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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kapitulation

Am 8./9. Mai 1945 muss­ten die deut­schen Streit­kräf­te bedin­gungs­los kapi­tu­lie­ren. Aber erst am 23. Mai 1945 wur­de die letz­te von Hit­ler ein­ge­setz­te Regie­rung unter Admi­ral Karl Dönitz in Flens­burg abge­setzt und ver­haf­tet. Zwei Wochen vor­her, in der Nacht zum 9. Mai, hat­te in Ber­lin-Karls­horst in Anwe­sen­heit der Ver­tre­ter der Anti­hit­ler­ko­ali­ti­on, Gene­ral Shu­kow (UdSSR), Ted­der (GB). Spaatz (USA) und de Tas­si­gny (Frank­reich), der spä­ter als Haupt­kriegs­ver­bre­cher hin­ge­rich­te­te Gene­ral­feld­mar­schall Kei­tel die Kapi­tu­la­ti­ons­ur­kun­de unter­zeich­net. Der vom deut­schen Faschis­mus und den Kriegs­ge­winn­lern der Groß­in­du­strie ent­fes­sel­te Raub- und Ver­nich­tungs­krieg ende­te mit einer ver­nich­ten­den Nie­der­la­ge des deut­schen Impe­ria­lis­mus, der schwer­ste Ver­bre­chen auf sich gela­den hat­te. 17 Pro­zent der pol­ni­schen, elf Pro­zent der jugo­sla­wi­schen, zehn Pro­zent der sowje­ti­schen und neun Pro­zent der deut­schen Bevöl­ke­rung waren unter den 50 Mil­lio­nen Toten.

Aus die­sen und ande­ren Staa­ten stamm­ten auch die sechs Mil­lio­nen ermor­de­ten Juden und die rund 500.000 getö­te­ten Sin­ti und Roma. Noch in den letz­ten fünf Mona­ten vor dem 8. Mai 1945 waren rund 200.000 Men­schen der Gesta­po und der Wehr­macht­po­li­zei zum Opfer gefal­len, und zwar auf Todes­mär­schen und in Mas­sa­kern unter den in- und aus­län­di­schen poten­ti­el­len Umstürz­lern. Der Gesta­po-Chef Mül­ler hat­te den Grund die­ser Kriegs­end­pha­sen­ver­bre­chen unmiss­ver­ständ­lich erklärt: »Wir wer­den nicht den glei­chen Feh­ler machen, der 1918 began­gen wur­de. Wir wer­den unse­re inner­deut­schen Fein­de nicht am Leben lassen.«

In den letz­ten Wochen vor ihrer Nie­der­la­ge ver­such­ten die faschi­sti­schen Füh­rer noch ein­mal, die »bol­sche­wi­sti­sche Gefahr« zu beschwö­ren, um Zeit zu gewin­nen. Tei­le der Nazicli­que streck­ten nach Westen die Hän­de aus, um gegen Osten den Krieg fort­set­zen zu kön­nen. Zu Hit­lers 50. Geburts­tag, am 20. April, fand die letz­te Zusam­men­kunft der NS-Füh­rungs­spit­ze im Bun­ker der Reichs­kanz­lei in Ber­lin statt. Danach ging Hit­ler-Stell­ver­tre­ter Göring mit sei­nem Stab nach Bay­ern, SS-Reichs­füh­rer Himm­ler mit dem Groß­teil der SS-Füh­rung und des Reichs-Sicher­heits-Haupt­am­tes sowie v. Rib­ben­trop mit sei­nem Außen­mi­ni­ste­ri­um nach Schles­wig-Hol­stein. Von dort nahm Himm­ler Kon­tak­te zu einem Ver­tre­ter des jüdi­schen Welt­kon­gres­ses auf; er bot die Frei­ga­be jüdi­scher Häft­lin­ge und die West-Kapi­tu­la­ti­on an. Himm­lers Ange­bot wird am 27. April von den West­mäch­ten bekannt­ge­ge­ben. Auch Hee­res­ober­kom­man­deur Gene­ral Jodl schlägt den Abzug deut­scher Ver­bän­de aus dem Westen zum Wei­ter­kämp­fen im Osten vor, und Hit­ler-Sekre­tär Bor­mann plant die Ver­mitt­lung durch tsche­chi­sche Indu­stri­el­le, die die West­al­li­ier­ten um »Schutz vor den Bol­sche­wi­sten« bit­ten soll­ten. Göring fragt der­weil von Bay­ern aus an, ob er die Füh­rung des Rei­ches über­neh­men soll, was ihm einen Haft­be­fehl Hit­lers einträgt.

Kei­tel und Jodl müs­sen das Ober­kom­man­do der Wehr­macht nach Rheins­berg und spä­ter nach Plön ver­le­gen, wäh­rend Hit­ler beschließt, im Ber­li­ner Bun­ker »zu blei­ben und dort aus frei­en Stücken in dem Augen­blick den Tod zu wäh­len, in dem ich glau­be, dass der Sitz des Füh­rers und Kanz­lers selbst nicht mehr gehal­ten wer­den kann«, wie es in sei­nen letz­ten Wor­ten heißt. In sei­nem Testa­ment vom 29. April 1945 preist Hit­ler das »Opfer unse­rer Sol­da­ten« als Kraft­quell dafür, dass »in der deut­schen Geschich­te so oder so ein­mal wie­der der Samen auf­ge­hen (wird) zur strah­len­den Wie­der­ge­burt der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Bewe­gung und damit zur Ver­wirk­li­chung einer wah­ren Volksgemeinschaft«.

Vor­her ergin­gen sich Hit­ler und Goeb­bels in Spe­ku­la­tio­nen über ein Aus­ein­an­der­bre­chen der Anti­hit­ler­ko­ali­ti­on in letz­ter Stun­de. Da war Ber­lin bereits ein­ge­schlos­sen, und sowje­ti­sche Trup­pen hat­ten sich an der Elbe zusam­men­ge­fun­den. Hit­ler ernann­te in sei­nem Testa­ment Admi­ral Dönitz zum Reichs­prä­si­den­ten, Goeb­bels zum Reichs­kanz­ler, Hit­ler-Sekre­tär Bor­mann zum Par­tei­mi­ni­ster. Himm­ler und Göring wer­den aus der Par­tei aus­ge­sto­ßen. Am 30. April begeht Hit­ler Selbst­mord. Am 1. Mai 1945 stür­men sowje­ti­sche Trup­pen den Reichs­tag und ste­hen weni­ge hun­dert Meter vor dem Füh­rer­bun­ker, wo auch Goeb­bels aus dem Leben schei­det. Mit in den Tod genom­men wer­den die Ehe­frau­en von Hit­ler und Goeb­bels sowie des­sen Kinder.

In Plön, spä­ter Flens­burg hat­te Dönitz die Amts­ge­schäf­te Hit­lers über­nom­men, und er erklär­te im Tages­be­fehl: »Gegen Eng­län­der und Ame­ri­ka­ner muss ich den Krieg soweit und so lan­ge fort­set­zen, wie sie mich in der Durch­füh­rung des Kamp­fes gegen die Bol­sche­wi­sten hin­dern.« Der Traum der reak­tio­när­sten Mili­ta­ri­sten, gemein­sam mit den West­al­li­ier­ten gegen die Sowjet­uni­on Front machen zu kön­nen, erwies sich noch als uner­füll­bar. Spä­ter hat­te Dönitz Ein­fluss auf die Füh­rung der CDU in Schles­wig-Hol­stein und auf die Bun­des­wehr, die als Teil der Nato anti­so­wje­tisch ori­en­tiert wurde.

Das Gebäu­de der Kapi­tu­la­ti­on in Ber­lin-Karls­horst trug bis Febru­ar 2022 den Namen »Deutsch-Rus­si­sches Muse­um«, dann, nach dem Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne, nur noch den Namen »Muse­um«. Die anti­rus­si­sche Hyste­rie begann. Der­ar­ti­ges gab es in der Geschich­te noch nicht. Seit dem Kriegs­en­de 1945 gab es in der Welt 515 Krie­ge und bewaff­ne­te Kon­flik­te, von denen 75 bis in die Gegen­wart andau­ern. Es ist nicht bekannt, dass es irgend­wann und irgend­wo in der Welt Ver­tre­tern von in Krie­ge ver­wickel­ten Staa­ten ver­bo­ten wur­de, an Gedenk­ver­an­stal­tun­gen teil­zu­neh­men, die jene ehren, wel­che die Mensch­heit von bar­ba­ri­schen Aus­wüch­sen befreiten.