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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gewichtige Einsicht

Wozu habe ich Arme? fra­ge ich mich zum ersten Mal. Die kön­nen gar nichts! Nicht den eige­nen Kör­per heben, der an einer Stan­ge hängt (Klimm­zug). Nicht den Kör­per von Stan­ge zu Stan­ge wei­ter­rei­chen (Han­geln). Nicht mal vom Boden krie­gen die den Kör­per hoch­ge­drückt (Lie­ge­stütz).

Die Wahr­heits­droh­ne mit ihrem selbst­zu­frie­de­nen Grin­sen geht mir auf den Sack. Pro­pel­ler wären für mich auch kei­ne Lösung.

Als Schrift­stel­ler könn­te ich mich auf mei­ne rech­te Hand raus­re­den, die den Stift führt. Aber es gibt Sprach­ein­ga­be. Und der lin­ke Arm an mir bleibt kom­plett sinn­los. Schon ärge­re ich mich über die Situa­ti­on, die mir das alles klar­macht, da ahne ich einen Zusam­men­hang. »Trai­ning mit dem Eigen­ge­wicht«, erklärt man mir, sei, was man in die­sem Fit­ness­park betrei­be. Mein Eigen­ge­wicht könn­te mein eigent­li­ches Pro­blem sein, kom­bi­nie­re ich. Die Arme sind unschul­dig bezie­hungs­wei­se von der Auf­ga­ben­stel­lung über­for­dert. Weni­ger sie habe ich gera­de ken­nen­ge­lernt als das unbe­kann­te Hän­ge­ob­jekt (UHO) zwi­schen ihnen und mei­nen Bei­nen. Die übri­gens mein Eigen­ge­wicht spie­lend tra­gen und das täg­lich. Mit ihnen kann ich zufrie­den sein und weiß auch, war­um: Mein ein­zi­ger Sport ist Fahr­rad­fah­ren, weil das zugleich mei­ne Grund­mo­bi­li­tät ist. Auto habe ich keins, Züge fal­len in der Regel aus, da bleibt nur das Fahr­rad, wenn man sein Ghet­to mal ver­las­sen will. Und es ist umwelt­freund­lich. Mei­ne Bei­ne ret­ten die Welt. Und was tun mei­ne Arme?

»Calis­the­nics« nennt sich, was ich gera­de gemacht habe. Über­setzt heißt das unge­fähr »stark und schön«. Eins bin ich schon, eins werd ich noch. Passt. Weil ich an die­sen Gerä­ten vor­bei­kam in einem Moment, als eine Grup­pe Jugend­li­cher sie benutz­te und sich dabei film­te, um mit­tels eines Pro­mo­vi­de­os zu errei­chen, dass auch in ihrem Stadt­teil sowas auf­ge­stellt wird, bin ich Teil einer Bot­schaft gewor­den: Calis­the­nics ist für alle Gene­ra­tio­nen. »Kön­nen Sie da mal einen Klimm­zug machen?«, lud ein freund­li­cher Schrank von einem Sieb­zehn­jäh­ri­gen mich ein. »Oder Sie han­geln«, schlug eine Blon­di­ne vor, nach­dem sie mei­nen Ver­such gese­hen hat­te. »Ich demon­strie­re, wie nötig älte­re Men­schen Calis­the­nics haben«, erläu­ter­te ich den Jugend­li­chen mei­ne Per­for­mance. Meh­re­re Hun­de­be­sit­zer, die vor­bei­ka­men, wur­den mit mir für ein »Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­fo­to« an den Stan­gen geca­stet. Die Hun­de bell­ten. Ihre Into­le­ranz erlaub­te es ihnen nicht, ruhig dabei­zu­ste­hen, wäh­rend Herr­chen und Frau­chen sich beweg­ten. Denn das taten sie, da sie die mitt­le­re Gene­ra­ti­on ver­kör­per­ten, im Gegen­satz zu mir als wer­be­un­wirk­sam chan­cen­lo­sem Alters­extrem. Ab heu­te weiß ich: Mein Kopf ist die ein­zi­ge obe­re Extre­mi­tät an mir, die eine Funk­ti­on ausübt.

Ja natür­lich, ich kann umar­men. Der Ein­wand gilt aber nicht. Dabei will näm­lich nur mein Eigen­ge­wicht ein attrak­ti­ves Fremd­ge­wicht nächst­mög­lich an sich her­an­pres­sen. Es hilft nichts, mit mei­nem Eigen­ge­wicht wer­de ich mich befas­sen müs­sen. Calis­the­nics hat mich gekriegt. Wenn sich an mei­nem Eigen­ge­wicht nichts ändert, mel­de ich mei­ne Arme für eine Organ­spen­de an. Als Orna­men­te. Weil: Schön sind sie ja.