-2025. Jubi­lä­ums­aus­stel­lung im Schloss Sacrow vom 25. April bis 22. Juni, geöff­net von Frei­tag bis Sonn­tag von 11 bis 18 Uhr, Ein­tritt 8 €.