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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Buchmessdiener missbraucht!

Die Frau mei­nes Ver­le­gers ist lustig. Ver­däch­tigt mich, ich wol­le nur ihren Schnaps, wenn ich mich vor den Ver­lags­stand in den Gang stel­le und Bücher feil­bie­te: »Pro ver­kauf­tes Buch ein Stam­perl, aber erst, wenn ich das Geld hab.« Wer denkt denn an sowas, wenn es um Lite­ra­tur geht, und noch nicht mal um schlechte?

Und noch nicht mal mein Buch prei­se ich an, son­dern »Smart­phone Sto­rys«, die der geschätz­te Kol­le­ge Gru­ner her­aus­ge­ge­ben hat. Es geht so ein­fach: »Sie haben doch ein Smart­phone«, lau­tet mein erster Satz, bei dem ein­fach jede/​r ste­hen­bleibt, um den zwei­ten Satz in der Ruhe des Ste­hens zu hören: »Dann müs­sen Sie die­ses Buch eigent­lich haben.« Eine Kun­din lacht mich für das »eigent­lich« aus. Ich füh­le mich wie Heid­eg­ger, den Ador­no für das Wort aus­ge­lacht hat. Der Näch­ste, ein Teen­ager, ver­wickelt mich in ein Lite­ra­tur-Bewer­bungs­ge­spräch. »Wie lan­ge dau­ert es, ein Buch zu schrei­ben? Jah­re?« »Ein Jahr«, beru­hi­ge ich. »Und wie fängt man an?« Ich spre­che über die Unaus­weich­lich­keit der Mit­tei­lung, falls man etwas erlebt oder eigen­köp­fig gedacht hat. Der Jun­ge habe schon sehr viel erlebt, meint er und ver­ab­schie­det sich in der Lau­ne Apol­los, nach­dem ihn fünf Musen geküsst haben. Eine Frau hat das kom­plet­te Rekru­tie­rungs­ver­fah­ren mit ange­hört und weiß trotz­dem noch, was ich am Anfang über das Buch gesagt habe. Sie will es. »Kann ich mit Kar­te zah­len?« fragt sie. »Gerät ist kaputt«, brummt die Che­fin. »Dann muss ich Bar­geld holen«, heißt es, und für die pure Erwar­tung, die Dame könn­te wie­der­kom­men, steht das erste Stam­perl vor mir. Als ob ich es dar­auf abge­se­hen hätte!

Aber der rumä­ni­sche Palin­ka, auch noch von der Quit­te, tut sein Übli­ches, um mich in mei­ner frei­en Ver­lags­mit­ar­beit zu beflü­geln. Jetzt sind gleich zwei inter­es­siert an dem Buch. Okay, ein Paar. Und nein, das Inter­es­se habe nicht ich geweckt. Als ich eben aus­ho­le von den bun­ten Geschich­ten, die der genia­le Her­aus­ge­ber mit sei­nem unfehl­ba­ren Spür­sinn gesam­melt habe, kommt: »Den haben wir grad ken­nen­ge­lernt. Da hin­ten im Café.« Ach, den­ke ich. Guck mal an. Da sitzt der Herr Her­aus­ge­ber also lie­ber, als am Ver­lags­stand mit anzu­packen. Das Ehe­paar will »einen Blick wer­fen« in das Buch. Das geht nicht. Mein Ver­le­ger prä­sen­tiert sämt­li­che Titel nur ein­ge­schweißt. (»Die kau­fen sowie­so nicht und hin­ter­her kann ich das Buch weg­schmei­ßen.«) Ich gehe zum Nach­bar­stand, wo der Ver­le­ger den Mes­se­tag mit sei­nem Lieb­lings­kol­le­gen ver­plau­dert, fra­ge, ob ich das Buch öff­nen darf. Wider­wil­li­ge Zustim­mung – »ein Blick, ein Euro«. Nach fünf Blicken (unbe­zahlt) will das Paar kau­fen, wie­der mit Kar­te. Dies­mal behal­te ich den Mann als Pfand da, wäh­rend die Frau zum Ban­ko­ma­ten läuft. Ich ver­kau­fe ein Buch, bekom­me dafür die par­ae­ro­ti­sche Aner­ken­nung der Che­fin – aber kei­nen Schnaps.

Ich zweif­le an der Welt im All­ge­mei­nen, mei­ner Rol­le dar­in im Beson­de­ren. Da trö­stet mich die Wahr­heits­droh­ne mit Bil­dern von der Leip­zi­ger Buch­mes­se 2025. Ja, das Gerät fliegt auch mal in die Zukunft. Und in der gehen alle Autor:innen gemein­sam auf die Jagd. Die zwei­hun­dert, die mein Ver­le­ger in dem Jahr aus­stellt, sit­zen in sämt­li­chen Mes­se­ca­fés, trin­ken Kaf­fee (oder was sie gern trin­ken) und ler­nen Bücher­men­schen aller Geschlech­ter und Geschmäcker ken­nen. Mög­lichst Bar­zah­ler – an der Kas­se eines SB-Cafés lässt sich das vor­sor­tie­ren. Und ver­wickeln sie in unver­gess­li­che Gesprä­che nebst Kost­pro­ben ihres unwi­der­steh­li­chen Charmes, sodass die wach­ge­küss­ten Lese­wil­li­gen auf­sprin­gen und den ihnen gewie­se­nen Weg zum Ver­lags­stand lau­fen. Da steht dann der Jäger mit der Flin­te im Anschlag … Quatsch, der Ver­le­ger mit einem Lächeln auf den vol­len Lip­pen und drückt jedem Kul­tur­men­schen das von ihm gewünsch­te Buch per­sön­lich in die Hand. Und die Che­fin sitzt ein­fach nur dane­ben und fragt sich, womit sie das Glück ver­dient, das die­ser Mann ihr gebracht hat, ali­as die­sen Mann, der näm­lich für sie und die Schrei­ben­den und Lesen­den all die­ser schö­nen Bücher der über­haupt größ­te Glücks­brin­ger ist.