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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sie ist die Frau …

die kei­ne Sät­ze zu Ende spricht, die Aus­las­sungs­pünkt­chen liebt, erkennt, dass die »Kugel Zeit« stär­ker ist als sie, die vom »Angst-Ach« heim­ge­sucht wird, nachts, wenn es kein Wir gibt. Nele Heyse, die der Inter­jek­ti­on »Ach« 2022 einen gan­zen Roman wid­me­te, scheint in ihrem neu­en Gedicht­band »Lie­be rech­net sich nicht« ein DENNOCH aus­zu­ru­fen. Dies dient natür­lich der Befe­sti­gung eige­ner Zuver­sicht, aber die Autorin beherrscht die sub­ti­le Kunst, die­se – trotz oft nega­ti­ver Befun­de – im Wort­sin­ne ande­ren zu »ver­mit­teln«. Und obwohl natür­lich ganz fern von jedem Pre­digt­ton, so hört, wer die Gedich­te liest, doch eine Lek­ti­on im Sin­ne des Korin­ther­briefs des Pau­lus, in dem er postu­liert, dass Lie­be lang­mü­tig sei, nicht Mut­wil­len trei­be, sich nicht erbit­tern las­se usw.

Und dies alles unter der »Schlag­zei­le«, dass Lie­be sich nicht rech­ne? Die hät­te Pau­lus nun gewiss nicht unter­schrie­ben. Das »Den­noch« funk­tio­niert auch hier. Denn wir lesen in Nele Heyses Buch eine Erzäh­lung, die man auch »Lie­bes­su­che« nen­nen könn­te, und die im Regal mit den Lie­bes­ge­schich­ten doch falsch ein­ge­ord­net wäre. Aber die Gedich­te nach­ein­an­der wie eine Legen­de der Lie­be zu lesen, das bringt sie einem näher. Mir half es jeden­falls, sie mir aneig­nen zu kön­nen.

Das hohe The­ma ver­hin­dert nicht, dass auch ein­mal die lyri­sche Selbst­er­mun­te­rung unter­schlüpft, wo, wie auf Sei­te 11, das Gedicht (ob das Ver­fer­ti­gen oder das Lesen gemeint ist, wird nicht recht klar) als Arz­nei gegen die Anstren­gun­gen des »Nichtstun[s]« ange­prie­sen wird. Oder auch nicht, dass es auch so recht hei­me­lig-idyl­lisch wird, da ein Paar zu Hau­se anein­an­der vor­bei­geht, Cap­puc­ci­no oder Buch in der Hand, wo die Decke auf das Sofa gebrei­tet wird, das Fen­ster ver­schlos­sen, der Sturm aus­ge­sperrt … Es sei ein­ge­räumt, dass auch das zur Lie­be gehört. Und dann darf auch ein­mal ein Gedicht »Alles ist gut« heißen.

Aber wirk­lich ein­schnei­dend sind Gedich­te wie »Kin­der­tag«. Die Anschaf­fung des Buches wür­de sich bereits für die­ses Gedicht loh­nen. Es ist die Beschrei­bung einer Suche nach dem »Geliebt-Wer­den« und dem »Freund-Sein«, vor­ge­nom­men mit kal­tem Blick und in der nüch­ter­nen, pro­to­kol­la­ri­schen Spra­che, wel­che die so schwer zu errei­chen­de Ehr­lich­keit der­ar­ti­ger Erin­ne­run­gen ermög­li­chen. Und die gera­de dadurch hoch­poe­tisch sind, von so gro­ßer inne­rer Mit­nah­me­ge­walt, dass man immer wie­der zu die­sem Text zurück­kehrt. Beson­ders bewe­gend ist der Schluss des Gedich­tes, das eigent­lich ein Poem ist. Obwohl in den abschlie­ßen­den Ver­sen die berühm­te pau­li­ni­sche Tri­as von »Glau­be, Hoff­nung, Lie­be« auf­ge­ru­fen wird, liest man: »Nein /​ ich glau­be nicht /​ an unbe­schwer­te Kind­hei­ten«. Wohl aber blei­ben Träu­me, Ver­drän­gen, Glau­be, auch an eine unbe­schwer­te Kind­heit. Auto­bio­gra­fi­sches ist immer eini­ger­ma­ßen unan­ge­nehm, wenn man ehr­lich blei­ben will. Ehr­lich­keit ist die­sem nüch­tern-lapi­da­ren Gedicht zu atte­stie­ren, das ein Gespräch mit Gott ist und dadurch auch zum Gebet wird.

Und wäre das Wort »radi­kal« nicht so ver­pönt, man wür­de es als Lob auch dem Gedicht »Mein Bru­der stirbt« zuspre­chen. Denn dar­in rollt die Autorin wirk­lich mit Stumpf und Stiel ihre Exi­stenz vor dem frap­pier­ten Leser auf, geht bis an deren Wur­zeln. Beson­ders das Geständ­nis (man darf das wohl so nen­nen), dass der Bru­der nie der war, den sich die Schwe­ster erträum­te, näm­lich der Bera­ter, Ver­trau­te, Hel­fer, son­dern ein Mensch vol­ler Neid: »der an Dir nag­te, an Dir fraß, Dei­ne Fan­ta­sie /​ in dunk­le Räu­me lenk­te und Dich ins Zer­stö­ren trieb …« Das Ergeb­nis war, dass der Bru­der in jedem Mann gefürch­tet wur­de. Und doch habe sie das Erträum­te »vom Mann bekom­men. /​ den Vater Bru­der Ret­ter …« Bemer­kens­wer­te Zei­len in einer Zeit, da man, wenn man von Frau­en­le­ben spricht, nicht ohne das Bei­wort »stark« aus­kom­men zu kön­nen meint.

Auch das Lächeln ken­nen Nele Heyses Gedich­te, etwa in dem schö­nen »Die Sache mit den ver’s« oder in »Fried­hof (der in Wei­mar – wenn’s ordent­lich zugeht)« – »den Ort /​ wo ich einst län­ger sein wer­de /​ als ich je gewe­sen bin«. Unpa­the­tisch kom­men die Ver­se daher, pro­to­kol­lie­rend und erzäh­lend fast, und sie sind doch vom Pathos des Lebens erfüllt, ohne das es nun ein­mal nicht aus­kommt. Wer will, kann Gott­ver­trau­en dar­aus zie­hen, wer nicht: Zuver­sicht. Ganz ohne Rech­nung und ohne zu rechnen.

Nele Heyse: Lie­be rech­net sich nicht. Gedich­te, Mit­tel­deut­scher Ver­lag 2024, 112 S. 20 €.