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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zur Hölle mit dem Krieg

In der Geschich­te gab es, gibt es Gene­rä­le, die vom Mili­ta­ri­sten zum Anti-Impe­ria­li­sten mutier­ten. Ein Bei­spiel aus der deut­schen Wehr­macht war Vin­cenz Mül­ler, der im zwei­ten Welt­krieg zum Gene­ral­leut­nant auf­stieg und sich vom blin­den Durch­hal­te­krie­ger zum Rea­li­sten wan­del­te. Es geschah spät, aber ret­te­te Zehn­tau­sen­den das Leben: Im Juli 1944 gab er sei­ner Armee-Ein­heit den Befehl zur »Kampf­ein­stel­lung« (die Voka­bel Kapi­tu­la­ti­on galt ja als uneh­ren­haft). In Jah­ren der Gefan­gen­schaft ging ihm so man­ches Licht auf. Nach der Ent­las­sung schrieb er an einen frü­he­ren Kame­ra­den: »Sehen Sie, ich habe aus mei­ner Kriegs­ge­fan­gen­schaft den Ein­druck mit­ge­nom­men, dass es in Russ­land kei­nen Men­schen gibt, der in einem Krieg etwas ver­die­nen kann (…), dass es auch in Ame­ri­ka vie­le gibt, die durch einen Krieg nur ver­lie­ren, aber auch sol­che, die durch den Krieg ver­dient haben, und die durch einen neu­en Krieg wie­der ver­die­nen wol­len.« Das war Anfang der 1950er Jahre.

Ähn­li­che Ein­sicht im höhe­ren Alter gewann auch ein Offi­zier in Ame­ri­ka, der Quä­ker­sohn Smed­ley D. But­ler, der sich bereits mit knapp 17 Jah­ren zu den US-Mari­nes, den berüch­tig­ten Leder­nacken, gemel­det hat­te (und der zu einem hoch deko­rier­ten Kriegs­hel­den wur­de). Alles begann 1898, der spa­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Krieg läu­te­te gera­de das Zeit­al­ter der impe­ria­li­sti­schen Mas­sen­mor­de ein. Im sel­ben Jahr grün­de­te sich übri­gens, mit Mark Twa­in als Mit­glied, in Bos­ton die Ame­ri­can Anti-Impe­ria­list-League. Dann der »Boxer­auf­stand« 1900 in Chi­na, der die USA zum zwei­ten Kampf­ein­satz in Asi­en ver­an­lass­te. Leut­nant But­ler kam mit dem Expe­di­ti­ons­korps nach Peking und sah mit eige­nen Augen, wie bar­ba­risch die sieg­rei­chen Euro­pä­er, die »Hun­nen« Kai­ser Wil­helms, mit den Ein­hei­mi­schen verfuhren.

Nichts­de­sto­we­ni­ger betrieb er das Kriegs­hand­werk noch wei­te­re drei Jahr­zehn­te auf drei Erd­tei­len. Er half dabei, Mexi­ko für die Ölba­ro­ne zu sichern, er half, Hai­ti und Kuba zu unter­drücken, er half bei der Ver­ge­wal­ti­gung von eini­gen Bana­nen­re­pu­bli­ken Mit­tel­ame­ri­kas zum Nut­zen von Wall Street. »1909 bis 1912 habe ich gehol­fen, Nica­ra­gua für das Bank­haus Brown Brot­hers zu säu­bern. 1916 habe ich den ame­ri­ka­ni­schen Zucker­ba­ro­nen die Domi­nik. Repu­blik ser­viert. In Chi­na habe ich 1927 mit dafür gesorgt, dass Stan­dard Oil unge­stört sei­nen Geschäf­ten nach­ge­hen kann. (…) Wenn ich so zurück­blicke, glau­be ich, dass ich Al Capo­ne ein paar Tipps hät­te geben kön­nen. Er schaff­te es gera­de ein­mal, mit sei­ner Ban­de in drei Bezir­ken zu ope­rie­ren. Ich ope­rier­te auf drei Kon­ti­nen­ten«, schrieb der Kriegs­held als Mitt­fünf­zi­ger rück­blickend in der Zeit­schrift Com­mon Sen­se (zitiert nach Oli­ver Stone: Ame­ri­kas unge­schrie­be­ne Geschich­te, Ber­lin 2015, S. 17 f.). Kurz­um, er sei ein »racke­teer«, »a gang­ster for capi­ta­lism« gewe­sen, erkann­te er. Den letz­ten Anstoß zum Neu­den­ken gab wohl die schnö­de Behand­lung der in Not gera­te­nen, kriegs­ge­schä­dig­ten Vete­ra­nen durch die Regierung.

Der Gene­ral außer Dienst rei­ste seit 1933 durchs Land, er besuch­te Pro­test­la­ger, Sana­to­ri­en und Vete­ra­nen­hei­me und fass­te sei­ne Vor­trä­ge in einem Buch zusam­men, das den Titel trug »War is a Racket« (über­setzt etwa: Krieg ist ein kri­mi­nel­les Gang­ster­ge­schäft). Sehen wir uns die Kapi­tel­über­schrif­ten an.

Kapi­tel 1: Krieg ist Betrug! »Nur eine klei­ne Grup­pe von Insi­dern weiß, wor­um es beim Krieg wirk­lich geht«, sagt Butler.

Kapi­tel 2: Wer erzielt die Gewin­ne? »Die nor­ma­len Gewin­ne lie­gen bei sechs, acht, zehn oder manch­mal sogar zwölf Pro­zent. Aber Kriegs­ge­win­ne – ach! Das ist eine ande­re Sache.«

Kapi­tel 3: Wer bezahlt die Rech­nun­gen? But­ler beschreibt, wie 18-jäh­ri­ge Jungs von den Fel­dern geholt, in den Kaser­nen zuge­rich­tet (»Gott auf unse­rer Sei­te«) und dazu gebracht wer­den, Mord als das Gebot der Stun­de anzu­se­hen. Um dann see­lisch oder kör­per­lich zer­stört oder gar nicht zurück­zu­kom­men. »Ja, der Sol­dat bezahlt den größ­ten Teil der Rech­nung. Auch sei­ne Fami­lie zahlt dafür.«

Kapi­tel 4: Wie man die­ses ver­bre­che­ri­sche Geschäft zer­schlägt! »Der Krieg kann nur dann wirk­sam besei­tigt wer­den, wenn durch ihn kei­ne Pro­fi­te mehr erzielt wer­den kön­nen.« Zieht alle Ban­ker, Rüstungs­in­du­stri­el­len und Spe­ku­lan­ten zum Kriegs­dienst ein, zum übli­chen Sold von 30 $. Lasst vor einer Kriegs­er­klä­rung die abstim­men, die in den Krieg zie­hen sol­len – aber nicht die Köni­ge und Tycoons und Geschäfts­her­ren! »Das wür­de den Krieg zer­schla­gen – das und nichts anderes.«

Das Vor­wort zur deut­schen Aus­ga­be schrieb – sehr lobens­wert – ein wei­te­rer ein­sich­ti­ger Mili­tär, Erich Vad, Bri­ga­de­ge­ne­ral a. D. Er war bis 2013 sie­ben Jah­re lang mili­tär­po­li­ti­scher Bera­ter einer, gelin­de gesagt, nicht gera­de frie­dens­be­weg­ten Kanz­le­rin, der Frau Mer­kel. Vad hat die Ein­sicht zu schrei­ben, dass zu den Opfern der Kriegs­pro­fi­teu­re namen­lo­se, unbe­kann­te ukrai­ni­sche und rus­si­sche Sol­da­ten gehö­ren. Sie wer­den ange­feu­ert und mit Waf­fen ver­sorgt von bezahl­ten dritt­ran­gi­gen Kriegs­trei­bern, »die sich – wenn über­haupt – nur zu Foto- und TV-Ter­mi­nen an der Front blicken las­sen. (…) Sie wer­ben pau­sen­los bei poli­ti­schen Debat­ten, in Talk­shows, bei Par­tei- und Kir­chen­ta­gen, ohne auf den Gedan­ken zu kom­men, soli­da­risch zu sein (…) und selbst in den Krieg zu zie­hen.« Ob dies bemer­kens­wer­te Büch­lein heu­te nach 90 Jah­ren etwas bewirkt? Zwei­fel sind berech­tigt, doch immer wie­der ist zu fra­gen, auch wenn es sich inzwi­schen wie Asche in unse­rem Mund anfühlt: Wer erzielt die Gewin­ne? Wer bezahlt die Rech­nun­gen? Zur Höl­le mit dem Kriegs­ge­schäft, dem Rüstungswahn.

Smed­ley D. But­ler: Zur Höl­le mit dem Krieg. Hrsg. von Erich Vad, Fif­ty­fif­ty-Ver­lag, Köln 2025, 47 S., 12 €.