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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Antifaschismus und Friedensarbeit

Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Frie­den und Anti­fa­schis­mus wer­den zuneh­mend von Dif­fa­mie­rung, Her­ab­wür­di­gung und Ein­sei­tig­keit beglei­tet. Die Frie­dens­be­we­gung wird dabei ver­mehrt als 5. Kolon­ne Mos­kaus und als rechts­of­fen dif­fa­miert. Die­ser Vor­wurf kommt oft von Kräf­ten, die Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne befür­wor­ten, wozu bekannt­lich auch die »alter­na­ti­ve« taz gehört.

Anti­fa­schi­sti­sche Kräf­te in der Frie­dens­be­we­gung bezie­hen ihre Arbeit auf den Schwur von Buchen­wald. Sie ver­bin­den die For­de­rung »Nie wie­der Faschis­mus!« mit der For­de­rung »Nie wie­der Krieg«. Die Ver­bin­dung des Anti­fa­schis­mus mit Frie­dens­en­ga­ge­ment erin­nert an ein Gedicht von Erich Fried: »Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. Ein Anti­fa­schist, der nichts ist als ein Anti­fa­schist, ist kein Anti­fa­schist.« Von ihm stammt auch der Text »Wer will, dass die Erde so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.« In der Tat braucht die Mensch­heit zum Über­le­ben eine glo­ba­le Koope­ra­ti­on für die Bewäl­ti­gung der Zukunfts­ge­fähr­dun­gen, wohin­ge­gen die Mäch­te der Mili­tärs mit der Stra­te­gie der Abschreckung und der Ein­däm­mung von Geg­nern zur Auf­recht­erhal­tung eige­ner Macht die­ses Erfor­der­nis im Keim ersticken.

Der von den Über­le­ben­den des KZ Buchen­wald Ende April 1945 ver­ein­bar­te Schwur weist hier­zu laut der Web­site der Gedenk­stät­te zwei Text­va­ri­an­ten auf, die bei­de für uns wich­tig sind: Die eine stellt das Anlie­gen der Ver­fol­gung der Täter in den Vor­der­grund: »Wir wer­den den Kampf erst auf­ge­ben, wenn der letz­te Schul­di­ge vom Gericht aller Natio­nen ver­ur­teilt ist.« – Tage danach, fast auf den Tag genau vor 78 Jah­ren prä­zi­sier­ten Häft­lin­ge die­se Ziel­set­zung; die seit­dem zumeist zitier­te For­mu­lie­rung zielt auf »die end­gül­ti­ge Ver­nich­tung des Faschis­mus mit sei­nen Wurzeln«.

Der VVN-Bun­des­kon­gress 1975 erin­ner­te an die in die­sem Zusam­men­hang zen­tra­len Schrit­te, die das Pots­da­mer Abkom­men ein­for­der­te, näm­lich die Ent­flech­tung der Kar­tel­le, Syn­di­ka­te und Trusts, die den Faschis­mus geför­dert und von sei­ner Kriegs­po­li­tik eine Wei­le pro­fi­tiert hat­ten. Es ent­hielt die 4 D’s: Demi­li­ta­ri­sie­rung, Den­a­zi­fi­zie­rung, Dezen­tra­li­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung. Dies zog das Ende der Wehr­macht sowie der Rüstungs­in­du­strie nach sich, und es führ­te zur Ent­fer­nung vie­ler, die an der Macht im faschi­sti­schen Staats­ap­pa­rat Anteil hat­ten, aus dem Amt.

Zugleich eröff­ne­ten die USA wäh­rend der Pots­da­mer Kon­fe­renz den Kal­ten Krieg: Anfang August 2012 erklär­te der Enkel des dama­li­gen US-Prä­si­den­ten Tru­man wäh­rend des Hiro­shi­ma-Geden­kens in Japan, der »Abwurf der Atom­bom­ben auf die Zivil­be­völ­ke­rung der bei­den japa­ni­schen Groß­städ­te hat sei­ner­zeit vor allem dem Zweck gedient, die Sowjet­uni­on abzu­schrecken«. Die­se Aus­sa­gen fin­den ihre Bestä­ti­gung in Tru­mans Memoi­ren, in denen er von sei­nem Bestre­ben berich­tet, die Sowjet­uni­on mit der Ver­kür­zung des Krie­ges um und in Japan mit Hil­fe der Atom­bom­be davon abzu­hal­ten, sich ein grö­ße­res »Stück von Kuchen« anzu­eig­nen. Das Gere­de der Ver­tei­di­ger die­ses Kriegs­ver­bre­chens, es hät­te noch mehr Leid abge­wen­det, ist inso­fern beweis­bar ein Manö­ver zur Täu­schung der Öffentlichkeit.

Aktu­ell geht es ange­sichts des welt­wei­ten und natio­na­len Kräf­te­ver­hält­nis­ses prio­ri­tär nicht mehr um die Über­win­dung aller Wur­zeln des Faschis­mus. Ein Teil der Wur­zeln ist der Zusam­men­hang zwi­schen der auf Pro­fit- und Kon­kur­renz ori­en­tier­ten wirt­schaft­li­chen Basis des Kapi­ta­lis­mus mit auto­ri­tä­ren Ent­wick­lun­gen in Staat und Gesell­schaft. Das sehen vie­le Anti­fa­schi­sten in der Fol­ge des Schwurs von Buchen­wald so, wie es auch der fran­zö­si­sche Sozia­list Jean Jau­res mit sei­nem berühm­ten Aus­spruch tut, dass der Kapi­ta­lis­mus den Krieg in sich trägt wie die Wol­ke den Regen.

Durch die­se Posi­ti­on gera­ten Anti­fa­schi­sten und damit auch die VVN ins Visier der Repres­si­on soge­nann­ter Ord­nungs­hü­ter im Staats­ap­pa­rat. Die bru­tal­ste Form der Repres­si­on ist der Faschis­mus selbst, den Geor­gi Dimit­row »die offe­ne, ter­ro­ri­sti­sche Dik­ta­tur der reak­tio­när­sten, chau­vi­ni­stisch­sten, am mei­sten impe­ria­li­sti­schen Ele­men­te des Finanz­ka­pi­tals« nann­te. Der Faschis­mus kennt aller­dings vie­le Vor­stu­fen und flie­ßen­de Über­gän­ge. So erklärt es sich, dass Max Rei­mann als KPD-Ver­tre­ter im Par­la­men­ta­ri­schen Rat wäh­rend der Beschluss­fas­sung über das Grund­ge­setz erklär­te, er wer­de die Frei­hei­ten und Rech­te bald schon gegen die ver­tei­di­gen, die sie ange­nom­men haben.

Das Erstar­ken rech­ter Par­tei­en mit Neo­na­zis wie die AfD macht deut­lich, wie wich­tig anti­fa­schi­sti­sche Orga­ni­sa­tio­nen wie die VVN als Erben des Wider­stan­des gegen Faschis­mus und Krieg und für eine Frie­dens­po­li­tik mit diplo­ma­ti­schen Lösun­gen sind.

Die Frie­dens­be­we­gung ver­folgt mit den Anti­fa­schi­sten das Ziel einer Welt ohne Natio­na­lis­mus, ohne Mili­ta­ris­mus, grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit, dar­un­ter Anti­se­mi­tis­mus, ohne Aus­gren­zung, Nazis­mus und ohne Krieg. Die rus­si­sche Inva­si­on in die Ukrai­ne ist nicht nur wegen des mensch­li­chen Leids zu ver­ur­tei­len, son­dern auch wegen der allen Sei­ten bekann­ten Gefahr einer Hava­rie in einem der AKWs in der Ukrai­ne, die bei West­wind auch das euro­päi­sche Kern­land Russ­lands mit sei­nen ca. 100 Mil­lio­nen Bewoh­nern zu ver­strah­len droht.

Heu­te kommt zur Bewah­rung der Grund­la­gen der Demo­kra­tie und der Men­schen­rech­te die Bewah­rung und Pfle­ge unse­rer Lebens­grund­la­gen hin­zu. Die Bünd­nis­po­li­tik ist durch das Erfor­der­nis eines brei­ten Bünd­nis­ses aus Antifaschist:innen, Frie­dens­en­ga­gier­ten, öko­lo­gisch inter­es­sier­ten Bewe­gun­gen und wei­te­ren Demokrat:innen eine her­aus­for­dern­de Arbeit, zu der auch eine immer wie­der neue Ori­en­tie­rung über das Selbst­ver­ständ­nis Betei­lig­ter zu zäh­len ist. Dies zum einen, da wir nur mit Kräf­ten erfolg­reich arbei­ten kön­nen, die unse­re Visio­nen und Zie­le tei­len, und dies zum ande­ren, um kei­nen Gegen­kräf­ten Raum zu gewäh­ren, uns unter Ver­weis auf Bünd­nis­se mit demo­kra­tie­feind­li­chen Kräf­ten zu delegitimieren.

Bei der Fra­ge nach Gegen­kräf­ten einer­seits und Bünd­nis­part­nern mit von uns abwei­chen­den ideo­lo­gi­schen Ansich­ten ande­rer­seits sind die Ant­wor­ten dif­fi­zil. Ich ver­deut­li­che das an einer Bro­schü­re, die der Mar­xi­sti­sche Stu­den­ten­bund Spar­ta­kus Mit­te der 1970er Jah­re in der Ruhr-Uni­ver­si­tät geschrie­ben hat­te. Er koalier­te damals in der Stu­die­ren­den­ver­tre­tung AStA mit Spon­tis. Die Bro­schü­re über das Spek­trum der Spon­ta­n­ei­sten zitier­te die­se Grup­pe mit ihrer Kri­tik an der Grund­ge­setz-Poli­tik der DKP: »›Es zeigt sich, von wel­cher Mach­art die Poli­tik der DKP ist, die (…) das Grund­ge­setz ver­tei­digt und die sich damit aktiv auf die Sei­te derer stellt, die Geg­ner und Kri­ti­ker der frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung durch Ent­zug der demo­kra­ti­schen Rech­te, die im Grund­ge­setz ent­hal­ten sind, ver­fol­gen.‹ Wir Bünd­nis­part­ner der Spon­tis beant­wor­te­ten die­se Kri­tik an uns wie folgt: ›Die Fra­ge ist doch, wer stellt sich hier auf die Sei­te der Reak­ti­on, wenn er auf die Ver­tei­di­gung der im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten Rech­te ver­zich­tet.‹« In der Bünd­nis­ar­beit gilt die rote Linie, dass es kei­nes­falls zu einer Zusam­men­ar­beit mit Faschi­sten kommt.

Das ist aktu­ell ein Pro­blem etwa im Umfeld von basis­de­mo­kra­ti­schen Grup­pen. Die Esse­ner Mon­tags­spa­zier­gän­ger bei­spiels­wei­se haben auf ihrer Web­site eine Wer­bung für eine soge­nann­te Gale­rie-Akti­on am 15.4.2023 in Düs­sel­dorf, bei der sie sich unter ande­rem gegen Krieg wen­den, aber auch gegen soge­nann­te »Über(!)fremdung« (…) sowie gegen eine von ihnen so bezeich­ne­te »Kli­ma-Wan­del-Pro­pa­gan­da«. Die Esse­ner Basis­de­mo­kra­ti­sche Par­tei unter­stützt auf ihrer Face­book-Sei­te die sich so nen­nen­den Mon­tags­spa­zier­gän­ger und erweist sich damit als Unter­stüt­zer von Kräf­ten, die sich für unde­mo­kra­ti­sche Zie­le ein­set­zen, die einer anti­fa­schi­stisch-frie­dens­öko­lo­gi­schen Arbeit entgegenstehen.

So unhalt­bar, wie die Quer­front-Vor­wür­fe gegen die Frie­dens­be­we­gung sind, so beweis­bar falsch ist der Vor­wurf der Russ­land-Nähe. Wer den Bruch völ­ker­recht­li­cher Ver­trä­ge in der Vor­ge­schich­te des Ukrai­ne-Krie­ges wahr­nimmt, nimmt mit die­ser Ana­ly­se kei­ne Par­tei für Russ­land. Der Bruch der in meh­re­ren inter­na­tio­na­len Ver­trä­gen ver­ein­bar­ten Frie­dens­ord­nung gegen­sei­ti­ger Sicher­heit, den die Nato-Ost­ex­pan­si­on dar­stellt, gehört zwar zwin­gend zur Vor­ge­schich­te des Krie­ges in Ost­eu­ro­pa, aber damit ist kein Krieg zu legi­ti­mie­ren. Der Ver­weis auf die­sen Zusam­men­hang durch­kreuzt aller­dings die Pro­pa­gan­da der Nato, wenn sie von einem unpro­vo­zier­ten Angriffs­krieg Russ­lands spricht. Die Täu­schung geht bis auf die Des-Infor­ma­ti­on zurück, die Krim-Kri­se sei der erste Rechts­bruch gewe­sen, der das Sicher­heits­um­feld aus den Angeln geho­ben habe. Der erste Rechts­bruch in die­sem Zusam­men­hang war der Regie­rungs­aus­tausch in Kiew Wochen zuvor, der mit der Ver­fas­sung und damit mit dem Recht brach. Die ein­sei­ti­ge Abwäl­zung der Ver­ant­wor­tung für die Lage auf Russ­land hält den Fak­ten nicht stand.

Beson­ders aggres­siv tritt der in Tei­len des Anti­fa-Spek­trums ein­fluss­rei­che Inter­net­blog die Ruhr­ba­ro­ne gegen die Frie­dens­be­we­gung auf, wenn er sie nicht nur rechts­of­fen, son­dern auch als direkt von Mos­kau bezahlt dar­stellt – Zitat: »Um Frie­den ging es der Frie­dens­be­we­gung noch nie. Bis zum Zusam­men­bruch des Ost­blocks wur­de sie maß­geb­lich aus der DDR und der Sowjet­uni­on finan­ziert.« Über den zurück­lie­gen­den Oster­marsch in Duis­burg schrie­ben sie unter dem Titel »Putins treue Trup­pe«: Es kam zu lei­ser »Kri­tik am rus­si­schen Angriffs­krieg – um in einem Atem­zug spä­ter der Nato und dem bösen Westen für den rus­si­schen Über­fall auf die Ukrai­ne ver­ant­wort­lich zu machen. Das Event hät­te in die­ser Form auch, straf­frei, heu­te auf dem Roten Platz in Mos­kau statt­fin­den können.«

Die Mani­pu­la­ti­on wird ange­sichts des rea­len Wort­lauts einer auf dem­sel­ben Oster­marsch gehal­te­nen Rede deut­lich: »Wir ver­ur­tei­len nicht nur die Inva­si­on Russ­lands in die Ukrai­ne, son­dern auch den durch die Nato-Ost­erwei­te­rung voll­zo­ge­nen Bruch völ­ker­recht­li­cher Tex­te im Sin­ne einer Frie­dens­ord­nung der gemein­sa­men, weil gegen­sei­ti­gen Sicher­heit in Euro­pa. Und wir ver­lan­gen eine sol­che Welt­frie­dens­ord­nung der Koope­ra­ti­on zur Lösung der Mensch­heits­fra­gen. Die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krie­ge, die die Span­nun­gen nicht nur in Ost­eu­ro­pa, son­dern welt­weit stei­gern, unter­gra­ben die Aus­sicht auf eine Zukunft für die Zivi­li­sa­ti­on, die mit Abschreckung, nuklea­rer Dro­hung, Gewalt und Vor­macht­stre­ben unver­ein­bar ist – die Welt­frie­dens­ord­nung, die eine unver­zicht­ba­re Bedin­gung für die Bewäl­ti­gung der öko­lo­gi­schen, sozia­len und mili­tä­ri­schen Zukunfts­ge­fähr­dun­gen ist.«

Die Bri­sanz der Lage der Mensch­heit wird auch an der War­nung kri­ti­scher Nukle­ar­wis­sen­schaft­lern deut­lich, nach der wir uns auf der Eska­la­ti­ons­lei­ter bei ein­ein­halb Minu­ten vor Zwölf befin­den. Die Wis­sen­schaft­ler sehen uns heu­te in der gefähr­lich­sten Zeit seit Hiro­shi­ma und Nagasaki.

Die Prio­ri­tät der Bewah­rung des Lebens­raums Erde in einer Zeit, in der immer mehr Regio­nen infol­ge von lang anhal­ten­der und extre­mer Hit­ze oder auch von mas­si­ven Über­flu­tungs­ge­fah­ren in den Bereich der Unbe­wohn­bar­keit zu gelan­gen dro­hen, über­ge­hen die Mili­tär­stra­te­gen der Abschreckung, und sie eska­lie­ren die Span­nun­gen aktu­ell auch noch gegen­über Chi­na, dem die Welt­ge­mein­schaft in den 1970er Jah­ren, als der Viet­nam­krieg zum Deba­kel für die USA wur­de, die Ein-Chi­na-Poli­tik ver­trag­lich zusi­cher­te, was sie aktu­ell mit einer Pro­pa­gan­da für die Sou­ve­rä­ni­tät Tai­wans ver­ges­sen macht.

Abrü­stung statt Auf­rü­stung ist ein Über­le­bens­er­for­der­nis, eben­so wie Koope­ra­ti­on und Diplo­ma­tie, statt Eska­la­ti­on mit Abschreckung. Es geht um eine Über­win­dung des Natio­na­lis­mus, um die Gleich­be­hand­lung aller Men­schen, unab­hän­gig von ihrer Her­kunft, ihrem Glau­ben, ihren Vor­lie­ben und wei­te­ren Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten, um einen Aus­bau der Demo­kra­tie in allen gesell­schaft­li­chen Berei­chen. Damit allein kann auch dem Faschis­mus der Boden ent­zo­gen wer­den. Das ist die Auf­ga­be des Anti­fa­schis­mus, der Frie­dens­be­we­gung, der Gewerk­schaf­ten und aller wei­te­ren Kräf­te, die sich für eine über­le­bens­fä­hi­ge Gesell­schaft einsetzen.