Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Erdrosselung der Demokratie

Der Ber­li­ner Ver­lag Die Buch­ma­che­rei hat es sich zur Auf­ga­be gemacht, ver­grif­fe­ne Titel mit fort­schritt­li­chem Hin­ter­grund und mit sozi­al­ge­schicht­li­cher Bedeu­tung neu her­aus­zu­ge­ben, um sie vor dem Ver­ges­sen­wer­den zu bewah­ren. Ein fri­sches Ergeb­nis die­ser Bemü­hun­gen ist die Neu­aus­ga­be von Tex­ten und Illu­stra­tio­nen der letz­ten zehn Aus­ga­ben der Weltbühne. Den Anlass zur Neu­auf­la­ge gab das Ver­bot der Zeit­schrift vor 89 Jah­ren im März 2022, wie die Her­aus­ge­ber Die­ter Braeg und Jochen Gester in ihrem Vor­spann anmer­ken. Die letz­te Aus­ga­be wur­de am 6. März aus­ge­lie­fert »und am 7.3.1933 drang die Poli­zei in die Redak­ti­ons­räu­me ein, ließ sich alle Schlüs­sel aus­lie­fern, beschlag­nahm­te alles und exe­ku­tier­te das Ver­bot der Wochen­zeit­schrift auf unbe­stimm­te Zeit« (S. 11). Zwei Tage zuvor konn­te sich die NSDAP mit Hil­fe der DNVP eine Mehr­heit im Reichs­tag sichern, die dann nach Aus­schal­tung der KPD und der Ver­haf­tung oder Flucht zahl­rei­cher SPD-Abge­ord­ne­ter zur Durch­set­zung des sog. »Ermäch­ti­gungs­ge­set­zes« führ­te und die faschi­sti­sche Dik­ta­tur instal­lier­te. Die Her­aus­ge­ber erin­nern an Höhe­punk­te des Ent­hül­lungs­jour­na­lis­mus der Weltbühne wie den Arti­kel »Win­di­ges aus der deut­schen Luft­fahrt« vom 12.3.1929. Sie rekon­stru­ie­ren auch die weni­gen Tage zwi­schen Reichs­tags­brand und Ver­haf­tungs­wel­le nach der ent­spre­chen­den Not­ver­ord­nung, den März­wah­len und dem Ver­bot der Zeit­schrift. Die Bedeu­tung der Weltbühne lie­ge dar­in, eine Ver­bin­dung zwi­schen der Welt »der Arbei­ter­be­we­gung mit ihren Par­tei­en, Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen und Kul­tur mit dem demo­kra­tisch aus­ge­rich­te­ten Teil der Gesell­schaft, der außer­halb davon stand«, her­ge­stellt zu haben und die­sen »in Gren­zen gegen auto­ri­tä­re For­mie­run­gen [zu] immu­ni­sie­ren«. Zwar erreich­te sie nur eine Auf­la­ge von ca. 15.000 Exem­pla­ren, die den­noch über die enge­re Leser­schaft hin­aus eine wich­ti­ge Stim­me war, »die den Geist der Auf­klä­rung und der kri­ti­schen Ver­nunft ver­sprüh­te und sich gegen alle Frie­dens­be­dro­hun­gen und anti­re­pu­bli­ka­ni­schen Ten­den­zen stemm­te«, wie Braeg und Gester her­vor­he­ben (S. 16).

Als ersten Text aus der Nr. 1 vom 3.1.1933 lesen wir »Win­ter­mär­chen« von Carl von Ossietzky. Er nahm die Kama­ril­la um Reichs­prä­si­dent von Hin­den­burg und beson­ders den sog. »Her­ren­klub« um Ex-Reichs­kanz­ler von Papen aufs Korn. Er unter­lag dabei, wie auch ande­re, der Illu­si­on, dass die Nazis ihren Höhe­punkt längst über­schrit­ten hät­ten. Hell­mut von Ger­lach ana­ly­sier­te die Gen­fer Abrü­stungs­kon­fe­renz (1932-1934) und cha­rak­te­ri­sier­te die Hal­tung der deut­schen Regie­rung und ihres Wehr­mi­ni­sters Gene­ral a. D. Groe­ner, der ent­ge­gen den Bestim­mun­gen des Ver­sailler Ver­tra­ges die Wie­der­ein­füh­rung der all­ge­mei­nen Wehr­pflicht for­der­te und indi­rekt den Wie­der­auf­bau einer Luft­waf­fe als zukünf­ti­ges Ziel for­mu­lier­te, also die voll­stän­di­ge mili­tä­ri­sche »Reha­bi­li­tie­rung« Deutsch­lands vor Augen hat­te. Eine Posi­ti­on, die ganz sicher auch den Nazis ent­ge­gen­kam (S. 43-45). Ber­tolt Brecht darf in der Nr. 3 vom 17.1.1933 nicht feh­len. Sein »Oh Fal­l­a­dah, die Du han­gest!« ver­band die­ses berühm­te Zitat aus dem Mär­chen »Die Gän­se­magd« nach den Gebrü­dern Grimm mit den Fol­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se für das ver­elen­den­de Ber­li­ner Pro­le­ta­ri­at (S. 106-107).

Die Nr. 5 vom 31.1. erschien zu früh, um schon die Macht­über­tra­gung an Hit­ler vom Vor­tag zu kom­men­tie­ren. Den vor­herr­schen­den Anti­se­mi­tis­mus, auf des­sen Grund­la­ge die NS-Dik­ta­tur ihre nach­fol­gen­de Ver­fol­gungs- und Ver­trei­bungs­po­li­tik bis 1939 durch­set­zen konn­te, beschrieb Hil­de Wal­ter am Bei­spiel des Umgangs mit jüdi­schen Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­lern und Büh­nen­be­schäf­tig­ten in dem Bei­trag »Juden­frei­es Thea­ter«. Deren Aus­gren­zung am Bei­spiel des Lan­des­thea­ters in Gotha in Thü­rin­gen sah sie als bei­spiel­ge­bend für die Zukunft an (S. 183-184). Die Nr. 6 vom 7.2.1933 hin­ge­gen stand ganz im Zei­chen der Tat­sa­che der neu instal­lier­ten »Regie­rung der natio­na­len Kon­zen­tra­ti­on« Hit­lers, in der die NSDAP nur eine Min­der­heit bil­de­te. Ihre Trag­fä­hig­keit beur­teil­te Carl von Ossietzky deut­lich skep­tisch und soll­te hier irren. Hanns-Erich Kamin­ski hoff­te auf eine Ein­heits­front gegen die Rechts­re­gie­rung und ermahn­te die orga­ni­sier­te Arbei­ter­klas­se, ihre Orga­ni­sa­tio­nen gegen das NS-Regime zu ver­tei­di­gen (S. 199-202). Wie scharf die Dik­ta­tur gegen ihre Geg­ner vor­zu­ge­hen gedach­te, stell­te Hell­mut von Ger­lach am 14.2. in der 7. Num­mer am eige­nen Bei­spiel dar, hat­te doch der Stahl­helm in einer Reso­lu­ti­on die Hit­ler­re­gie­rung auf­ge­for­dert, auf Lan­des­ver­rat die Todes­stra­fe ein­zu­füh­ren, von Ger­lach wur­de nament­lich genannt (S. 228-232). In der Nr. 8 vom 21.2. set­zen sich von Ossietzky und Wal­ter Meh­ring mit Richard Wag­ner aus­ein­an­der. Die vor­letz­te Aus­ga­be, Nr. 9, erschien am Tag nach dem Reichs­tags­brand. Hier war es von Ger­lach, der sich mit Hit­lers außen­po­li­ti­schen Phra­sen in »Mein Kampf« aus­ein­an­der­setz­te. Indes war Carl von Ossietzky inhaf­tiert wor­den. Am 7.3., dem Tag des letzt­ma­li­gen Erschei­nens der Weltbühne, mel­de­te die Redak­ti­on unter der Rubrik »Ant­wor­ten« die Ver­haf­tung von Ossietz­kys und ande­rer Mit­ar­bei­ter, die durch den Anwalt und Links-sozia­li­sten Kurt Rosen­feld (seit 1931 SAP) ver­tre­ten wer­den wür­den. Gleich­zei­tig ver­si­cher­te die Redak­ti­on, dass sie ihre mah­nen­de Stim­me wei­ter erhe­ben wür­de, »denn der Geist setzt sich doch durch« (S. 345). Die­se Hoff­nung trog für zwölf Jah­re Dik­ta­tur und Krieg. Das Schluss­wort in die­sem reprä­sen­ta­ti­ven Aus­wahl­band aus einer dra­ma­ti­schen Peri­ode erhielt Wal­ter Meh­ring, der an sei­ne letz­te Begeg­nung mit Carl von Ossietzky erinnerte.

 Die­ter Braeg, Jochen Gester (Hg.): 2 Mona­te. Von Wei­mar zu Hit­ler. Autoren und Autorin­nen der Weltbühne im Ange­sicht des Faschis­mus. Die Buch­ma­che­rei, Ber­lin 2022, 386 S., 17 €.