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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Verwirrte Zyniker

In einem Inter­view mit der Süd­deut­schen Zei­tung hat der ukrai­ni­sche Diplo­mat Oleksan­der Scher­ba Tei­le der Frie­dens­be­we­gung im Westen als »eine Bewe­gung von ver­wirr­ten Men­schen und Zyni­kern« bezeich­net, »die wil­lens sind, die Augen zu ver­schlie­ßen vor der Zer­stö­rung und der Frei­heit von Mil­lio­nen Men­schen inmit­ten Euro­pas«. Ihr Ziel sei nicht ein »Ende des Tötens« in der Ukrai­ne, es gehe viel­mehr dar­um, »dass sie mit Bil­dern des Tötens nicht mehr in den Abend­nach­rich­ten kon­fron­tiert wer­den wol­len. Das Töten der Ukrai­ner darf zwar durch­aus wei­ter­ge­hen – aber bit­te unsicht­bar für die emp­find­li­chen west­li­chen Augen: in Fol­ter­kam­mern, Gefäng­nis­sen und Arbeits­la­gern, deren Schaf­fung in der rus­si­schen Pres­se aktiv dis­ku­tiert und gefor­dert wird.«

Eine der­ar­ti­ge Unver­fro­ren­heit bei der Dif­fa­mie­rung (friedens-)politisch Anders­den­ken­der wirft ein mehr als bedenk­li­ches Licht auf das Demo­kra­tie­ver­ständ­nis jenes Diplo­ma­ten. Bei allem Ver­ständ­nis für sei­ne Sor­ge um den wei­te­ren Ver­lauf des Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne ist Scher­bas ver­ba­le Ent­glei­sung voll­kom­men inak­zep­ta­bel und kon­ter­ka­riert die viel­fäl­ti­gen (auch diplo­ma­ti­schen) Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen bei den Bemü­hun­gen um ein Ende jenes Krie­ges. Und es stellt sich auch die Fra­ge, wie eine der­art into­le­ran­te Sicht­wei­se eines ukrai­ni­schen Diplo­ma­ten in Post-Kriegs­zei­ten kon­struk­tiv Ein­fluss auf die not­wen­di­gen und erfor­der­li­chen Bemü­hun­gen der Ukrai­ne bei der Bekämp­fung der Kor­rup­ti­on inner­halb der Ukrai­ne, bei der Ent­mach­tung ukrai­ni­scher Olig­ar­chen und bei der Ent­po­li­ti­sie­rung der ukrai­ni­schen Justiz neh­men kann. Dies­be­züg­li­che Zwei­fel sind lei­der mehr als angebracht.

In noch destruk­ti­ve­rer Art und Wei­se ver­hält sich der Sekre­tär des Natio­na­len Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­ra­tes der Ukrai­ne, Olek­sij Dani­low, wenn er auf sei­ner Face­book-Sei­te zwölf Schrit­te zur Rück­erobe­rung der Krim skiz­ziert, die erschrecken­der­wei­se tota­li­tä­re Züge auf­wei­sen. In einem Bericht der taz über Dani­lows zwölf Schrit­te »eines Deo­kup­p­a­ti­ons-Pro­zes­ses« ist die Rede davon, dass die in der Ukrai­ne leben­de Bevöl­ke­rung »ent­gif­tet« wer­den müs­se, nach­dem der »rus­si­sche Gau­lei­ter-Abschaum auf der vor­über­ge­hend besetz­ten Krim in einem hyste­ri­schen Z-Anfall zu weit gegan­gen« sei. Russ­land dür­fe »in sei­ner jet­zi­gen Form so nicht wei­ter­le­ben«. Zu den ukrai­ni­schen Sicher­heits­in­ter­es­sen gehör­ten des­halb die »Desub­jek­ti­vie­rung Russ­lands als staat­li­ches Gebil­de und die Depu­ti­ni­sie­rung der Bevöl­ke­rung«. Die Welt müs­se sich an den Gedan­ken gewöh­nen, dass Russ­land in den Gren­zen und in dem Zustand, in dem es der­zeit exi­stie­re, nicht über­le­ben solle.

Man könn­te die igno­ran­te Sicht­wei­se von Scher­ba und die dem­ago­gi­schen Wor­te Dani­lows in beschwich­ti­gen­der Wei­se als ver­ba­le Ent­glei­sun­gen oder als Ein­zel­mei­nun­gen abtun, doch in ihrer demo­kra­tie­feind­li­chen Radi­ka­li­tät und Bru­ta­li­tät sind sie ein­fach nicht hin­nehm­bar und bedür­fen einer deut­li­chen und ent­schlos­se­nen Zurück­wei­sung. Die Bun­des­re­gie­rung hat erst vor weni­gen Tagen auf ihrer immer län­ger wer­den­den »Liste der mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen« für die Ukrai­ne das Luft­ver­tei­di­gungs­sy­stem PATRIOT ergänzt sowie mit Grenz­schutz­fahr­zeu­gen und Zetros-LKWs. Deutsch­land gehört damit schon längst zu einem der wich­tig­sten Geld­ge­ber und Waf­fen­ex­por­teu­re inner­halb der die Ukrai­ne unter­stüt­zen­den Staa­ten­ge­mein­schaft. Das darf gegen­über der Ukrai­ne indes nicht voll­kom­men gren­zen- und kri­tik­los blei­ben. Denn offen­bar benö­ti­gen eini­ge hoch­ran­gi­ge poli­ti­sche Akteu­re der Ukrai­ne drin­gend Nach­hil­fe in Sachen Demokratieverständnis.

Die Liste der Bun­des­re­gie­rung für mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen soll­te mit einer Liste demo­kra­tie­för­dern­der Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen erwei­tert wer­den, auf die ein demo­kra­ti­sches Staats­we­sen nicht ver­zich­ten kann und die sich wie folgt zusam­men­fas­sen las­sen: Demo­kra­ten (und sol­che, die es wer­den wol­len) beken­nen sich bedin­gungs­los zu den Prin­zi­pi­en von Rechts­staat­lich­keit, Gewal­ten­tei­lung, Volks­sou­ve­rä­ni­tät und Oppo­si­ti­on. Sie ach­ten die Grund­rech­te wie die Mei­nungs- und Reli­gi­ons­frei­heit, ver­tre­ten Wer­te wie Soli­da­ri­tät, Aner­ken­nung oder Respekt und ste­hen für die Gleich­wer­tig­keit aller Men­schen ein. Das mag in Zei­ten eines Krie­ges zynisch klin­gen, doch für ein Land, das Mit­glied der Euro-
päi­schen Uni­on wer­den möch­te, ist die Umset­zung jener uni­ver­sa­len Wer­te alter­na­tiv­los. Und von der Bun­des­re­gie­rung muss die Zivil­ge­sell­schaft erwar­ten kön­nen, dass sämt­li­che Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen an die Ukrai­ne immer wie­der im Lich­te des dor­ti­gen Demo­kra­tie­ver­ständ­nis­ses bewer­tet und nöti­gen­falls auch kor­ri­giert wer­den. Andern­falls wür­de der kol­lek­ti­ve Anspruch an die Ach­tung und Ein­hal­tung unse­rer eige­nen demo­kra­ti­schen Wer­te und Prin­zi­pi­en ver­ra­ten wer­den. Das wäre voll­kom­men inak­zep­ta­bel und wür­de uns tat­säch­lich zu »ver­wirr­ten Zyni­kern« ver­kom­men las­sen. Was wie­der­um nicht wirk­lich im Inter­es­se der Her­ren Scher­ba, Dani­low, Mel­nyk und Kon­sor­ten sein sollte.