In der Geschichte gab es, gibt es Generäle, die vom Militaristen zum Anti-Imperialisten mutierten. Ein Beispiel aus der deutschen Wehrmacht war Vincenz Müller, der im zweiten Weltkrieg zum Generalleutnant aufstieg und sich vom blinden Durchhaltekrieger zum Realisten wandelte. Es geschah spät, aber rettete Zehntausenden das Leben: Im Juli 1944 gab er seiner Armee-Einheit den Befehl zur »Kampfeinstellung« (die Vokabel Kapitulation galt ja als unehrenhaft). In Jahren der Gefangenschaft ging ihm so manches Licht auf. Nach der Entlassung schrieb er an einen früheren Kameraden: »Sehen Sie, ich habe aus meiner Kriegsgefangenschaft den Eindruck mitgenommen, dass es in Russland keinen Menschen gibt, der in einem Krieg etwas verdienen kann (…), dass es auch in Amerika viele gibt, die durch einen Krieg nur verlieren, aber auch solche, die durch den Krieg verdient haben, und die durch einen neuen Krieg wieder verdienen wollen.« Das war Anfang der 1950er Jahre.
Ähnliche Einsicht im höheren Alter gewann auch ein Offizier in Amerika, der Quäkersohn Smedley D. Butler, der sich bereits mit knapp 17 Jahren zu den US-Marines, den berüchtigten Ledernacken, gemeldet hatte (und der zu einem hoch dekorierten Kriegshelden wurde). Alles begann 1898, der spanisch-amerikanische Krieg läutete gerade das Zeitalter der imperialistischen Massenmorde ein. Im selben Jahr gründete sich übrigens, mit Mark Twain als Mitglied, in Boston die American Anti-Imperialist-League. Dann der »Boxeraufstand« 1900 in China, der die USA zum zweiten Kampfeinsatz in Asien veranlasste. Leutnant Butler kam mit dem Expeditionskorps nach Peking und sah mit eigenen Augen, wie barbarisch die siegreichen Europäer, die »Hunnen« Kaiser Wilhelms, mit den Einheimischen verfuhren.
Nichtsdestoweniger betrieb er das Kriegshandwerk noch weitere drei Jahrzehnte auf drei Erdteilen. Er half dabei, Mexiko für die Ölbarone zu sichern, er half, Haiti und Kuba zu unterdrücken, er half bei der Vergewaltigung von einigen Bananenrepubliken Mittelamerikas zum Nutzen von Wall Street. »1909 bis 1912 habe ich geholfen, Nicaragua für das Bankhaus Brown Brothers zu säubern. 1916 habe ich den amerikanischen Zuckerbaronen die Dominik. Republik serviert. In China habe ich 1927 mit dafür gesorgt, dass Standard Oil ungestört seinen Geschäften nachgehen kann. (…) Wenn ich so zurückblicke, glaube ich, dass ich Al Capone ein paar Tipps hätte geben können. Er schaffte es gerade einmal, mit seiner Bande in drei Bezirken zu operieren. Ich operierte auf drei Kontinenten«, schrieb der Kriegsheld als Mittfünfziger rückblickend in der Zeitschrift Common Sense (zitiert nach Oliver Stone: Amerikas ungeschriebene Geschichte, Berlin 2015, S. 17 f.). Kurzum, er sei ein »racketeer«, »a gangster for capitalism« gewesen, erkannte er. Den letzten Anstoß zum Neudenken gab wohl die schnöde Behandlung der in Not geratenen, kriegsgeschädigten Veteranen durch die Regierung.
Der General außer Dienst reiste seit 1933 durchs Land, er besuchte Protestlager, Sanatorien und Veteranenheime und fasste seine Vorträge in einem Buch zusammen, das den Titel trug »War is a Racket« (übersetzt etwa: Krieg ist ein kriminelles Gangstergeschäft). Sehen wir uns die Kapitelüberschriften an.
Kapitel 1: Krieg ist Betrug! »Nur eine kleine Gruppe von Insidern weiß, worum es beim Krieg wirklich geht«, sagt Butler.
Kapitel 2: Wer erzielt die Gewinne? »Die normalen Gewinne liegen bei sechs, acht, zehn oder manchmal sogar zwölf Prozent. Aber Kriegsgewinne – ach! Das ist eine andere Sache.«
Kapitel 3: Wer bezahlt die Rechnungen? Butler beschreibt, wie 18-jährige Jungs von den Feldern geholt, in den Kasernen zugerichtet (»Gott auf unserer Seite«) und dazu gebracht werden, Mord als das Gebot der Stunde anzusehen. Um dann seelisch oder körperlich zerstört oder gar nicht zurückzukommen. »Ja, der Soldat bezahlt den größten Teil der Rechnung. Auch seine Familie zahlt dafür.«
Kapitel 4: Wie man dieses verbrecherische Geschäft zerschlägt! »Der Krieg kann nur dann wirksam beseitigt werden, wenn durch ihn keine Profite mehr erzielt werden können.« Zieht alle Banker, Rüstungsindustriellen und Spekulanten zum Kriegsdienst ein, zum üblichen Sold von 30 $. Lasst vor einer Kriegserklärung die abstimmen, die in den Krieg ziehen sollen – aber nicht die Könige und Tycoons und Geschäftsherren! »Das würde den Krieg zerschlagen – das und nichts anderes.«
Das Vorwort zur deutschen Ausgabe schrieb – sehr lobenswert – ein weiterer einsichtiger Militär, Erich Vad, Brigadegeneral a. D. Er war bis 2013 sieben Jahre lang militärpolitischer Berater einer, gelinde gesagt, nicht gerade friedensbewegten Kanzlerin, der Frau Merkel. Vad hat die Einsicht zu schreiben, dass zu den Opfern der Kriegsprofiteure namenlose, unbekannte ukrainische und russische Soldaten gehören. Sie werden angefeuert und mit Waffen versorgt von bezahlten drittrangigen Kriegstreibern, »die sich – wenn überhaupt – nur zu Foto- und TV-Terminen an der Front blicken lassen. (…) Sie werben pausenlos bei politischen Debatten, in Talkshows, bei Partei- und Kirchentagen, ohne auf den Gedanken zu kommen, solidarisch zu sein (…) und selbst in den Krieg zu ziehen.« Ob dies bemerkenswerte Büchlein heute nach 90 Jahren etwas bewirkt? Zweifel sind berechtigt, doch immer wieder ist zu fragen, auch wenn es sich inzwischen wie Asche in unserem Mund anfühlt: Wer erzielt die Gewinne? Wer bezahlt die Rechnungen? Zur Hölle mit dem Kriegsgeschäft, dem Rüstungswahn.
Smedley D. Butler: Zur Hölle mit dem Krieg. Hrsg. von Erich Vad, Fiftyfifty-Verlag, Köln 2025, 47 S., 12 €.