die keine Sätze zu Ende spricht, die Auslassungspünktchen liebt, erkennt, dass die »Kugel Zeit« stärker ist als sie, die vom »Angst-Ach« heimgesucht wird, nachts, wenn es kein Wir gibt. Nele Heyse, die der Interjektion »Ach« 2022 einen ganzen Roman widmete, scheint in ihrem neuen Gedichtband »Liebe rechnet sich nicht« ein DENNOCH auszurufen. Dies dient natürlich der Befestigung eigener Zuversicht, aber die Autorin beherrscht die subtile Kunst, diese – trotz oft negativer Befunde – im Wortsinne anderen zu »vermitteln«. Und obwohl natürlich ganz fern von jedem Predigtton, so hört, wer die Gedichte liest, doch eine Lektion im Sinne des Korintherbriefs des Paulus, in dem er postuliert, dass Liebe langmütig sei, nicht Mutwillen treibe, sich nicht erbittern lasse usw.
Und dies alles unter der »Schlagzeile«, dass Liebe sich nicht rechne? Die hätte Paulus nun gewiss nicht unterschrieben. Das »Dennoch« funktioniert auch hier. Denn wir lesen in Nele Heyses Buch eine Erzählung, die man auch »Liebessuche« nennen könnte, und die im Regal mit den Liebesgeschichten doch falsch eingeordnet wäre. Aber die Gedichte nacheinander wie eine Legende der Liebe zu lesen, das bringt sie einem näher. Mir half es jedenfalls, sie mir aneignen zu können.
Das hohe Thema verhindert nicht, dass auch einmal die lyrische Selbstermunterung unterschlüpft, wo, wie auf Seite 11, das Gedicht (ob das Verfertigen oder das Lesen gemeint ist, wird nicht recht klar) als Arznei gegen die Anstrengungen des »Nichtstun[s]« angepriesen wird. Oder auch nicht, dass es auch so recht heimelig-idyllisch wird, da ein Paar zu Hause aneinander vorbeigeht, Cappuccino oder Buch in der Hand, wo die Decke auf das Sofa gebreitet wird, das Fenster verschlossen, der Sturm ausgesperrt … Es sei eingeräumt, dass auch das zur Liebe gehört. Und dann darf auch einmal ein Gedicht »Alles ist gut« heißen.
Aber wirklich einschneidend sind Gedichte wie »Kindertag«. Die Anschaffung des Buches würde sich bereits für dieses Gedicht lohnen. Es ist die Beschreibung einer Suche nach dem »Geliebt-Werden« und dem »Freund-Sein«, vorgenommen mit kaltem Blick und in der nüchternen, protokollarischen Sprache, welche die so schwer zu erreichende Ehrlichkeit derartiger Erinnerungen ermöglichen. Und die gerade dadurch hochpoetisch sind, von so großer innerer Mitnahmegewalt, dass man immer wieder zu diesem Text zurückkehrt. Besonders bewegend ist der Schluss des Gedichtes, das eigentlich ein Poem ist. Obwohl in den abschließenden Versen die berühmte paulinische Trias von »Glaube, Hoffnung, Liebe« aufgerufen wird, liest man: »Nein / ich glaube nicht / an unbeschwerte Kindheiten«. Wohl aber bleiben Träume, Verdrängen, Glaube, auch an eine unbeschwerte Kindheit. Autobiografisches ist immer einigermaßen unangenehm, wenn man ehrlich bleiben will. Ehrlichkeit ist diesem nüchtern-lapidaren Gedicht zu attestieren, das ein Gespräch mit Gott ist und dadurch auch zum Gebet wird.
Und wäre das Wort »radikal« nicht so verpönt, man würde es als Lob auch dem Gedicht »Mein Bruder stirbt« zusprechen. Denn darin rollt die Autorin wirklich mit Stumpf und Stiel ihre Existenz vor dem frappierten Leser auf, geht bis an deren Wurzeln. Besonders das Geständnis (man darf das wohl so nennen), dass der Bruder nie der war, den sich die Schwester erträumte, nämlich der Berater, Vertraute, Helfer, sondern ein Mensch voller Neid: »der an Dir nagte, an Dir fraß, Deine Fantasie / in dunkle Räume lenkte und Dich ins Zerstören trieb …« Das Ergebnis war, dass der Bruder in jedem Mann gefürchtet wurde. Und doch habe sie das Erträumte »vom Mann bekommen. / den Vater Bruder Retter …« Bemerkenswerte Zeilen in einer Zeit, da man, wenn man von Frauenleben spricht, nicht ohne das Beiwort »stark« auskommen zu können meint.
Auch das Lächeln kennen Nele Heyses Gedichte, etwa in dem schönen »Die Sache mit den ver’s« oder in »Friedhof (der in Weimar – wenn’s ordentlich zugeht)« – »den Ort / wo ich einst länger sein werde / als ich je gewesen bin«. Unpathetisch kommen die Verse daher, protokollierend und erzählend fast, und sie sind doch vom Pathos des Lebens erfüllt, ohne das es nun einmal nicht auskommt. Wer will, kann Gottvertrauen daraus ziehen, wer nicht: Zuversicht. Ganz ohne Rechnung und ohne zu rechnen.
Nele Heyse: Liebe rechnet sich nicht. Gedichte, Mitteldeutscher Verlag 2024, 112 S. 20 €.