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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mit Kanonen auf Friedenstauben

Die­se Schil­de­rung basiert auf per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen; Über­ein­stim­mun­gen mit rea­len Per­so­nen und Vor­gän­gen sind rein zufäl­lig, aber kei­nes­wegs abwegig. 

2023 trug ein unbe­schol­te­ner Ber­li­ner Bür­ger ein Poster, das ihm teu­er wer­den soll­te. Auf einer Sei­te war zu lesen: »Lasst uns Nak­ba geden­ken. Ladet eure Holo­caust­schuld nicht an Palä­sti­nen­sern ab!« Das war dra­piert mit dem Peace-Zei­chen und Bluts­trop­fen. Auf der ande­ren Sei­te des Posters stand »Netan­ja­hu: Occu­pa­ti­on is Ter­ror«. Zumin­dest einem anwe­sen­den, gut gerü­ste­ten Poli­zei­mann fiel das Wort »is« ins schar­fe Auge, es wur­de gefilmt: Es war in Form eines »Blit­zes« gezeich­net, was die Argus­au­gen der Ord­nungs­hü­ter sofort als Nazi-Rune zu erken­nen glaub­ten. Auf einer Demon­stra­ti­on gegen Gewalt und Unter­drückung, gegen heu­ti­gen Geno­zid an einem unschul­di­gen Volk war das eine tol­le Fantasieleistung.

Der Frie­dens­ak­ti­vist wur­de umge­hend von meh­re­ren Beam­ten des Lan­des­kri­mi­nal­am­tes aus der Kund­ge­bung her­aus­ge­zerrt, und das wur­de ohne Gegen­wehr und Pro­test tole­riert. Frie­den war das The­ma und fried­lich die Atmo­sphä­re. Ohne jeg­li­che Erklä­rung wur­de der Demon­strant an die Wand eines grü­nen Klein­bus­ses gestellt, abgetastet.

Auf einen Fin­ger­zeit eines der Beam­ten wur­de ihm klar, dass es um das »s« ging. Dem »Täter« war selbst­ver­ständ­lich das Dop­pel-SS der Nazis bekannt, wie auch das Ver­bot, es öffent­lich zu zei­gen. Dass dies auch auf ein Ein­zel-S (bzw. ein Blitz­sym­bol) zuträ­fe, war ihm unbe­kannt. Da er als Anti­fa­schist kei­nes­falls ein von der Poli­zei als Nazi-Sym­bol defi­nier­tes Zei­chen zur Schau stel­len woll­te und mit­nich­ten beab­sich­tig­te, das men­schen­ver­ach­ten­de Sym­bol zu pro­pa­gie­ren, erklär­te er sich umge­hend bereit, das inkri­mi­nier­te »S« zu über­ma­len. Doch das war – selbst­ver­ständ­lich – nicht erlaubt, denn Ver­bre­chen ist Ver­bre­chen. So wur­de er wie ein gefähr­li­cher Kri­mi­nel­ler fest­ge­hal­ten und bewacht, durf­te fast eine Stun­de in der pral­len Mai-Son­ne ste­hen, bei­de Arme fest am Kör­per hal­tend, jede ande­re Bewe­gung (z. B. Griff zur Was­ser­fla­sche) muss­te erlaubt wer­den. Sein Poster wur­de ein­ge­zo­gen. Schließ­lich wur­de er des Plat­zes ver­wie­sen, also sei­nes Demon­stra­ti­ons­rech­tes beraubt.

Bereits wäh­rend des War­tens bekam er mit, dass die Poli­zei einen Teil der meist jugend­li­chen, fried­lich und ent­spannt Demon­strie­ren­den ulti­ma­tiv (und ohne erkenn­ba­ren Grund) auf­for­der­te, sich vom Demon­stra­ti­ons­ort zu ent­fer­nen. Sie wur­den von den Beam­ten umzin­gelt. Offen­bar klapp­te das nicht in preu­ßi­scher Ord­nung und Schnel­lig­keit, so dass die Stim­mung kipp­te und die Poli­zei – meist schwe­re und mit vol­ler Mon­tur bewehr­te Jungs – die jun­gen Leu­te weg­zu­drän­gen ver­such­te. Ein­zel­ne Jugend­li­che wur­den dabei recht hart abge­führt und deut­lich unsanf­ter »behan­delt« als der alte wei­ße Mann mit sei­nem Pla­kat. Und dann wur­den die jun­gen Men­schen von Poli­zi­sten vom Kund­ge­bungs­platz weg­ge­zerrt. Wie in einer Woge wur­den sie auf dem Gras­bo­den geschleift und unsanft ihres Demon­stra­ti­ons- und Mei­nungs­frei­heits­rechts beraubt. Sie demon­strier­ten gegen die Gewalt, die gegen ihre Fami­li­en und Freun­de in den besetz­ten palä­sti­nen­si­schen Gebie­ten seit Deka­den exe­ku­tiert wird, und woll­ten für ein Ende des­sen ein Zei­chen set­zen. Nun erfuh­ren sie ihrer­seits Gewalt! Mit unver­hält­nis­mä­ßi­ger Här­te gin­gen eini­ge Beam­te vor – also Män­ner mit statt­li­cher Kör­per­grö­ße, in vol­ler Poli­zei­mon­tur, gegen klei­ne­re Jugend­li­che und jun­ge Frau­en. Ein beschä­men­der Anblick. Damit der Fest­ge­nom­me­ne das nicht mit­an­se­hen konn­te, wur­de er nach­drück­lich ermahnt, den Platz zu ver­las­sen. Für ihn und alle ande­ren war die­se Kund­ge­bung damit beendet.

In den Abend­nach­rich­ten der rbb24 Abend­schau gab es einen kur­zen Bericht über die Kund­ge­bung, der sei­ne Schil­de­rung weit­ge­hend bestä­tigt: Das unge­recht­fer­tig­te, unver­hält­nis­mä­ßi­ge, mar­tia­li­sche Auf­tre­ten und Tre­ten der Poli­zei­kräf­te wird in den Film­aus­schnit­ten deutlich.

Zum Hin­ter­grund: Vor die­ser Demon­stra­ti­on waren bereits vier bean­trag­te Kund­ge­bun­gen von der Poli­zei ver­bo­ten wor­den. Sie waren von palä­sti­nen­si­schen Grup­pen bzw. Ver­ei­nen ange­mel­det wor­den. Die in Isra­el geschaf­fe­ne Ohn­macht wie­der­hol­te sich in der deut­schen Haupt­stadt. Die erwähn­te (fünf­te) Kund­ge­bung war nun aller­dings von der Orga­ni­sa­ti­on »Jüdi­sche Stim­me e. V.« ange­mel­det und offen­bar wider­stre­bend geneh­migt wor­den – wenn­gleich unter unzäh­li­gen Auf­la­gen, die meh­re­re Minu­ten lang in Deutsch und Ara­bisch zu Beginn der Kund­ge­bung ver­le­sen wurden.

Die poli­ti­sche, vor­geb­lich »christ­li­che« Füh­rung des Lan­des Ber­lin möch­te offen­bar mehr Ruhe und Ord­nung in der Stadt – statt zivi­le, demo­kra­ti­sche Ver­hält­nis­se. Und man möch­te wohl auch der pro­pa­gier­ten »Staats­rä­son« gegen­über dem Apart­heid­staat Isra­el Genü­ge tun. Dass in Isra­el seit etli­chen Jah­ren eine extrem rechts­kon­ser­va­ti­ve Regie­rung und ein unter Ankla­ge ste­hen­der Staats­prä­si­dent herr­schen, ist da selbst­ver­ständ­lich kein Pro­blem. Zudem konn­ten so die »Sicher­heits­kräf­te« selbst­kon­stru­iert bewei­sen, dass die vor­her­ge­hen­den 4 Kund­ge­bungs­ver­bo­te gewis­ser­ma­ßen gerecht­fer­tigt waren, weil ja nun die­se fünf­te, gnä­di­ger­wei­se erlaub­te, abge­bro­chen wer­den musste.

Der wegen der »Rune« ange­klag­te Kund­ge­bungs­teil­neh­mer hat­te von sei­ner Mit­wir­kung bei der Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung und dem von ihm gemal­ten Demo­schild eine völ­lig ande­re Auf­fas­sung und Inten­ti­on und leg­te Ein­spruch gegen das Straf­ver­fah­ren ein. Als Stra­fe wink­ten ihm 30 Tage Haft oder eine ent­spre­chen­de Anzahl von Tages­sät­zen. Hier ist also die Kano­ne, und da ist auch der Spatz bzw. die Friedenstaube!

Das Delikt: »Ver­wen­den von Kenn­zei­chen ver­fas­sungs­wid­ri­ger Orga­ni­sa­tio­nen«. Im Vor­feld der Haupt­ver­hand­lung in Ber­lin Moa­bit, zu der der Staats­ge­fähr­der sechs Stun­den anzu­rei­sen hat­te, wur­de deut­lich, dass eine Ver­ur­tei­lung bereits abge­mach­te Sache sei. So wur­de ihm zwei­mal ange­bo­ten, sei­nen Ein­spruch gegen die Ankla­ge fal­len zu las­sen. Und wäh­rend der Ver­hand­lung ließ der Rich­ter durch­blicken, dass die Stra­fe durch­aus noch erhöht wer­den kön­ne. Der Rich­ter trat in der Rol­le eines Anklä­gers auf. Sei­ne Deu­tung, das ecki­ge »S« sei eine Sig­ru­ne und auch als sol­che gedacht gewe­sen, war selbst­ver­ständ­lich nicht nach­zu­wei­sen, doch die vom Schild­ma­ler (ehe­ma­li­ger Werk­zeug­ma­cher und mit War­nung vor Elek­tri­zi­tät ver­traut) selbst vor­ge­brach­te Auf­fas­sung, es sei als Blitz ein Warn­zei­chen für Gefahr und wür­de zur Vor­sicht (im Sin­ne von »Ach­tung!«) gemah­nen, blitz­te bei ihm ab. Auch das Argu­ment des Ange­klag­ten, er habe nichts von dem Ver­bot einer ein­zel­nen Sig­ru­ne gewusst, und er sei außer­dem Anti­fa­schist und füh­re kei­nes­falls im Sin­ne, Nazi­pro­pa­gan­da zu ver­brei­ten, stieß auf kein Gehör, pass­te nicht ins vor­fan­ta­sier­te Narrativ.

Auf­grund der nur kur­zen, aber ein­drucks­vol­len Erfah­run­gen mit den Müh­len der heu­ti­gen Justiz ver­lor der Ange­klag­te die Lust auf eine Fort­set­zung und ver­zich­te­te auf den wei­te­ren Kla­ge­weg. Er möch­te sei­ne wert­vol­le Zeit sei­nen poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten wid­men, statt mit all­wis­sen­den Juri­sten (Schein)Verhandlungen durch­zu­spie­len. Zudem wur­de sei­ne Fra­ge, ob es ein Hand­buch oder eine Daten­bank gebe, in der fein säu­ber­lich nach­zu­schau­en wäre, wel­che Zei­chen denn aktu­ell ver­bo­ten sei­en, nett beant­wor­tet. Sein Abschieds­satz, er sei ent­setzt über den Ver­lauf die­ses Gerichts­ter­mins und das völ­lig unver­hält­nis­mä­ßi­ge Urteil, führ­te erfreu­li­cher­wei­se nicht zu einer Ermah­nung – der Sieg war ja ein­ge­fah­ren. Die Ankla­ge wur­de fal­len­ge­las­sen, und eine gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on wird eine gan­ze Monats­ren­te erhalten.

Die­ser bana­le Fall ist ein wei­te­res klei­nes Indiz für die Rechts­ent­wick­lung in Tei­len der Poli­tik, Poli­zei und Justiz. Hier wird schwarz-weiß »gedacht«, wer­den Anders­den­ken­de als Gefahr gebrand­markt, offe­ne fai­re Dis­kur­se und Dis­kus­sio­nen fin­den nicht statt bzw. sind uner­wünscht. Der »zei­ten­ge­wen­de­te« Staat muss Stär­ke und Här­te zei­gen, nicht nur in der Außen­po­li­tik wird auf­ge­rü­stet und gekämpft, son­dern auch in der Innen­po­li­tik, Kriegs­taug­lich­keit ist das Ziel. Die Schön­wet­ter-Demo­kra­tie zeigt Ris­se, vie­le davon füh­ren von oben nach unten.

Übri­gens fand die unter­drück­te Kund­ge­bung am 20. Mai (2023) statt, drei Tage vor dem »Tag des Grund­ge­set­zes«. Naja, und gegen Ende der Ver­hand­lung gab der Rich­ter eine alte, und auf den hier geschil­der­ten Fall recht zutref­fen­de Weis­heit von sich: »Recht haben ist nicht gleich recht bekom­men!« Das stimmt wohl.