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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bücher in Flammen

Die Sze­ne­rie ist sorg­fäl­tig geplant, nichts war dem Zufall über­las­sen: Fackeln waren ver­teilt wor­den, auf Kom­man­do zieht die auf meh­re­re tau­send Men­schen ange­wach­se­ne Men­ge los, vor­ne­weg Pro­fes­so­ren in Tala­ren, dahin­ter Stu­die­ren­de, SA, SS, Bur­schen­schaf­ten und Hit­ler­ju­gend. Über das Ora­ni­en­bur­ger Tor, die Han­no­ver­sche, die Lui­sen- und die heu­ti­ge Rein­hardt­stra­ße geht es zum Reichs­tag, dann durchs Bran­den­bur­ger Tor zum Opern­platz, nun eskor­tiert von berit­te­ner Poli­zei. Auf dem Platz ist ein Holz­stoß auf­ge­schich­tet wor­den. Feu­er­wehr steht mit Ben­zin­ka­ni­stern bereit. Nun karrt ein Last­wa­gen mehr als 20.000 Bücher herbei.

Dann flie­gen die ersten Fackeln auf den rasch ent­flamm­ten Schei­ter­hau­fen. Um 23.30 Uhr, nach einer Rede des Ber­li­ner Stu­den­ten­füh­rers-Füh­rers Her­bert Gut­jahr, tre­ten Ein­zel­ne aus der Men­ge her­vor vor und wer­fen die Wer­ke beson­ders ver­hass­ter Autoren ins Feu­er, beglei­tet von vor­ge­ge­be­nen »Feu­er­sprü­chen«: »Ich über­ge­be der Flam­me die Schrif­ten von Erich Maria Remar­que! (…) Gegen lite­ra­ri­schen Ver­rat am Sol­da­ten des Welt­kriegs. Für die Erzie­hung des Vol­kes im Geist der Wehr­haf­tig­keit!« Nun wer­den die Bücher sta­pel­wei­se von den Last­wa­gen ins Feu­er geworfen.

Auch Pro­pa­gan­da­mi­ni­ster Goeb­bels ist inzwi­schen erschie­nen. Er zeigt sich »vor dem Schei­ter­hau­fen der von Stu­den­ten ver­brann­ten Schmutz- und Schund­bü­cher« bei sei­ner Rede »in bester Form«, wie er spä­ter in sei­nem Tage­buch notiert. Mit sei­nem Auf­tritt gibt er dem Auto­da­fé einen fast staat­li­chen Anstrich. Eine Blas­ka­pel­le der SA spielt »Volk ans Gewehr«, anschlie­ßend das »Horst-Wes­sel-Lied« und die Men­ge stimmt laut­hals ein. Erich Käst­ner, einer der geäch­te­ten Autoren, schreibt spä­ter: »Ich stand ein­ge­keilt zwi­schen Stu­den­ten in SA-Uni­form, den Blü­ten der Nati­on und sah unse­re Bücher in die zucken­den Flam­men flie­gen.« Wer­ke von Hein­rich Hei­ne, Sig­mund Freud, Tho­mas und Hein­rich Mann, Ber­tolt Brecht, Kurt Tuchol­sky und Carl von Ossietzky.

Am Mor­gen danach sind die Bücher nur noch ein rau­chen­der Asche­hau­fen. Nicht nur in Ber­lin. Man ver­sam­melt sich am Wil­helms­platz in Kiel, am Greifs­wal­der Markt­platz, an der Bis­marck­säu­le in Han­no­ver und in wei­te­ren Uni­ver­si­täts­städ­ten. In Mün­chen zie­hen Stu­die­ren­de sowie meh­re­re tau­send Schau­lu­sti­ge in einem Fackel­zug durch die nächt­li­chen Stra­ßen. Kurz vor Mit­ter­nacht ver­sam­meln sie sich am Königs­platz, dar­un­ter auch der baye­ri­sche Kul­tus­mi­ni­ster Hans Schemm. In mehr als zwan­zig deut­schen Uni­ver­si­täts­städ­ten ver­sam­meln sich Stu­den­ten, Pro­fes­so­ren, Par­tei­ge­nos­sen und Bür­ger zur öffent­li­chen Bücher­ver­bren­nung. In Ham­burg fin­det die Ver­bren­nung wegen star­ken Regens erst am 15. Mai am Kai­ser-Fried­rich-Ufer statt.

Sie sind der Höhe­punkt der vier­wö­chi­gen Akti­on »Wider den undeut­schen Geist«, deren Ziel ist die Ver­nich­tung des deutsch-jüdi­schen Gei­stes­le­bens. Schon Wochen zuvor wer­den an Uni­ver­si­tä­ten het­ze­ri­sche Pla­ka­te auf­ge­hängt, die jüdi­sche Mit­bür­ger als »Wider­sa­cher« des deut­schen Vol­kes bezeich­nen, zur Rein­erhal­tung der deut­schen Spra­che auf­for­dern und deut­sche Hoch­schu­len als »Hort des deut­schen Volks­tums« prei­sen. »Schwar­ze Listen« wer­den erstellt und die zu ver­bren­nen­den Bücher in Biblio­the­ken und Buch­hand­lun­gen aus­ge­son­dert. Autorin­nen und Autoren, eben­so Pro­fes­so­ren von Hoch­schu­len, an deren Gesin­nung gezwei­felt wird, wer­den denun­ziert, bei­spiels­wei­se durch das Auf­stel­len von öffent­li­chen Schand­pfäh­len mit ihren Namen und Wer­ken. Het­ze und Hatz greift um sich. Nir­gend­wo regt sich hör­ba­rer Pro­test. Das Ver­bren­nen und das Ver­ban­nen voll­zie­hen sich rei­bungs­los und mit offe­ner oder stil­ler Zustim­mung. Auch noch Mona­te nach dem 10. Mai 1933 wer­den unter ande­rem durch die Hit­ler­ju­gend und die Schul­be­hör­den wei­te­re Bücher ver­brannt. Ins­ge­samt sind 102 Bücher­ver­bren­nun­gen in über 90 deut­schen Städ­ten doku­men­tiert. Eine schau­der­haf­te Bilanz.

Wie vie­le Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler von der Ver­bren­nung ihrer Wer­ke betrof­fen waren, lässt sich heu­te nicht mehr fest­stel­len. Doch der 10. Mai 1933 war nicht das Fina­le, es war der Beginn der Aus­lö­schung unlieb­sa­mer, »undeut­scher« Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler. Dafür sorg­te eine stän­dig erwei­ter­te »Schwar­ze Liste«, die im Mai 1933 bereits 131 Namen der »Schö­nen Lite­ra­tur« und 141 Autorin­nen und Autoren der »Poli­tik- und Staats­wis­sen­schaf­ten« umfass­te. 1939 ent­hielt die »Liste Num­mer 1 des schäd­li­chen und uner­wünsch­ten Schrift­tums« akri­bisch auf­ge­führt 4.175 Ein­zel­ti­tel und 565 Ver­bo­te von Gesamtwerken.

Da woll­te auch der im »Bör­sen­ver­ein« orga­ni­sier­te deut­sche Buch­han­del nicht mehr im Abseits ste­hen. Schon am 12. April hat­ten des­sen Ver­tre­ter ein »Sofort­pro­gramm des deut­schen Buch­han­dels« beschlos­sen, indem es hieß: »Der deut­sche Buch­han­del begrüßt die natio­na­le Erhe­bung. Er hat sei­ne Bereit­wil­lig­keit zur Mit­ar­beit an ihren Zie­len als­bald zum Aus­druck gebracht.« Wor­an die Buch­händ­ler so bereit­wil­lig mit­ar­bei­ten woll­ten, ver­kün­de­ten sie weni­ge Tage danach in ihrem Ver­bands­or­gan Bör­sen­blatt, das alle uner­wünsch­ten, »undeut­schen« Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler alpha­be­tisch nann­te: Lion Feucht­wan­ger, Alfred Kerr, Hein­rich Mann, Erich Maria Remar­que, Kurt Tuchol­sky, Arnold Zweig – und wei­te­re 131 Namen. Für alle waren die Fol­gen ver­hee­rend. Schreib­ver­bo­te wur­den ver­hängt, Vor­trags­tä­tig­kei­ten und Lesun­gen unter­sagt. Vie­le Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler flüch­te­ten ins Exil, dar­un­ter Anna Seg­hers und Else Las­ker-Schü­ler. Eini­ge wie Ste­fan Zweig und Wal­ter Ben­ja­min nah­men sich dort das Leben. Ande­re wur­den ver­haf­tet, gefol­tert und im KZ ermor­det, so Carl von Ossietzky.

Am 10. Mai 1933, dem Tag, an dem in Deutsch­land Bücher in Flam­men auf­gin­gen, ver­lo­ren vie­le Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler nicht nur ihre beruf­li­che Exi­stenz, ihr Lese-Publi­kum, son­dern auch ihre Hei­mat. Eini­ge von ihnen sogar ihr Leben.

Es war eine spä­te sym­bol­haf­te Wie­der­gut­ma­chung, als 1979 der Bör­sen­ver­ein des Deut­schen Buch­han­dels zusam­men mit der Schrift­stel­ler­ver­ei­ni­gung PEN-Zen­trum Deutsch­land und dem Ver­band deut­scher Schrift­stel­ler beschloss, die­sen 10. Mai zur Erin­ne­rung an die Bücher­ver­bren­nun­gen als Tag des Buches zu bege­hen. Wir soll­ten uns 90 Jah­re danach dar­an erin­nern, was Autorin­nen und Autoren ange­tan wur­de – und zu wel­cher bar­ba­ri­schen Kom­pli­zen­schaft das »Volk der Dich­ter und Den­ker« fähig und bereit war. Alle die Ver­fem­ten und ihre Bücher neu zu ent­decken, könn­te eine beschei­de­ne, hoff­nungs­vol­le Form der Wie­der­gut­ma­chung sein.

Lese-Tipp: Hel­mut Ort­ner: Volk im Wahn, Edi­ti­on Faust Frank­furt, 296 S., 22 €.
Jür­gen Ser­ke: Die ver­brann­ten Dich­ter. Lebens­ge­schich­ten und Doku­men­te (erwei­ter­te Neu­auf­la­ge), Wall­stein Ver­lag, Göt­tin­gen 2023, 364 S., 38 €.