Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Militärfetischisierte Talkshow-Debatten

Auch im drit­ten Jahr des Ukrai­ne­krie­ges wird in den Talk­show­for­ma­ten von Maisch­ber­ger, Ill­ner, Mios­ga und Lanz noch immer in mili­tär­fe­ti­schi­sie­ren­der Art und Wei­se das Nar­ra­tiv bedient, dass der Ukrai­ne­krieg allein mili­tä­risch ent­schie­den wer­den kön­ne, dass diplo­ma­ti­sche Lösungs­an­sät­ze noch immer völ­lig aus­ge­schlos­sen sei­en und sie ohne­hin nur Putin in die Kar­ten spie­len wür­den. Die depri­mie­ren­den Hiobs­bot­schaf­ten von den Schlacht­fel­dern in der Ukrai­ne und den angren­zen­den rus­si­schen Gebie­ten schei­nen auf die waf­fen­fi­xier­ten Wort­füh­rer jener Talk­show­de­bat­ten kei­ner­lei Ein­fluss zu neh­men, und es hat sogar den Anschein, als wür­de ihr diplo­ma­tie­ver­ächt­lich­ma­chen­der Ruf umso lau­ter, je mehr bei ihnen selbst die Hoff­nung auf einen mili­tä­ri­schen Sieg bröckelt.

In den publi­zi­sti­schen Leit­me­di­en scheint sich hin­ge­gen ganz behut­sam eine kriegs­kri­ti­sche Hal­tung ihren Weg zu bah­nen, wie die SPIEGEL-Kolum­ne von Sabi­ne Renne­fanz zeigt, die sie mit »Ist es wirk­lich unser Krieg?« über­schrie­ben hat: »Es ist Zeit, die Lage so zu betrach­ten, wie sie ist, und nicht, wie man sie sich wünscht. Die Ukrai­ne ist nach zwei Jah­ren aus­ge­laugt, ent­völ­kert, anonym sagen vie­le Men­schen im Land, dass sie nicht mehr kön­nen, dass sie sich einen Waf­fen­still­stand wün­schen«, so Renne­fanz. Zu einem ganz ähn­li­chen Ergeb­nis kommt Karin Dal­ka in der Frank­fur­ter Rund­schau in ihrem Kom­men­tar: »Zwei Jah­re in der Ukrai­ne«: »Jeder Tag ist einer zu viel«, den sie mit höchst beden­kens­wer­ten Wor­ten been­det: »Krie­ge sind kein Schick­sal. Sie sind men­schen­ge­macht und per se ein Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit. Auch Frie­den wird von Men­schen gemacht. Er braucht Köp­fe und Her­zen, die das Uner­träg­li­che aus­hal­ten und zugleich dar­auf behar­ren: Jeder Krieg ist einer zu viel.« Und auch Rüdi­ger Lüde­king wider­spricht in einem Essay in der Süd­deut­schen Zei­tung mit deut­li­chen Wor­ten dem schein­bar nicht mehr ein­zu­fan­gen­den bel­li­zi­sti­schen Sound jener Talk­shows: »Emo­tio­na­ler Furor und bel­li­zi­stisch daher­kom­men­des Maul­hel­den­tum hel­fen nicht wei­ter. Im Gegen­teil, sie sind eher geeig­net, die Kriegs­ge­fah­ren für die euro­päi­schen Nato-Staa­ten zu erhöhen.«

War­um, fragt man sich beim Betrach­ten der mili­tär­hul­di­gen­den Talk­for­ma­te, wer­den dort eigent­lich immer nur sol­che Gäste ein­ge­la­den, die sich ste­reo­typ gegen­sei­tig Stich­wor­te für die Beant­wor­tung ihrer bel­li­zi­stisch getränk­ten Fra­gen geben und deren Ant­wor­ten alle zuvor bereits zu ken­nen schei­nen, was sie nur all­zu gern mit wohl­wol­len­den gegen­sei­ti­gen Zustim­mungs­be­kun­dun­gen gou­tie­ren? Wie ein­mal mehr die Talk­show-Run­den zum neu­en Star am Kriegs­waf­fen­gat­tungs­him­mel, dem TAURUS, gezeigt haben, für den der Her­stel­ler, die TAURUS Systems GmbH aus dem baye­ri­schen Schro­ben­hau­sen, in einer mili­tär­be­sof­fe­nen Pres­se­infor­ma­ti­on fol­gen­des erklärt: »TAURUS durch­dringt im Tiefst­flug die dich­te Luft­ver­tei­di­gung des Geg­ners und zer­stört sein Ziel mit sei­nem hoch­wirk­sa­men zwei­stu­fi­gen Gefechts­kopf­sy­stem. Hier­bei nutzt es einen frei pro­gram­mier­ba­ren Mehr­zweck­zün­der, der die Deto­na­ti­on des Pene­tra­tors in vor­ge­wähl­ten Stock­wer­ken inner­halb der Ziel­struk­tur unter Ver­wen­dung von Schicht- und Hohl­raum­mes­sun­gen initi­iert. Durch die her­vor­ra­gen­de Pene­tra­ti­ons­fä­hig­keit, aber auch durch die Mög­lich­keit zum Ein­satz gegen Flä­chen­zie­le, ist das Waf­fen­sy­stem TAURUS sehr viel­sei­tig ein­setz­bar. Die höchst fle­xi­ble Mis­si­ons­pla­nung stellt bereits vor dem Ein­satz alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen, wie zum Bei­spiel den zu erwar­ten­den Mis­si­ons­er­folg, zur Verfügung.«

Stellt jene fle­xi­ble Mis­si­ons­pla­nung vor­ab eigent­lich auch Infor­ma­tio­nen über einen mög­li­chen Mis­si­ons-Miss­erfolg zur Ver­fü­gung, möch­te man die Waf­fen­schmie­de fra­gen? Wenn näm­lich etwa die von Rode­rich Kies­wet­ter unlängst gefor­der­te Unter­stüt­zung eines mili­tä­ri­schen Angriffs auf Mos­kau­er Mini­ste­ri­en durch eben jenen TAURUS eine irrever­si­ble mili­tä­ri­sche Eska­la­ti­ons­stu­fe zum alles ent­schei­den­den letz­ten Schritt in den Drit­ten Welt­krieg mar­kie­ren könn­te? Oder spielt das für den TAU­RUS-Her­stel­ler und für sei­ne mili­tär­gei­fern­den Für­spre­cher nur eine unter­ge­ord­ne­te bzw. gar kei­ne Rol­le? Harald Kujat, der ehe­ma­li­ge Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr, ver­tritt in einem Inter­view gegen­über der Rhein-Neckar-Zei­tung die Ansicht, dass sich für die Ukrai­ne eine Nie­der­la­ge abzeich­ne und sich ganz all­mäh­lich das Zeit­fen­ster für Ver­hand­lun­gen schlie­ße. Doch auf sei­ne mili­tär­po­li­ti­sche Exper­ti­se scheint im Bend­ler­block schon lan­ge nie­mand mehr Wert zu legen. Zeit­gleich hat Papst Fran­zis­kus die Ukrai­ne zu diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen mit Russ­land auf­ge­for­dert, was in der Pres­se in voll­kom­men sinn­ent­stel­len­der und dif­fa­mie­ren­der Wei­se auf eine Auf­for­de­rung zum His­sen einer wei­ßen Fah­ne redu­zie­rend ver­ächt­lich gemacht wor­den ist und von Phil­ipp Gess­ler in der TAZ auf sar­ka­sti­sche Wei­se so kom­men­tiert wur­de: Dass ein Papst sich für Frie­den ein­set­ze, sei »edel, aber kein Papst soll­te einen über­fal­le­nen Staat wie die Ukrai­ne zum Auf­ge­ben auf­for­dern. Im frei­en Westen und im Vati­kan soll­ten erst wie­der die Kor­ken knal­len, wenn der Mör­der im Kreml auf­gibt oder um Ver­hand­lun­gen fleht. Von mir aus mit Krims­koy­er Sekt.«

Der libe­ral-kon­ser­va­ti­ve Jour­na­list Roland Tichy kri­ti­siert dar­auf­hin in sei­nem Blog-Bei­trag: »Der Papst for­dert Frie­den – Ja, und?« die Hyste­rie in der Debat­te um abwei­chen­de Mei­nun­gen zum Ukrai­ne­krieg: »Was an den Reak­tio­nen auf den Papst auf­fällt – oder auch schon nicht mehr –, sind die Panik und die Hyste­rie, mit der eine ver­meint­lich plu­ra­li­sti­sche Gesell­schaft auf eine abwei­chen­de Stim­me reagiert. Und wie sich eben die­se plu­ra­li­sti­sche Gesell­schaft nach Kli­ma­schutz und Pan­de­mie immer mehr in eine tota­li­tä­re Gesell­schaft ver­wan­delt. Weil sie ande­re Stim­men nicht mehr aus­hält. Weil nie­der­ge­tram­pelt wer­den muss, wer einen ande­ren Gedan­ken ins Spiel bringt. (…) Wer dann den Glau­bens­grund­sät­zen wider­spricht, wird zum Ket­zer – und wenn es der Papst per­sön­lich ist.« Dem kann nur schwer­lich wider­spro­chen wer­den, und all das lässt lei­der auch (noch) nichts Gutes erah­nen für den wei­te­ren Ver­lauf des Dis­kur­ses über den Krieg in der Ukrai­ne sowie die diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen, ihn end­lich zu beenden.