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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ach, solche Armut!

Nach dem Tarif­ab­schluss für den öffent­li­chen Dienst wur­de von der Regie­rungs­sei­te ver­laut­bart, dass das – kaum infla­ti­ons­decken­de – Ergeb­nis gera­de noch finan­zi­ell ver­kraft­bar wäre. Ja, der finan­zi­el­le Spiel­raum des Staats­haus­halts ist eng. Aber wie kommt das, wo lie­gen die Ursa­chen? Ist nicht genug Geld im »Staats­säckel«? Der Bun­des­haus­halt 2023 beträgt 476 Mil­li­ar­den Euro. Er dient zur Rea­li­sie­rung aller hoheit­li­chen Auf­ga­ben und wur­de in der Ver­gan­gen­heit ziem­lich aus­ge­schöpft, manch­mal auch über­stra­pa­ziert; der Kampf um die »schwar­ze Null« dau­ert ja schon meh­re­re Jah­re. Und dann kam das Jahr 2022: Kaum hat­te der Ukrai­ne-Krieg begon­nen, ver­kün­de­te der Bun­des­kanz­ler ein – wohl­ge­merkt zusätz­li­ches – Son­der­ver­mö­gen von 100 Mil­li­ar­den Euro. Aber es ging noch wei­ter: Die beflis­se­ne Befol­gung aller EU-Sank­tio­nen durch die Bun­des­re­gie­rung bewirk­te einen radi­ka­len Schnitt bei der Ener­gie­ver­sor­gung. (Bemer­kens­wert hier­bei: Die EU-Hier­ar­chien leg­ten einen Kurs fest, des­sen finan­zi­el­le und wirt­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen sie nicht zu bewäl­ti­gen haben – das über­lässt man dann den Mitgliedsstaaten!)

Zu den Aus­wir­kun­gen die­ser Poli­tik: Die Bun­des­re­gie­rung sah sich gezwun­gen, bis zum Dezem­ber 2022 hier­für etwa 290 Mil­li­ar­den Euro bereit­zu­stel­len (3 Ent­la­stungs­pa­ke­te und der popu­li­stisch ver­kauf­te »Dop­pel­wumms«) – wohl­ge­merkt: zusätz­lich zum lau­fen­den Staats­haus­halt! Ange­nom­men, die­se Sum­men wür­den sich auf zwei Jah­re ver­tei­len, ergä­be dies eine Zusatz­be­la­stung pro Jahr von etwa 150.000 Mil­lio­nen Euro für die Ener­gie­ver­sor­gung sowie 50.000 Mil­lio­nen für Mili­tär­aus­ga­ben. Dass dadurch viel zu wenig für die Lohn­stei­ge­run­gen bleibt, ist die logi­sche Kon­se­quenz. Ach, sol­che Armut!

Betrach­tet man die Zusatz­ko­sten im Zusam­men­hang mit dem Ukrai­ne-Krieg, gibt es wei­te­re Sum­men: Die Mili­tär­hil­fe für die Ukrai­ne belief sich gemäß sta­ti­sti­schem Bun­des­amt bis April 2023 auf 7 Mil­li­ar­den Euro, 2,7 Mil­li­ar­den kom­men aktu­ell hin­zu. Die Kosten für die Grund­si­che­rung, die jeder Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne erhält, kön­nen – pro Kopf mit 500 Euro ange­setzt – eben­falls auf 7 Mil­li­ar­den geschätzt wer­den. Die Auf­wen­dun­gen für den erfor­der­li­chen Wohn­raum sind mit 3 Mil­li­ar­den sicher nicht zu hoch ange­setzt. Auch die­se Kosten bela­sten den Staats­haus­halt und schmä­lern die Beträ­ge für Pfle­ge­hei­me, kom­mu­na­le Kli­ni­ken, Zukunfts­in­ve­sti­tio­nen usw. – ach, sol­che Armut!

Aber nicht nur der Bun­des­haus­halt hat seit Febru­ar 2022 zu lei­den: Bei jedem Bun­des­bür­ger sind Preis­stei­ge­run­gen ange­kom­men, sie führ­ten 2022 zu einer Infla­ti­ons­ra­te von 4 Pro­zent. Ange­nom­men, jeder­mann möch­te sei­nen Lebens­stan­dard bei­be­hal­ten und wen­det ent­spre­chend mehr Geld dafür auf, dann ist aus den Zah­len des sta­ti­sti­schen Bun­des­amts abzu­le­sen, dass wir alle zusam­men pro Jahr ins­ge­samt über 40 Mil­li­ar­den mehr aus­ge­ben müs­sen. Und irgend­wann gilt für uns dann auch: Ach, die­se Armut! Dies ist jedoch nur ein Durch­schnitts­wert; jeder Gering­ver­die­ner hat viel stär­ker zu lei­den als hoch­do­tier­te Singles.

Ein wei­te­rer Fak­tor resul­tiert aus den Ener­gie-Sank­tio­nen der EU und – letzt­end­lich phy­sisch per Spren­gung unum­kehr­bar gemacht – Ver­teu­fe­lung rus­si­scher Ener­gie­res­sour­cen: Die Export-Stär­ke der BRD resul­tier­te u. a. aus bil­li­gen Ener­gie­lie­fe­run­gen. Wird die Ener­gie teu­rer, sinkt die Gewinn-Mar­ge der Export­fir­men, der Absatz eben­falls, da kon­kur­rie­ren­de Fir­men außer­halb der EU die Auf­trä­ge weg­schnap­pen. Dar­aus resul­tiert – kon­trär zu den erhöh­ten Staats­aus­ga­ben – eine Redu­zie­rung von den Steu­er­ein­nah­men der expor­tie­ren­den Fir­men. Ergo: Mehr Auf­wand bei weni­ger Ein­nah­men. Man­chem kommt hier­bei ein alter Kän­gu­ru-Witz in den Sinn: Gro­ße Sprün­ge mit lee­rem Beu­tel … Ach, sol­che Armut!

Sicher könn­te man die Fol­gen der poli­ti­schen und finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen der aktu­el­len Regie­rungs­ko­ali­ti­on noch viel detail­rei­cher gestal­ten, die obi­gen Bei­spie­le sol­len jedoch aus­rei­chen. Denn sie zei­gen bereits eine star­ke Ten­denz: Ent­schei­dun­gen wur­den getrof­fen, deren Trag­wei­te ent­we­der nicht geprüft oder ein­fach igno­riert wur­den. Der erste Fall steht in Kor­re­la­ti­on zu wirt­schaft­li­chem und poli­ti­schem Fach­wis­sen; dar­über soll­te die Regie­rung eines hoch­ent­wickel­ten Lan­des unzwei­fel­haft ver­fü­gen. Ist dies nicht der Fall, wäre dies eine ande­re Form von Armut.

Im zwei­ten Fall spie­len noch mensch­li­che, ggf. psy­cho­lo­gi­sche Aspek­te hin­ein: Igno­riert man objek­ti­ve Zusam­men­hän­ge, ste­hen die­sen wahr­schein­lich wich­ti­ge­re bzw. stär­ke­re Inter­es­sen ent­ge­gen. Die­se kön­nen aus ver­schie­de­nen Quel­len stam­men – aus Abhän­gig­keit von »höhe­ren Mäch­ten«, aus Kind­heits­prä­gun­gen, aus Angst oder einem zöger­li­chen Wesen, viel­leicht auch aus Hass? Dies sei jedem zuge­stan­den, es wird jedoch gefähr­lich (und für ande­re unbe­re­chen­bar), wenn dies zur Leit­schnur für poli­ti­sches Han­deln wird! Letzt­end­lich wäre dies eine Armut an Objektivität.

Betrach­tet man die genann­ten Mil­li­ar­den-Strö­me, drängt sich die Fra­ge auf: Wohin flie­ßen die­se? Von den zusätz­li­chen Mili­tär­aus­ga­ben gelangt der Groß­teil sicher in die Taschen der Rüstungs­in­du­strie und deren Finan­ciers wie Black­Rock oder Van­guard, sowohl inner­halb als außer­halb der BRD. Ähn­li­ches ist zu ver­mu­ten bzgl. der Ener­gie­auf­wen­dun­gen, wobei die­se inlän­disch die stärk­sten Bela­stun­gen abfe­dern sol­len – dies aber hoch­gra­dig, um die Prei­se für die impor­tier­te Ener­gie aus­zu­glei­chen! Also flie­ßen die fast 300.000 Mil­lio­nen Euro »nach außen weg«; sie wer­den nur in gerin­gem Maße inve­stiert, um inlän­disch Kapi­tal zu akku­mu­lie­ren. Denn es ist phy­si­ka­lisch bekannt: LNG muss von weit­her impor­tiert wer­den auf teu­ren Spe­zi­al­tan­kern, dabei stän­dig auf fast -200°C gekühlt wer­den (Käl­te­en­er­gie ist sehr teu­er!), wobei die Schif­fe mit Schwer­öl fah­ren, das auf 130°C vor­ge­wärmt wer­den muss, um über­haupt zur Ver­bren­nung zu kom­men. Aus Umwelt­aspek­ten ist der LNG-Ein­satz dem­nach eine pure Ener­gie­ver­nich­tung – favo­ri­siert von einem grü­nen Ministerium!

Flie­ßen die genann­ten Mil­li­ar­den­sum­men ab, müs­sen sie irgend­wie finan­ziert wer­den. Dies wird sicher von kei­ner Kreis­spar­kas­se zu bewäl­ti­gen sein – hier kom­men nur die ganz gro­ßen Finan­ciers ins Spiel! Dabei geht es nicht nur um Kre­di­te, Rück­zah­lungs­fri­sten und Zin­sen, son­dern z. B. auch um Sicher­hei­ten bei Kre­dit­aus­fall. In der Ukrai­ne haben sich Black­Rock, Van­guard und Co. eben­so wie Monsan­to schon enor­me Land­ge­bie­te gesi­chert; die Bun­des­re­gie­rung wird ihnen auch etwas bie­ten müs­sen … Dass die glei­chen Finanz-Dienst­lei­ster mehr­fach betei­ligt sind, ist sicher kein Zufall; sie wer­den garan­tiert auch irgend­wann der Ukrai­ne wie­der »auf die Bei­ne helfen«.

Ob die­se Sicher­hei­ten hier­zu­lan­de in Form von Staats­flä­chen, Betei­li­gun­gen an der Bun­des­bahn oder bei der Durch­set­zung des TTIP-Abkom­mens gewährt wer­den – wir erfah­ren es wohl erst dann, wenn alles »fest­ge­klopft« ist. Aber es ist Staats­ei­gen­tum, mit­hin Eigen­tum, das der all­ge­mei­nen Wohl­fahrt die­nen und nicht die dick­sten Kapi­tal-Haie noch füt­tern soll! Also auch in die­sem Fall han­delt die aktu­el­le Regie­rungs­ko­ali­ti­on so, dass das Staats­ver­mö­gen gerin­ger und wir ärmer werden.

Doch mit der beschrie­be­nen Finanz­po­li­tik befin­den wir uns ja »in guter Gesell­schaft«: Gera­de hat die US-Regie­rung fest­ge­stellt, dass der Staats­haus­halt für 2023 bereits auf­ge­braucht ist – und das Mit­te Mai, also noch mit­ten im ersten Halb­jahr! Und die Finanz­mi­ni­ste­rin droht mit einem welt­wei­ten Kol­laps, wenn die Schul­den­gren­ze nicht ange­ho­ben wird – wäre es nicht ihre Auf­ga­be gewe­sen, recht­zei­tig zu war­nen und dage­gen zusteu­ern? Also auch beim »dicken Mus­kel­protz« die pure Armut …