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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Pisa-Misere

Obwohl Gene­ra­tio­nen von Eltern, Leh­rern, Bil­dungs­for­schern, Bil­dungs- und Kul­tur­po­li­ti­kern über die Schwä­chen von Kin­der­gär­ten, Vor­schu­len, Schu­len und über die Män­gel der Lehr­aus­bil­dung an Fach- und Hoch­schu­len end­lo­se Debat­ten führ­ten, repro­du­zie­ren alle die­se Aus­bil­dungs­stät­ten seit eh und je, die vor­han­de­nen, unge­rech­ten Sozi­al- und Klas­sen­struk­tu­ren. Die sozia­le und eth­ni­sche Her­kunft der Eltern bestimmt über die Bil­dungs- und damit Lebens­chan­cen ihrer Kin­der. Min­de­stens 25 Pro­zent, also jeder 4. Schul­ab­gän­ger ver­bleibt des­halb, sozi­al gese­hen, immer im unte­ren Drit­tel der Gesell­schaft. Eine grund­le­gen­de, bil­dungs­po­li­ti­sche Wen­de ist nicht in Sicht. Das liegt nicht nur an der chro­ni­schen Unter­fi­nan­zie­rung der Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und dem Leh­rer­man­gel, son­dern in erster Linie am Öko­no­mis­mus der kapi­ta­li­sti­schen Lei­stungs­ge­sell­schaft, des­sen tech­no­lo­gi­sches Inve­sti­ti­ons­den­ken vom Kopf auf die Füße gestellt wer­den müsste.

Das konn­te auch der letz­te SPD-Par­tei­tag nicht erfas­sen, der zwar zurecht mehr Geld vom wohl­ha­ben­den Teil der Gesell­schaft für das Bil­dungs­un­we­sen for­der­te, aber die finan­zi­el­le Lösung der Bil­dungs­mi­se­re nicht wirk­lich benann­te, weil hier das bür­ger­li­che Lager das Sagen hat. Denn nicht in erster Linie das Rin­gen um mehr Inve­sti­tio­nen, etwa in den Aus­stieg aus fos­si­ler Ener­gie oder in die Rüstungs- und Kriegs­ma­schi­ne­rie, son­dern das Rin­gen um mehr men­ta­le und finan­zi­el­le Inve­sti­tio­nen in das Bil­dungs­sy­stem  bestim­men letzt­lich über die huma­ne Zukunft nicht nur die­ses Lan­des. Es ist zual­ler­erst die För­de­rung einer huma­nen, demo­kra­ti­schen und fach­li­chen Kom­pe­tenz der Mehr­heit der Men­schen, die eine zukunfts­wei­sen­de, mate­ri­el­le Kul­tur her­vor­bringt oder auch nicht. Die uni­ver­sel­le Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung der Men­schen muss zum Dreh- und Angel­punkt einer huma­nen, gesell­schafts­po­li­ti­schen Zukunfts­ge­stal­tung wer­den. oder es wird die­se Zukunft nicht geben.

Zu einer Demo­kra­ti­sie­rung des Bil­dungs­we­sens gehö­ren m. E. fol­gen­de bil­dungs­po­li­ti­schen Weichenstellungen:

  1. Es ist, neben dem Recht auf einen Kita­platz, eine ver­bind­li­che Vor­schul­pflicht ab dem 4.-5. Lebens­jahr ein­zu­füh­ren. Schu­les­sen und Ganz­tags­schu­len sind gesetz­lich zu verankern.
  2. Wenn klar ist, dass es in Par­tei­en, Orga­ni­sa­tio­nen und Betriebs­vor­stän­den Frau­en­quo­ten gibt, so soll­ten auch in höhe­ren Bil­dungs­ein­rich­tun­gen Quo­ten für jugend­li­che Frau­en und Män­ner ein­ge­führt wer­den, die aus sozi­al- und eth­nisch benach­tei­lig­ten Fami­li­en kom­men. Gym­na­si­en und Pri­vat­schu­le dür­fen nicht mehr Geld bekom­men als Schu­len in sozia­len Brennpunkten.
  3. Anstatt Schul- und Aus­bil­dungs­lehr­stof­fe von vor­ne­her­ein mit tech­nisch-natur­wis­sen­schaft­li­chem Wis­sens­bal­last zu über­la­den, soll­te der Schwer­punkt einer ver­bind­li­chen Vor­schu­le und der ersten Grund­schul­jah­re pri­mär bei der Ver­mitt­lung von Lese- und Schreib­kom­pe­ten­zen lie­gen. Dazu gehört auch die frü­he Ver­mitt­lung huma­ner und sozia­ler Kom­pe­ten­zen, etwa durch ver­stärk­te musi­sche Erzie­hung und einen Sozi­al­kun­de- und Geschichts­un­ter­richt zur deut­schen, euro­päi­schen und glo­ba­len Geschich­te, der zugleich eine Ver­mitt­lung uni­ver­sel­ler Men­schen­rech­te sowie das Üben demo­kra­ti­scher Mit­be­stim­mung, etwa durch Schü­ler­ver­tre­tun­gen, einschließt.
  4. Wenn die­se huma­nen Basis­kom­pe­ten­zen schon in Vor­schu­len und unte­ren Klas­sen ver­mit­telt wer­den, kann, dar­auf auf­bau­end, in höhe­ren Klas­sen, ver­stärkt tech­nisch-natur­wis­sen­schaft­li­cher Lehr­stoff ange­bo­ten wer­den, der mög­lichst pra­xis­nah sein soll­te. Hier­für wären auch poly­tech­ni­sche Unter­richts­stun­den für Kin­der und Jugend­li­che in Betrie­ben för­der­lich, um früh für bestimm­te Lehr­be­ru­fe zu interessieren.

Der sozia­le Zusam­men­halt der Gesell­schaft. d. h. das Rin­gen um mehr sozia­le Gerech­tig­keit sowie die zeit­na­he öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on hän­gen in erster Linie von den demo­kra­ti­schen Kom­pe­ten­zen der jet­zi­gen und nach­fol­gen­der Gene­ra­tio­nen ab, deren Men­schen- und Welt­bild, gera­de auch durch das Bil­dungs­we­sen, nicht vom Lei­stungs- und Kon­su­me­go­is­mus geprägt wer­den darf, son­dern durch das huma­ne Bestre­ben, das Gemein­wohl zu verbessern.