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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Repräsentierte Raison

Nach innen und nach außen, in hei­ßen wie »kal­ten« Krie­gen gehö­ren Kaser­nie­rung, (Zwangs-)Umsiedlung, Ver­trei­bung, Pogrom, Geno­zid zu den Mit­teln, ein Gebiet stö­rungs­frei­er zu machen und einen Herr­schafts­be­reich aus­zu­deh­nen. Für untaug­lich und das Wohl des eige­nen Volks schä­di­gend befun­de­ne Ansäs­si­ge müs­sen »homo­ge­ni­siert«, im buch­stäb­li­chen wie über­tra­ge­nen Sinn aus dem Weg geräumt wer­den. Umsetz­bar­keit und Berech­ti­gung die­ses Anspruchs hän­gen von Aus­maß und Erfolg der Macht ab, die aus den Gewehr­läu­fen kommt.

Wor­auf angeb­lich schon Hen­ry Kis­sin­ger hin­wies: Inter­es­sen­la­gen ent­schei­den für Staa­ten und alle, die wel­che wer­den wol­len, über Freund und Feind. Dar­in sind sich alle Staa­ten der Erde als ziem­lich beste Fein­de bei der Aus­tra­gung der für ihr jewei­li­ges Wohl­erge­hen nöti­gen Gegen­sät­ze einig. Die oben­ge­nann­ten Gewalts­or­ten bewer­ten sie geo­stra­te­gisch und stel­len ihr ent­spre­chen­des Han­deln als ein Müs­sen wegen hoher Gebo­te von Zei­ten­wen­den und ande­ren All­sub­jek­ten dar. Die Moral ist dabei immer dop­pelt – je nach­dem. So ist z. B. der Ein­satz eines »har­ten Besens« durch Aser­bei­dschan und die Tür­kei gegen Berg­ka­ra­bach und Kur­den weni­ger ver­werf­lich als die »abgrund­tie­fe Bar­ba­rei«, um die es sich han­delt, wenn der Feind zu ihm greift.

In Nah­ost, wo Isra­el den Gaza­strei­fen als Frei­luft­ge­fäng­nis abge­steckt und dort Palä­sti­nen­ser auf eng­stem Raum zusam­men­ge­pfercht hat, tra­gen Len­ker und Kämp­fer zwei­er Herr­schafts­be­rei­che ihre Feind­schaft töd­lich aus. Die von den Insas­sen per Wah­len akkla­mier­te Hamas hat sich dar­an gemacht, das Gebiet als Koran­knast aus­zu­ge­stal­ten, und es laut poli­to­lo­gi­scher Exper­ti­se (Gerald Stein­berg in kon­kret 11/​23, S.3) geschafft, sich auch mit als huma­ni­tä­re Hil­fe dekla­rier­tem deut­schen Geld für ihren Kampf Waf­fen zu besor­gen. Obwohl die Hamas damit über Wesent­li­ches ver­fügt, ohne das nicht Staat zu machen ist: exklu­si­ve Gewalt­mit­tel für Mar­kie­rung und Garan­tie von Macht­be­rei­chen, bleibt ihr all­sei­ti­ge inter­na­tio­na­le Aner­ken­nung als Staat ver­sagt. Ver­wirk­licht hin­ge­gen ist das Recht des feind­li­chen Nach­bars auf sei­ne Exi­stenz, dank der unver­zicht­ba­ren Hil­fe von Welt­kriegs­sie­gern und wegen des Bedarfs an einer in west­li­chem Inter­es­se fun­gie­ren­den Ord­nungs­macht mit unschlag­ba­rer Waf­fen­über­le­gen­heit, die weit über Gaza hin­aus die Regi­on befrie­det; auch der ira­ni­sche Erz­feind muss sich hüten, das Unter­stüt­zen der His­bol­lah und Ent­sen­den von Kämp­fern zu weit zu trei­ben, denn eine nuklea­re Pro­phy­la­xe gegen ihn behält sich Isra­el vor. Ob es für Palä­sti­nen­ser ein Gebiet mit Staats­rang geben wird, hängt somit in erster Linie von Isra­el ab, das sich als grund­sätz­lich bedroh­ter und für Juden welt­weit zustän­di­ger Staat sei­nen Kurs auch nicht von sei­ner Schutz­macht, den USA, und von der UNO schon gleich gar nicht vor­schrei­ben lässt.

Dem Expan­sio­nis­mus Isra­els, das es sich lei­sten kann, bei Frie­dens­re­ge­lun­gen, vor allem sol­chen, die ter­ri­to­ria­le Abtre­tun­gen bedeu­ten wür­den, auf unab­seh­ba­re Zeit zu spie­len, wäh­rend­des­sen sich neue Land­zer­stücke­lungs- und Besied­lungs­fak­ten qua­si von selbst und unum­kehr­bar »ein­stel­len«, setzt die Hamas, die sich nach ihrer Les­art aus Krie­gern, für die BBC aus Mili­tan­ten und für deut­sche Nach­rich­ten aus Ter­ro­ri­sten rekru­tiert, den eige­nen Expan­sio­nis­mus (»Agen­da 1948«) ent­ge­gen. Wegen ihrer mili­tä­ri­schen Unter­le­gen­heit greift sie zum asym­me­tri­schen »Krieg des klei­nen Man­nes«, zu Ter­ror. Das heißt nicht, dass die von der »human­sten Armee der Welt«, die vor Bom­bar­die­run­gen auf Dächer »klopft«, geüb­te Ver­gel­tung gelin­der aus­fie­le, gerech­ter aber auf jeden Fall schon. Der Amok der Hamas mag »ver­rückt« anmu­ten ange­sichts der ihr nur zu bekann­ten Ver­nich­tungs­po­tenz des über­rum­pel­ten geg­ne­ri­schen Mili­tärs, hat aber eine (Abschlachtungs-)Logik. Die­se unter­schei­det sich nicht dia­me­tral von der des regel­ba­sier­ten Feindes.

Man­gels Mög­lich­kei­ten zum direk­ten Angriff auf poli­tisch Zustän­di­ge rich­ten sich Atten­ta­te und Schi­ka­nen ohne Anse­hen der Per­son und auch nach Zufall gegen jed­we­de Sub­jek­te des Fein­des. Da die­ser ihnen eine nationale/​ethnische Zuge­hö­rig­keit auf­er­legt hat, zäh­len sie als Ein­zel­tei­le sei­nes Bestands, sind sei­ne leben­den Per­so­nal­aus­wei­se, geben Schutz­schil­de und Ziel­schei­ben ab. Für letz­te­re gilt: »Nur ein toter… ist ein guter…«. Zusätz­lich laden alle auf »kil­ling fields« Anzu­tref­fen­den eine Kon­takt­schuld auf sich. Dass die Über­fal­le­nen von die­ser nicht wis­sen (kön­nen), schützt sie nicht vor einer »Süh­ne« mit dem Tod. Eine »unschul­di­ge Zivil­be­völ­ke­rung« gibt es für die­se Logik des Abschlach­tens nicht. Hät­te sich die Hamas denn nicht statt­des­sen an einem »sau­be­ren Krieg mit offe­nem Visier« ver­su­chen kön­nen? Die­ser ist eine Chi­mä­re; auch die Logik regu­lä­ren moder­nen Kriegs bezieht Bevöl­ke­run­gen mit allen Mit­teln und Kon­se­quen­zen in sei­ne Füh­rung ein. Des­sen unge­ach­tet gilt das Mas­sa­ker der Hamas als wahn­sin­nig, als Tat ohne (trif­ti­gen) Anlass; die Zustän­de in Gaza könn­ten und dürf­ten kei­ner sein, son­dern ein schwe­res von Isra­el auf­er­leg­tes, aber in Got­tes Namen hin­zu­neh­men­des Schick­sal. Somit kön­ne nichts Objek­ti­ves, son­dern allein ideo­lo­gi­sche Ver­blen­dung, der Anti­se­mi­tis­mus der Hamas und des poli­ti­schen Islams, ein Beweg­grund sein.

Es man­gelt nicht an Ver­mu­tun­gen dazu, wel­ches Kal­kül die Hamas mit ihrem Mas­sa­ker ver­folgt haben könn­te: sie woll­te und konn­te die Ver­le­gung von Tei­len des israe­li­schen Mili­tärs an eine ande­re Front nut­zen. Sie woll­te mit der Betä­ti­gung und dem »Erfolg« ihrer Wider­stands­kraft ein Fanal für die Regi­on set­zen, um damit Isra­els Nach­barn von einem Annä­he­rungs­kurs an den Feind abzu­brin­gen und von ihnen Soli­da­ri­tät gegen die israe­li­sche Ant­wort zu erzwin­gen. Das sind stra­te­gisch-tak­ti­sche Über­le­gun­gen, wie sie in jedem Lehr­buch zur »Fort­set­zung der Poli­tik mit ande­ren (?) Mit­teln« zu fin­den sind: Mit Opfern Resul­ta­te erzie­len. Für die Abso­lut­heit ihrer »erfolg­rei­chen«, da umge­setz­ten mas­sa­krie­ren­den Stra­te­gie setzt die Hamas, zur Ent­rich­tung des unum­gäng­li­chen Prei­ses bereit, die Bewoh­ner ihres Macht­ge­biets als Mär­ty­rer mit und wider Wil­len geg­ne­ri­scher Ver­gel­tung aus. Dass sie das tut, ist kein Allein­stel­lungs­merk­mal von Ter­ro­ris­mus. Auch als Staa­ten ver­voll­komm­ne­ten Mäch­ten ist der Ein­satz von Leib und Leben ihrer Mit­glie­der für den Erfolg gerech­ter Sachen eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Staat und Bür­ger, Nati­on und Volk reprä­sen­tie­ren sich wech­sel­sei­tig: zum einen die staat­lich-natio­na­le Sei­te mit ihrer Macht­voll­kom­men­heit Bür­ger und Volk, die sie zu Gefolg­schaft ver­pflich­tet. Umge­kehrt in eins gesetzt ver­kör­pern letz­te­re als mensch­li­che Ver­fü­gungs­mas­se mit allen prak­ti­schen Kon­se­quen­zen. inklu­si­ve Tod, den Wil­len und das Han­deln von Staat und Nation.

»Kein Mit­ge­fühl mit den Tätern«, ermahnt die FAZ vom 10.11.2023. In der Tat könn­te man »lum­pen­pa­zi­fi­stisch« fra­gen: Wes­halb nur soll­te man Schläch­te­rei­en über­haupt Ver­ständ­nis ent­ge­gen­brin­gen? Das – Vor­sicht, »Äqui­di­stanz«! – bei­der­sei­ti­ge Umbrin­gen im Namen von Höhe­rem, zuerst von der Hamas, dann von Isra­el ver­an­stal­tet, bringt der einen Sei­te den lei­chen­träch­ti­gen »Erfolg«, der schon im Voll­zug des Mas­sa­kers selbst liegt, und der ande­ren die Lizenz zu Aus­lö­schungs­schlä­gen. Wenn z. B. Yanis Varou­fa­kis dar­auf besteht, dass Gräu­el, egal von wem began­gen, als Ver­stö­ße gegen ein Über­maß­ver­bot (?) immer »Kriegs­ver­bre­chen« sei­en, so offen­bart er sich nach zu tei­len­der Mei­nung als unso­li­da­ri­scher Gleich­ma­cher, denn: »Die Hamas greift an, Isra­el ver­tei­digt sich« (Bild schon 2019). Isra­el gebührt Ver­ständ­nis; ein Ver­ständ­nis, das sich gera­de in einem von eige­ner Täter­schaft geläu­ter­ten Deutsch­land so umfas­send wie mög­lich zu mani­fe­stie­ren hat.

Die­se Selbst­ver­pflich­tung bekräf­tigt Robert Habeck mit sei­ner »Ham­mer-Rede« (Bild). Die Bot­schaft an sein Volk ver­säumt nicht, staats­män­nisch Mit­leid mit echt, nicht vor­geb­lich unschul­di­gen Opfern auch in Gaza aus­zu­drücken, aber der Schwer­punkt sei­nes Vor­trags liegt auf der »Staats­rai­son« Deutsch­lands. Wor­um han­delt es sich bei die­ser Beru­fungs­in­stanz, die von rechts bis links hoch im Kurs steht? Zunächst ein­mal ist sie »etwas ganz Gro­ßes«. Sie ist gehei­ligt dadurch, dass es zu ihr angeb­lich aus einem Vor­lauf frü­he­rer Fak­ten namens Natio­nal­ge­schich­te und Tra­di­ti­on her­aus ein­fach kom­men muss­te – ein Sche­ma, des­sen Bestand­tei­le wie­der­holt histo­risch neu zu »den­ken« = bewer­ten sind, damit das Vor­her wei­ter­hin zum immer kom­ple­xer wer­den­den Jetzt passt. Über­dies ist die Staats­rä­son nicht nur ein Gewor­de­nes, son­dern vor allem eine ehr­furcht­ge­bie­ten­de Unum­stöß­lich­keit, dadurch geweiht, dass es sie gibt, sie »also« unbe­streit­bar Fakt ist: Der Wil­le des Staa­tes, so spricht der Herr, gilt abso­lut und gesche­he. Rich­ti­ges Mei­nen ist daher zu form(ier)en, »fal­sche« Äuße­run­gen mit aller Ent­schie­den­heit zu unterbinden/​ahnden. Nach Auf­ar­bei­tung einer unse­li­gen Pha­se liegt unver­brüch­li­che Soli­da­ri­tät mit jed­we­den Aktio­nen Isra­els in der »DNS« eines neu­en »Men­schen«-, genau­er: Staats­bür­ger­schlags. Ange­sichts die­ser Ladung Wahr­heit und Klar­heit ver­bleibt Kom­men­ta­to­ren zu ihrem Lob nur noch der übli­che Nach­satz, das Gesag­te dür­fe aber kein blo­ßes Lip­pen­be­kennt­nis bleiben.

Nun ist es an Isra­el, die Agen­da exe­ku­tie­ren zu müs­sen, die es sich gesetzt hat. Die »Geset­ze des Kamp­fes«, an die US-Sicher­heits­be­ra­ter John Kir­by alle erin­nert, die das viel­leicht schon wie­der ver­ges­sen haben, sor­gen dabei dafür, dass auch die Sei­te im Recht mit Wider­stre­ben nicht um ein Min­dest­maß an Erbar­mungs­lo­sig­keit her­um­kommt: Ihr Krieg kann nicht anders als »blu­tig«, »häss­lich« und »unschön« aus­fal­len. Lei­der. Das ist, vor und nach Hiro­shi­ma, Dres­den, Bel­grad, nun ein­mal, wie schon »body mass«-Expertin Alb­right wuss­te, der Preis des Lohns gerech­ter Kämpfe.

Wie steht nun Deutsch­land in dem gan­zen glo­ba­len Tohu­wa­bo­hu da, zu des­sen Ord­nung es beru­fen ist? Nach Ansicht von Boris Pisto­ri­us, einem wei­te­ren Staats­rai­son­neur, einer­seits nicht schlecht; die Moral sei­ner unter­aus­ge­stat­te­ten star­ken Trup­pe ist aus­ge­zeich­net, wovon die Bun­des­wehr-Web­sei­ten ein von Natio­na­lis­mus besof­fe­nes, Par­don: patrio­ti­sches Bild lie­fern. Aber: Die Men­ta­li­tät der Zivi­len ist noch unter aller Kano­ne. Damit sich die, die machen, was wirk­lich zählt, nicht wie­der wie in unse­li­gen Zei­ten einen Dolch­stoß von Ohne­mi­cheln ein­fan­gen, darf das Volk nicht von der Fah­ne gehen. Dafür zu wer­ben, ist die Mis­si­on von Boris Pisto­ri­us; das noch zu trä­ge gemei­ne Volk will er auf­rüt­teln, ihm rei­nen Wein ein­gie­ßen. Damit unse­re Jungs und Mädels gut kämp­fen kön­nen, muss auch die Zivil­ge­sell­schaft zur Zah­lung des höch­sten Prei­ses, des Blut­zolls, bereit sein. »Deutsch­land, sei­ne Poli­tik, sei­ne Gesell­schaft und sei­ne Bun­des­wehr müs­sen kriegs­tüch­tig wer­den? Ja, das müs­sen sie. Pisto­ri­us hat sich getraut, eine unbe­que­me Wahr­heit aus­zu­spre­chen: Es braucht eine neue Wehr­haf­tig­keit im Den­ken und im Han­deln. Es wur­de Zeit, dass das aus­ge­spro­chen wird.« Das ver­klart sekun­die­rend ZDF-Kor­re­spon­den­tin Ines Trams, eine der media­len Stim­men, die zei­gen, dass Bel­li­zis­mus kei­ne Män­ner­do­mä­ne zu sein braucht. Der Weg zur Front eines direk­ten Kriegs mit dem noto­risch angriffs­gie­ri­gen Russ­land ist kurz gemacht wor­den und muss für Nato-Logi­stik­kom­man­deur Alex­an­der Soll­frank und mit­hin »uns« als ein noch zu schaf­fen­der »mili­tä­ri­scher Schengen«-Raum nach vorn »ver­tei­dig­bar« sein. Die­ser Auf­trag braucht selbst­ver­ständ­lich ein Volk von wehr­haft Gemach­ten, schwei­gend Zustim­men­den und vor allem frei­wil­lig Kriegs­be­rei­ten. Die Stim­mungs­ma­che dafür kommt schon jetzt ins Haus. Den Rest – »Ruhm und Ehre« nicht nur in der Ukrai­ne – besorgt die Staats­rai­son, die nicht fragt, ob »wir« sie reprä­sen­tie­ren wol­len. Wir sol­len es einfach.