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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Politik in der Echokammer

Den größ­ten Sieg ver­buch­te der Westen mit dem mili­tä­ri­schen Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne. Para­dox? Jah­re­lang hat­ten US-Admi­ni­stra­ti­on, Nato, CIA und MI6 und natür­lich auch die Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin EU dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, den Kreml zur Tat zu pro­vo­zie­ren: durch Nato-Ost­erwei­te­rung, Dut­zen­de Manö­ver in der Nähe der rus­si­schen Gren­ze, Sta­tio­nie­rung von Mit­tel­strecken­ra­ke­ten, Auf­rü­stung der Ukrai­ne und Nato-Ver­spre­chen, Kün­di­gung von Abrü­stungs­ver­trä­gen, betrü­ge­ri­schen Minsk II-Ver­trag. Man bau­te die Ukrai­ne zum Vor­po­sten des Westens gegen Russ­land auf: Die USA setz­ten nach dem Mai­dan-Putsch die neue Regie­rung ein, wie aus dem bekann­ten Nuland-Tele­fo­nat (»Fuck the EU!«) her­vor­geht, behan­del­ten die Justiz wie in einer Kolo­nie (der dama­li­ge US-Vize­prä­si­dent Biden hat Kiew erpresst, den Gene­ral­staats­an­walt zu feu­ern – »dann wur­de die­ser Huren­sohn ent­las­sen«) und erar­bei­te­ten mit Hil­fe des Pen­ta­gon-Thinktanks Rand Cor­po­ra­ti­on einen Master­plan: »Over­ex­ten­ding and Unba­lan­cing Rus­sia«. Das Ziel: Russ­land schwä­chen, sei­ne wirt­schaft­li­che Koope­ra­ti­on mit der EU kap­pen, den Sieg im Kal­ten Krieg durch die Erbeu­tung der ver­arm­ten, aber an Res­sour­cen rei­chen Staa­ten Russ­land und Ukrai­ne krönen.

Es gab aller­dings ein Pro­blem zu über­win­den: Der Bevöl­ke­rung der west­eu­ro­päi­schen Län­der war groß­teils nicht nach Feind­schaft mit Russ­land zumu­te, zumal die wirt­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen mit dem Land unter Putin excel­lent funk­tio­nier­ten. Außer­dem schreck­ten die USA davor zurück, das eige­ne durch zahl­rei­che ver­bre­che­ri­sche Krie­ge ohne­hin ram­po­nier­te Image voll­ends zu schä­di­gen: Dies­mal durf­ten sie nicht all­zu offen­sicht­lich als Täter daste­hen. Russ­land tat ihnen den Gefal­len (wel­che Alter­na­ti­ven hät­te es gege­ben?) durch den Über­fall auf das Qua­si-Pro­tek­to­rat des Westens. Zwar wag­te die Ukrai­ne kurz dar­auf ein letz­tes Mal, selb­stän­dig zu agie­ren und einen fai­ren Ver­trag mit Russ­land abzu­schlie­ßen – aber der Westen zeig­te Selen­skyj schnell, wer der Herr im Haus war: Der in Istan­bul aus­ge­han­del­te Ver­trag muss­te ein­ge­stampft werden.

Die USA mobi­li­sier­ten eine »hem­mungs­lo­se Kriegs­pro­pa­gan­da-Maschi­ne­rie« (Ulri­ke Gué­rot), und Deutsch­land und die EU folg­ten. Als wäre ein Damm gebro­chen, ent­lud sich eine gewal­ti­ge Wel­le von Kriegs­pro­pa­gan­da von Regie­rung, CDU/​CSU und Leit­me­di­en. Dabei han­del­te es sich nicht um (berech­tig­te) Ver­ur­tei­lung des rus­si­schen Über­falls, schon gar nicht um Suche nach Lösungs­stra­te­gien. In ihrer Radi­ka­li­tät und Emo­tio­na­li­tät feg­te die auf­ge­reg­te und auf­peit­schen­de Stim­mung jede vor­sich­ti­ge Mah­nung zur Dees­ka­la­ti­on oder zum Den­ken in Kate­go­rien gemein­sa­mer Sicher­heit hin­weg. Ein Über­bie­tungs­wett­be­werb an Putin-feind­li­chen Tira­den, eska­lie­ren­den For­de­run­gen nach Lie­fe­rung immer schwe­re­rer Waf­fen brach los: Feind­bil­der schaf­fen, Krieg nach Russ­land tra­gen, EU-Atom­bom­be sta­tio­nie­ren. Wir müs­sen kriegs­tüch­tig wer­den – inzwi­schen auch die Kin­der. Eine Ent­hem­mung, irra­tio­nal und gefährlich.

Die aggres­si­ve Spra­che in ten­den­ziö­sen Nach­rich­ten und Poli­ti­ker­state­ments gleicht Hass­bot­schaf­ten in digi­ta­len Medi­en. Sie soll Stim­mung erzeu­gen, ohne Rück­sicht auf Kon­se­quen­zen und sach­li­che Rich­tig­keit; Russ­land soll als Feind gebrand­markt und rui­niert wer­den. Baer­bock, Kie­se­wet­ter, Habeck, Strack-Zim­mer­mann, Hof­rei­ter, Rött­gen zie­len nicht auf Infor­ma­ti­on und diplo­ma­ti­sche Lösun­gen, sie wol­len die zögern­de Bevöl­ke­rung men­tal auf­put­schen. In Nach­rich­ten, Talk­shows, Inter­views und Zei­tungs­be­rich­ten bekom­men die Mili­ta­ris­mus-Pre­di­ger und -Pre­di­ge­rin­nen reich­lich Gele­gen­heit für ihre Kriegs­pro­pa­gan­da: eine dröh­nen­de Echokammer.

Deutsch­land befin­det sich in einer Pha­se der Kriegs­wirt­schaft. Unge­ach­tet der wirt­schaft­li­chen Ver­nunft und der Inter­es­sen der eige­nen Bevöl­ke­rung pum­pen EU und Bun­des­re­gie­rung Dut­zen­de Mil­li­ar­den in die Rüstung, zu Lasten beson­ders der ärme­ren Men­schen und der Daseins­vor­sor­ge. Inzwi­schen betref­fen die Maß­nah­men aus »Over­ex­ten­ding and Unba­lan­cing« weni­ger Russ­land als die hie­si­ge Wirt­schaft und die eige­ne Bevöl­ke­rung. Egal, sagt die Poli­tik: Deutsch­land ist nach Kri­te­ri­en des wis­sen­schaft­li­chen Dien­stes des Bun­des­ta­ges bereits kriegsbeteiligt.

Bei all den For­de­run­gen nach Feind­bil­dern, mas­si­ver Auf­rü­stung, euro­päi­scher Atom­bom­be und Kriegs­tüch­tig­keit geht es um den mili­tä­ri­schen Sieg über Russ­land. Der grü­ne »Stand­ort­pa­tri­ot« Habeck gibt fer­ner als Marsch­rich­tung an: »Wir müs­sen um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit Euro­pas in der Welt kämp­fen. Das schließt aus­drück­lich auch den mili­tä­ri­schen Kom­plex mit ein.« Aber die bedin­gungs­lo­se trans­at­lan­ti­sche Ver­bun­den­heit mit den USA und der Nato in Poli­tik und Medi­en erwei­sen sich in der Ener­gie- und Han­dels­po­li­tik als schäd­lich. Die Kli­ma­zie­le wer­den geschred­dert und durch Blut­koh­le aus Kolum­bi­en und über­teu­er­tes Frack­ing­gas aus den USA ad absur­dum geführt. Das Bünd­nis bekommt Ris­se; es deu­tet sich ein Inter­es­sen­kon­flikt an. Denn die USA rüsten sich eigent­lich für den fina­len Macht­kampf gegen den erstark­ten Kon­kur­ren­ten Chi­na. Sie kämp­fen mit aller Gewalt gegen den nahen­den wirt­schaft­lich-poli­ti­schen Abstieg an und han­deln dabei nach wie vor nach der Maxi­me der Neo­kons, die der Spit­zen­po­li­ti­ker Paul Wol­fo­witz für das »Pro­ject for a New Ame­ri­can Cen­tu­ry« so zusam­men­ge­fasst hat­te: »Unser ober­stes Ziel ist es zu ver­hin­dern, dass ein neu­er Riva­le ent­steht, weder auf dem Ter­ri­to­ri­um der frü­he­ren Sowjet­uni­on noch sonst wo.« Des­halb soll die EU mit Deutsch­land an der Spit­ze Russ­land rui­nie­ren: Wir lie­fern die Waf­fen, die Ukrai­ne die Toten. Tau­rus-Rake­ten und EU-Atom­waf­fen sol­len zum Game­ch­an­ger werden.

Wider­stand gegen die­sen Irr­sinn bekämpft der Staat. Auf­merk­sa­me Staats­bür­ge­rin­nen und -bür­ger erle­ben es täg­lich: Geset­ze und Ver­ord­nun­gen zur Ein­däm­mung und Ver­hin­de­rung von Pro­test häu­fen sich – »Demo­kra­tie­för­de­rungs­ge­setz«, »ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­te Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes«, Digi­tal Ser­vices Act (DSA) … Einer Sprach­re­ge­lung, wie sie die ARD für Berich­te über den Gaza-Krieg erlas­sen hat­te, bedarf es gar nicht bei der frei­wil­li­gen Selbst­gleich­schal­tung der Medi­en. Gibt Putin einem US-Jour­na­li­sten ein Inter­view mit der Andeu­tung von Ver­hand­lungs­be­reit­schaft, hagelt es in gro­ßer Medi­en-Ein­för­mig­keit: »Pro­pa­gan­da-Show, Mär­chen­stun­de, Par­al­lel­welt, völ­lig absurd«. Wagt der Papst in einem Gespräch, von der Paro­le »Sieg über Putin« abzu­wei­chen, ern­tet er höh­ni­sche Kri­tik. Hohe deut­sche Mili­tärs bera­ten über ver­fas­sungs­wid­ri­ge Mili­tär­schlä­ge und die Mög­lich­keit ihrer Ver­tu­schung – die öffent­li­che Mei­nung wird aber in den Leit­me­di­en mit Neben­säch­lich­kei­ten vom eigent­li­chen Skan­dal abgelenkt.

Die Liste der Ver­bo­te kri­ti­scher Vor­trä­ge und Demon­stra­tio­nen, der insze­nier­ten Skan­da­le wie bei Docu­men­ta und Ber­li­na­le wird täg­lich län­ger. Mit repres­si­ven Maß­nah­men gegen jede kri­ti­sche Äuße­rung zur völ­ker­rechts­wid­ri­gen Besat­zung palä­sti­nen­si­scher Gebie­te und zum Völ­ker­mord in Gaza wird Mei­nungs­frei­heit ver­hin­dert – im Namen der Staats­rä­son wird jede Kri­tik an der rechts­extre­men israe­li­schen Regie­rung als anti­se­mi­tisch ver­dammt. Ein Vor­trag des israe­li­schen Sozio­lo­gen Mos­he Zucker­mann wur­de gecan­celt, mit fal­schen Beschul­di­gun­gen – er sei ohne­hin Anti­se­mit (vgl. »In (nicht nur) eige­ner Sache«, jun­ge Welt, 3.4.24). Ent­set­zen über die Mas­sa­ker an Palä­sti­nen­sern wird unterdrückt.

Deutsch­land und die EU befin­den sich im Umbau zu einer repres­si­ven mili­ta­ri­sier­ten For­mal­de­mo­kra­tie. Die Reak­ti­on der Bevöl­ke­rung schwankt zwi­schen Auf­be­geh­ren und Resi­gna­ti­on und der Amne­sie der Grü­nen, die einst system­kri­tisch das Gegen­teil ihres ver­roh­ten Bel­li­zis­mus ver­tra­ten. Ihre Über­iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Staat und die Kriegs­het­ze im Namen einer höhe­ren Moral sol­len bemän­teln, dass sie die Fun­da­men­tal­kri­tik an den Ver­hält­nis­sen ihren Pri­vi­le­gi­en geop­fert haben.

Die den Frie­den durch Diplo­ma­tie errei­chen wol­len, kom­men um das müh­sa­me Geschäft des dif­fe­ren­zier­ten Argu­men­tie­rens nicht her­um. Kon­text her­stel­len, Hin­ter­grün­de erläu­tern, Fra­gen stel­len: Wie vie­le Krie­ge hat der Westen in den letz­ten drei­ßig Jah­ren geführt – wie vie­le der »Impe­ria­list Putin«? War­um hat die Nato in den Jah­ren vor dem Ukrai­ne­krieg Dut­zen­de Manö­ver an der Gren­ze Russ­lands durch­ge­führt? Hat der Gene­ral­bun­des­an­walt jemals wegen US-Kriegs­ver­bre­chen ermit­telt, die deut­sche Regie­rung Sank­tio­nen gefor­dert? Wofür büßt der Jour­na­list Assan­ge seit Jah­ren im Hoch­si­cher­heits­knast? Wie vie­le UN-Reso­lu­tio­nen hat Isra­el miss­ach­tet? Wol­len israe­li­sche Par­tei­en glei­che Rech­te und einen eige­nen Staat für Palä­sti­nen­ser? So vie­le Fra­gen: Sich der Echo­kam­mer der Bel­li­zi­sten ver­wei­gern, der Amne­sie die Erin­ne­rung entgegensetzen.