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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Aristophanes-Jahr des Weltfriedensrats

Der grie­chi­sche Komö­di­en­dich­ter Ari­sto­pha­nes hät­te sich nicht ein­mal in einer sei­ner wil­de­sten Komö­di­en aus­den­ken kön­nen, dass 2400 Jah­re spä­ter sein Geburts­tag ein gan­zes Jahr lang – es han­del­te sich um das Jahr 1954 – welt­weit gefei­ert wer­den wür­de. (Jeden­falls von den Frie­dens­be­weg­ten im Osten und denen, die kei­ne Berüh­rungs­äng­ste gegen­über den »sozia­li­sti­schen Län­dern« hatten.)

Dass dies geschah, ist der Tätig­keit des Welt­frie­dens­ra­tes (WFR) zu ver­dan­ken. Die­ser war im Novem­ber 1950 auf dem »2. Welt­frie­dens­kon­gress« in War­schau zur För­de­rung der fried­li­chen Koexi­stenz und der nuklea­ren Abrü­stung gegrün­det wor­den und stand in der Tra­di­ti­on der Frie­dens­be­we­gung, die Anfang der 1930er Jah­re einen damals schon befürch­te­ten erneu­ten Welt­krieg ver­hin­dern wollte.

Der Welt­frie­dens­rat die­ser Zeit galt und gilt als kom­mu­ni­stisch domi­niert; doch waren dort auch Per­so­nen orga­ni­siert, deren Bemü­hun­gen für die Erhal­tung des Frie­dens im Westen kei­nen Rück­halt fan­den. Der Histo­ri­ker Rüdi­ger Schla­ga kam 1991 in einer umfang­rei­chen Unter­su­chung zu dem Ergeb­nis: »Bis in die Mit­te der [19]60er Jah­re wur­de immer wie­der ver­sucht, die the­ma­ti­sche wie poli­ti­sche Ver­en­gung auf die sozia­li­sti­schen Län­der auf­zu­bre­chen und die Orga­ni­sa­ti­on als inte­gren und poten­ten Bünd­nis­part­ner in die welt­wei­ten Bewe­gun­gen für Frie­den und Abrü­stung ein­zu­bin­den.« Er stell­te aber anschlie­ßend fest, dass das domi­nan­te Ver­hal­ten der UdSSR die­se Bemü­hun­gen zunichtemachte.

Des­sen unge­ach­tet, lässt sich aber fest­stel­len, dass der Welt­frie­dens­rat eine gute Wahl getrof­fen hat­te, als er im Novem­ber 1953 beschloss, Ari­sto­pha­nes’ Geburts­tag im gesam­ten fol­gen­den Jahr zu fei­ern, denn die­ser anti­ke Dich­ter hat­te in meh­re­ren Komö­di­en wäh­rend des ent­schei­den­den inner­grie­chi­schen Krie­ges (des Pelo­pon­ne­si­schen Krie­ges 431-404) immer wie­der den Frie­dens­ge­dan­ken unter­stützt und Kriegs­het­zer lächer­lich gemacht. Er hat­te dabei die damals zeit­wei­lig weit­ge­hen­de Frei­heit der Äuße­rungs­mög­lich­keit genutzt, war jedoch auch auf erbit­ter­ten Wider­stand gesto­ßen, was sei­ne Hart­näckig­keit aber nicht verminderte.

Bekannt ist bis in jüng­ste Zeit sei­ne Komö­die »Lysi­stra­ta«, deren Hand­lung auf dem Plan der Haupt­per­son beruht, die Män­ner durch Ver­wei­ge­rung des Geschlechts­ver­kehrs dazu zu zwin­gen, den Krieg zu been­den. In den »Acharnern« schließt die Haupt­per­son Dikai­o­po­lis einen Pri­vat­frie­den mit dem Kriegs­geg­ner Spar­ta für sich und sei­ne Fami­lie. Im »Frie­den« wird die »Eire­ne«, die Frie­dens­göt­tin, aus ihrer Gefan­gen­schaft befreit, und die Waf­fen­pro­du­zen­ten haben den Scha­den. Selbst in sei­ner letz­ten erhal­te­nen Komö­die, dem »Plu­tos« (388) – die­ser war der Gott des Reich­tums – beschäf­tigt sich Ari­sto­pha­nes indi­rekt wei­ter­hin mit dem The­ma »Krieg und Frie­den«: Nach der Nie­der­la­ge Athens fan­den die Kri­sen kein Ende; auch Spar­ta konn­te sei­ne Domi­nanz nicht lan­ge hal­ten. Die Schwä­chung der grie­chi­schen Staa­ten hat­te gro­ße öko­no­mi­sche Fol­gen; sie führ­te zur Ver­ar­mung zuneh­mend grö­ße­rer Krei­se der Bevöl­ke­rung. Nun wur­de eine der sozia­len Kriegs­fol­gen – Ver­ar­mung – sein Thema.

Wel­che Gedan­ken den WFR zu sei­ner – gelin­de gesagt: ori­gi­nel­len, es lie­ße sich auch sagen: skur­ri­len – Ent­schei­dung bewegt hat, das Jahr 1954 zum Ari­sto­pha­nes-Jahr zu erklä­ren, lie­ße sich nur auf Grund der Akten die­ser Orga­ni­sa­ti­on genau­er bestim­men. (Was das Bun­des­ar­chiv aus dem Bestand der DDR-Unter­la­gen bie­tet, ist küm­mer­lich: Die 35 Sei­ten ent­hal­ten drei mit Ari­sto­pha­nes sym­pa­thi­sie­ren­de Bei­trä­ge in fran­zö­si­scher Spra­che, zwei davon aus der Feder grie­chi­scher AutorIn­nen, sowie einen Arti­kel aus dem Neu­en Deutsch­land vom 24.5.1953 mit einer Liste der »neu­en Mit­glie­der des Welt­frie­dens­ra­tes« – damals, wie bis 1955 üblich – noch Ein­zel­mit­glie­der.) Nahe­lie­gend ist die Ver­mu­tung, dass ein Zusam­men­hang besteht mit der vor­läu­fi­gen Been­di­gung des Korea-Krie­ges (Waf­fen­still­stand vom 27. Juli 1953.) Wel­che Bedeu­tung der Tod Sta­lins am 5. März des­sel­ben Jah­res mit­samt den fol­gen­den poli­ti­schen Tur­bu­len­zen gehabt hat, ist schwer einzuschätzen.

Auf jeden Fall waren nun zunächst die Alter­tums­wis­sen­schaft­ler gefor­dert, die einen in der Rol­le als Unter­stüt­zer, die ande­ren als Oppo­nen­ten die­ses Pro­jekts: Ari­sto­pha­nes in der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts als Vor­fah­ren des Welt­frie­dens­ra­tes zu feiern.

Durch­mu­stert man die Bän­de des »Marou­zeau«, der inter­na­tio­na­len Biblio­gra­phie im Bereich der Alter­tums­wis­sen­schaf­ten, in die­sem und den fol­gen­den Jah­ren, stößt man auf etli­che Bei­spie­le dafür, dass die Aus­ru­fung des Ari­sto­pha­nes-Jah­res offen­bar anre­gend auf die Pro­duk­ti­on der Wis­sen­schaft­ler in den »sozia­li­sti­schen Staa­ten« gewirkt hat. Wie wäre es sonst zu erklä­ren, dass in Polen ein detail­lier­ter Über­blick über die Ari­sto­pha­nes-Rezep­ti­on seit der Frü­hen Neu­zeit erschien? Oder dass eine Bear­bei­tung der ari­sto­pha­ni­schen Stücke »Die Acharner« und »Der Frie­den« durch Lion Feucht­wan­ger (bereits 1918 erschie­nen), am 29.12.1954 in Pots­dam urauf­ge­führt wur­de und anschlie­ßend 22 Auf­füh­run­gen erleb­te? In Polen und in der UdSSR erschie­nen volks­tüm­li­che Ein­füh­run­gen in das Werk des anti­ken grie­chi­schen Komö­di­en­dich­ters. Ein Rezen­sent aus der BRD rümpf­te 1957 die Nase über ein im Jah­re 1955 in der UdSSR erschie­ne­nes Werk: »Auf­trag­ge­ber war der kom­mu­ni­sti­sche ›Welt­frie­dens­kon­gress‹, der den 2400. Geburts­tag (sic!) [im Ori­gi­nal – L.Z.] zu fei­ern auf­for­der­te. Die gestell­te Norm wur­de […] erfüllt.«

Kurz und schlecht: Selbst im eng­sten Fach­kreis erreich­te das »Ari­sto­pha­nes-Jahr« nur geteil­ten Zuspruch. Noch weni­ger fin­den sich Spu­ren der poli­ti­schen Wir­kung außer­halb der Län­der des »real-exi­stie­ren­den Sozialismus«.

Das »Ari­sto­pha­nes-Jahr« eine pro­pa­gan­di­sti­sche Rake­te, die nicht zün­de­te? So kann man es sehen. Zu berück­sich­ti­gen ist aller­dings, dass der Kal­te Krieg damals einen sei­ner Höhe­punk­te erleb­te – so wie heu­te wieder!

Wir soll­ten also im Inter­es­se einer gerech­ten Beur­tei­lung die­ses Ver­suchs, anti­ken Anti­mi­li­ta­ris­mus wie­der­zu­be­le­ben, den Blick auf die­je­ni­gen Mit­glie­der rich­ten, die dies­seits des »Eiser­nen Vor­hangs« leb­ten und sich für den Frie­den ein­setz­ten. Sie wur­den damals in vie­len Fäl­len dif­fa­miert. Es dürf­te für die »Frei­schwe­ben­den« unter ihnen eine Ermun­te­rung ihres Enga­ge­ments gewe­sen sein, zu wis­sen, dass 2400 Jah­re zuvor ein Autor unter ande­ren Bedin­gun­gen ähn­li­che Zie­le – und dazu in deut­li­cher Spra­che – ver­folg­te wie sie.

Die­ser Gedan­ke lässt sich auf die Gegen­wart über­tra­gen: Es muss nicht Ari­sto­pha­nes sein, der Frie­dens­be­weg­te ermu­tigt; aber es ist sicher auch heu­te gut zu wis­sen, dass das Enga­ge­ment für den Frie­den tie­fe Wur­zeln in der Geschich­te hat.