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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fiat iustitia et pereat mundus

Bereits eini­ge Zeit, bevor die der­zei­ti­ge Bun­des­re­gie­rung in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag vom 7. Dezem­ber 2021 die kon­trol­lier­te Abga­be von Can­na­bis als eines der Umset­zungs­zie­le in der Legis­la­tur­pe­ri­ode ver­ein­bar­te, war die The­ma­tik im Gespräch.

Nun­mehr am 16. August 2023 hat das Kabi­nett den Ent­wurf eines ent­spre­chen­den Geset­zes beschlos­sen. Der Ent­wurf sieht vor, dass der Besitz von maxi­mal 25 g Can­na­bis ab einem Alter von 18 Jah­ren zum Zweck des Eigen­kon­sums grund­sätz­lich straf­frei blei­ben soll und auch der Anbau von bis zu drei Can­na­bis-Pflan­zen kei­ne straf­recht­li­chen Fol­gen mehr nach sich zieht. Das Gesetz­ge­bungs­vor­ha­ben wird nun­mehr durch den Deut­schen Bun­des­tag zu behan­deln sein. Die Hal­tung zu dem Ent­wurf ist unter den Abge­ord­ne­ten wohl unter­schied­lich. Den­noch scheint das Gesetz gute Aus­sich­ten zu haben, beschlos­sen zu werden.

Wie gehen Staats­an­walt­schaf­ten und Gerich­te mit einer sol­chen zu erwar­ten­den Geset­zes­än­de­rung zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt um? Wird nach wie vor der Besitz von weni­ger als 25 g Haschisch straf­recht­lich ver­folgt, zur Ankla­ge gebracht und abge­ur­teilt? Zumin­dest in Thü­rin­gen ist gegen­wär­tig zu beob­ach­ten, dass die Vor­ge­hens­wei­sen dadurch schein­bar nicht beein­flusst werden.

Als ich unlängst einen Mann mitt­le­ren Alters ver­tei­dig­te, der wegen des Besit­zes von etwa 3 g Haschisch kri­mi­na­li­siert wer­den soll­te, weck­te dies eher mei­nen Unmut. For­mell kann man sicher damit argu­men­tie­ren, dass das Betäu­bungs­mit­tel­ge­setz in der jet­zi­gen Fas­sung wei­ter­hin gilt bis der Gesetz­ge­ber eine Ände­rung vor­ge­nom­men hat. Ist das aber lebens­taug­lich und ver­nünf­tig? Ich war da ande­rer Mei­nung und bean­trag­te nach Eröff­nung der Haupt­ver­hand­lung, dass das Ver­fah­ren bis zur Ent­schei­dung über den vor­lie­gen­den Geset­zes­ent­wurf aus­ge­setzt wer­den soll­te. Es erschien mir ein ver­nünf­ti­ger Kom­pro­miss, der das Ver­fah­ren nicht vor einer Geset­zes­ver­än­de­rung zum Abschluss bringt, aber dem Betrof­fe­nen vor­aus­sicht­lich erspart, dass er noch zu den letz­ten Ver­ur­teil­ten wegen des Besit­zes einer gerin­gen Men­ge Haschisch gehört. Und wenn wider Erwar­ten der Gesetz­ent­wurf nicht Geset­zes­kraft erhal­ten soll­te, könn­te das Ver­fah­ren sofort wie­der auf­ge­grif­fen und fort­ge­setzt wer­den. Das Gericht war ande­rer Mei­nung mit Blick dar­auf, dass man nicht genau sagen kön­ne, wann der Bun­des­tag das Gesetz beschließt und es im Übri­gen dann wohl auch nicht rück­wir­kend gel­te. Dem war ent­ge­gen­zu­hal­ten, dass das Rück­wir­kungs­ver­bot sich nur auf eine Ver­schlech­te­rung bezieht, nicht aber auf für den Betrof­fe­nen gün­sti­ge­re Rege­lun­gen. Nach einer Geset­zes­än­de­rung wird man also nicht Hand­lun­gen noch bestra­fen kön­nen, die vor Inkraft­tre­ten der­sel­ben began­gen wor­den sind.

Das wäre im Übri­gen in der Rechts­ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik nichts Neu­es. Als 1968 die Libe­ra­li­sie­rung des poli­ti­schen Straf­rechts umge­setzt wur­de, sind Men­schen, die unter ande­rem nach dem Ver­bot der KPD durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt von 1956 straf­recht­lich ver­folgt wor­den waren, nicht mehr vor den Rich­ter gestellt wor­den. Auch als sich Jah­re spä­ter die Ent­kri­mi­na­li­sie­rung von Homo­se­xua­li­tät abzeich­ne­te, hiel­ten sich die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den mit Blick auf die zu erwar­ten­de Gesetz­ge­bung zurück. Es spricht also beim besten Wil­len alles dafür, es momen­tan eben­so zu hand­ha­ben und nicht den Ein­druck ent­ste­hen zu las­sen, dass bis zur letz­ten Minu­te alter Geset­zes­la­ge noch ver­folgt wird.

Der Rechts­staat zeich­net sich auch dadurch aus, dass er auf gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen reagiert und die Bewer­tun­gen sich ändern kön­nen. In der »Haupt­stadt des Rechts«, Karls­ru­he, sind im Stra­ßen­bild Tafeln ange­bracht, die auf die­se Umstän­de ver­wei­sen. Auf einem ist zu lesen: »Das Recht passt sich dem Leben an. (…) Was heu­te als rech­tens emp­fun­den wird, kön­nen unse­re Kin­der als Unrecht begrei­fen.« Auf einem ande­ren steht: »Unrecht ist alles, was der Gesell­schaft scha­det, was sie behin­dert, was ich selbst ande­ren antue: mate­ri­el­ler Scha­den eben­so wie see­li­sche Grau­sam­keit oder kör­per­li­che Bru­ta­li­tät.« Von alle­dem kann hier wohl kei­ne Rede sein.