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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ausgedachtes Leben

»Ach«, der Rezen­sent emp­fiehlt, wäh­rend der Lek­tü­re die­ses ver­meint­lich so unschein­ba­re Wört­lein, wel­ches dem Roman den Titel gibt, öfter aus­zu­ru­fen, zu spre­chen, zu mur­meln und so fort. War­um? Ein­mal, weil wir in unse­rem Leben sowie­so nicht ohne die nuan­cen­rei­che Inter­jek­ti­on aus­kom­men, zum ande­ren, weil die­ser Roman das Ach-Sagen erfor­der­lich macht. Denn das Kunst­vol­le, das man dem Roman atte­stie­ren muss, gerät stel­len­wei­se zu künst­lich und schmeckt dann ein wenig fade. Das hat viel­leicht mit dem Plot zu tun, der in Kür­ze so geht: Die Ehe der Sän­ge­rin Nina, tätig im klas­si­schen Fach, und des Schrift­stel­lers Kon­stan­tin Wör­ner scheint, wie so vie­le Ehen, gut zu funk­tio­nie­ren. Der Klap­pen­text setzt dabei fol­gen­de Prä­mis­se: »Sie lie­ben und brau­chen sich, haben den glei­chen Humor, kön­nen mit­ein­an­der reden. Ihre sexu­el­len Bedürf­nis­se aller­dings klam­mern sie dabei aus und betrü­gen ein­an­der.« Dies geht so vor sich, dass Nina mit ihrem Kor­re­pe­ti­tor ins Bett geht und Kon­stan­tin mit einer über­aus kal­ten Frau, Ava mit Namen, die aber nur aus­ge­dacht ist. Dass aus­ge­dach­te Gestal­ten sozu­sa­gen leib­haf­tig in eines Schrift­stel­lers Leben tre­ten, das ist kei­ne ganz neue Erfin­dung. Ori­gi­nell ist, dass Kon­stan­tin, Freun­de und Nina nen­nen ihn »Kon«, mit sol­chen Geschich­ten, »Trost­ge­schich­ten« sol­len es sein, den Ver­such unter­nimmt, Nina zurück­zu­ge­win­nen. Wir wis­sen, dass in Tex­ten der Welt­li­te­ra­tur um das Leben, gegen die Angst oder gegen die Pest erzählt wird – dass ein Mann mit Geschich­ten um eine Frau wirbt, das ist eine fei­ne Idee. Und vie­le der Trost­ge­schich­ten sind recht über­zeu­gend, die­se Ava meint man zu ken­nen: »Ich wei­ge­re mich ent­schie­den zu akzep­tie­ren, mei­ne Bestim­mung in der Welt auf die Zustän­dig­keit eines Wohl­fühl­pro­gramms für ande­re zu redu­zie­ren.« Das denkt Ava beim Anblick ihres Babys, sie will kei­ne war­men Wor­te, nur damit sich das klei­ne Mäd­chen im Wagen »wohl­fühlt in ihren ver­kack­ten Windeln«.

Wenig trost­reich sind sol­che Sen­ten­zen. Und so schei­tert auch Kon­stan­tin mit sei­nen Rück­ge­win­nungs­ab­sich­ten und -geschich­ten. Er flieht in die Berei­che, die man heu­te gern »Par­al­lel­wel­ten« nennt – ob man das Wort nun mag oder nicht: Nele Heyse schil­dert sie treff­lich, doch anders als in Wör­ners Geschich­ten geht es dort auch nicht zu. Es gelin­gen der Autorin genaue Beschrei­bun­gen unse­res kon­fu­sen All­tags, der Neben­säch­lich­kei­ten, mit denen unse­re Leben zuge­schüt­tet wer­den, auch des lee­ren Gere­des, mit dem wir uns gegen­sei­tig abspei­sen. Frei­lich läuft in die­sem Buch fast jede Epi­so­de auf das Ziel »Bei­schlaf« (Sex, Koitus und was der Sprach­ge­brauch dafür noch bereit­hält, denn zim­per­lich ist die Autorin nicht) hin­aus. Wahr­schein­lich ent­steht dadurch manch­mal der Ein­druck von kon­stru­ier­ter Künst­lich­keit. Doch es sei noch ein­mal betont: Die­se Künst­lich­keit ist auch mit gro­ßer Kunst­fer­tig­keit ver­bun­den, denn die »Haupt­ge­schich­te« ist mei­ster­lich mit den »aus­ge­dach­ten Geschich­ten« des Schrift­stel­lers Kon­stan­tin Wör­ner ver­wo­ben. Dies zu lesen und zu ver­fol­gen, berei­tet durch­aus ästhe­ti­schen Genuss. Weni­ger ange­nehm sind die vie­len sprach­li­chen Unge­nau­ig­kei­ten und Feh­ler, sind die vie­len, vie­len »Irgend­wie« und »Ziem­lich«; man­ches Bil­dungs­zi­tat wirkt aufgesetzt.

Fast film­reif kommt der Show­down die­ses Romans daher, mit man­chem »Ach« und oft­mals »Arsch«, aber da wirkt der Roman, obwohl es ein Hoff­nungs­be­gräb­nis ist, fast authen­tisch, das »wun­der­bar sinn­li­che« Erzäh­len, noch im Ver­lags­ka­ta­log ver­hei­ßen, zer­schellt an der Wirk­lich­keit – man gewinnt dort den Ein­druck, als trä­te man plötz­lich her­aus aus der Lite­ra­tur. Aber: Zwei Leben kön­nen wei­ter­ge­hen, auch wenn dar­über ein »Ach« steht. Wie über unser aller Leben.

 Nele Heyse: Ach, Roman, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 352 S., 20 €.