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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie unserer Freiheit wegverhandelt wird

Dass »unse­re Zie­le von Frei­heit und Gleich­heit nicht an den Mau­ern des ›Stum­men Zwangs‹ der öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se zer­schel­len«, wie Wolf­gang Abend­roth (1906-1985), der Nazi-Wider­ständ­ler, Staats­recht­ler und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler nach den Erfah­run­gen der Wei­ma­rer Repu­blik und des deut­schen Faschis­mus ana­ly­sier­te, die­se Erkennt­nis zählt heu­te zu einer Art Geheim­wis­sen. Wenn also die Frank­fur­ter Pauls­kir­che benutzt wird, um über die Fra­ge zu par­lie­ren, »Wie ver­han­del­bar unse­re Frei­heit« sei, dringt man zu die­ser Kern­fra­ge nicht vor. Dem fle­xi­blen, anpas­sungs­fä­hi­gen Armin Laschet fiel auf, dass »Mei­nungs­frei­heit« gefähr­det sei, wenn frie­dens­be­weg­te Kri­ti­ker der Auf­rü­stung, Waf­fen­lie­fe­run­gen und Krie­ge, oder gar (!) Pazi­fi­sten als »Russ­land­ver­ste­her« ver­un­glimpft wür­den. Was hef­ti­gen Wider­spruch der Vor­sit­zen­den des deut­schen Ethik­rats, Ale­na Buyx, aus­lö­ste: Sie kön­ne »kaum an sich hal­ten!« Fern­seh­be­kannt und qua Amt prä­de­sti­niert, auf alle Fra­gen die »rich­ti­gen« Ant­wor­ten zu haben, spiel­te sie die Rol­le der glü­hen­den, macht­po­li­ti­schen »hier-darf-man-doch-alles-sagen-Ver­fech­te­rin«. Laschet gebrau­che ein belieb­tes, gleich­wohl fal­sches Nar­ra­tiv. »Jeder kön­ne in deut­schen Talk­shows sei­ne Mei­nung sagen!« Die poli­ti­sche Macht­ent­schei­dung, beson­ders im gegen­wär­ti­gen Deutsch­land, die Aus­schal­tung der Kri­tik von den Kom­man­do­hö­hen der Medi­en, wird »im Kampf um das Bewusst­sein der Gesell­schaft« getrof­fen, was der kri­ti­sche Jour­na­list und Histo­ri­ker, Wil­helm von Stern­burg (Jg. 1939), noch wuss­te. Inso­weit ist der heu­ti­ge Jour­na­lis­mus in eine »unhei­li­ge Alli­anz« mit der Macht ein­ge­tre­ten. Der Jour­na­lis­mus ist in einer neu­en Pha­se der Ver­schleie­rung der Wirk­lich­kei­ten: Kri­ti­ker der deut­schen Ukraine­po­li­tik wer­den nie­der- und mund­tot gemacht, erst gar nicht ein­ge­la­den. Die vom CDU-geführ­ten Bil­dungs- und For­schungs­mi­ni­ste­ri­um der gro­ßen Koali­ti­on im Jahr 2016 als Mit­glied vor­ge­schla­ge­ne, seit 2020 als Vor­sit­zen­de fun­gie­ren­de Ale­na Buyx, bestrei­tet mani­pu­la­ti­ve Mei­nungs­ma­che. Gleich­wohl sitzt sie einem nicht unab­hän­gi­gen Gre­mi­um vor, deren Mit­glie­der zu 90 Pro­zent von der Bun­des­re­gie­rung vor­ge­schla­gen und vom Deut­schen Bun­des­tag gewählt wer­den: dem Deut­schen Ethikrat.

Ein wei­te­res typi­sches Bei­spiel dafür, wie jeden Tag Pres­se, Funk, Fern­se­hen und neue Medi­en, Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten, zuvör­derst Medi­en­kon­zer­ne, funk­tio­nie­ren, ist das The­ma der »Des­in­for­ma­ti­ons­po­li­tik«. Ein Agie­ren mit Infor­ma­tio­nen zum Zwecke der Len­kung, auch mit Hil­fe von Täu­schung, zur Durch­set­zung von Inter­es­sen. Nur ein frei­er Infor­ma­ti­ons­zu­gang und Infor­ma­ti­ons­viel­falt kön­nen die freie Ent­schei­dung der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ermög­li­chen. Mit ideo­lo­gi­scher Bril­le und ver­eng­ter Gedan­ken­füh­rung wer­den die Wahl­mög­lich­kei­ten ein­ge­schränkt; das Ende der Auf­klä­rung ist erreicht (Wil­helm von Stern­burg, 1995, ARD).

Der Auf­ma­cher der Frank­fur­ter Rund­schau am Oster­sams­tag: »ISW warnt vor Putins angeb­li­cher ›ein­zi­ger Sie­ges­stra­te­gie‹ in der Ukrai­ne«. Die FR stützt sich auf einen Bericht des »Insti­tu­te for the Stu­dy of War (ISW)« vom 27. März. Dar­in wird behaup­tet, »der Westen und die Ukrai­ne« könn­ten den Krieg nur gewin­nen, wenn der rus­si­schen Des­in­for­ma­ti­on etwas ent­ge­gen­ge­setzt wer­de. Auch die Bun­des­re­gie­rung und die deut­sche Innen­mi­ni­ste­rin nut­zen das Poten­zi­al, das der Begriff Des­in­for­ma­ti­on (nur der ande­ren!) als Poli­tik­in­stru­ment öff­net. Das ISW rech­net vor, wie über­le­gen der Westen (inklu­si­ve Nato) sei – ange­sichts einer Wirt­schafts­kraft von zusam­men 63 Bil­lio­nen Dol­lar die­ser Staa­ten zu 1,9 Bil­lio­nen von Russ­land und sei­nen Ver­bün­de­ten. Russ­land habe eine Infor­ma­ti­ons­kam­pa­gne gestar­tet, »um zu ver­brei­ten, dass der Krieg auf­grund der rus­si­schen Domi­nanz nicht zu gewin­nen« sei. Die­se Tat­sa­che gebe »einen Ein­blick in die wirk­li­che Stra­te­gie des Kremls und sei­ne ein­zi­ge ech­te Hoff­nung auf Erfolg: die west­li­chen Ver­bün­de­ten der Ukrai­ne, allen vor­an die USA, zur Hand­lungs­un­fä­hig­keit zu brin­gen.« Ergo: »Wür­de sich der Westen also mehr enga­gie­ren«, schließt das ISW, hät­te »Russ­land kei­ne Chan­ce, den Ukrai­ne-Krieg zu gewin­nen« – eine Tat­sa­che, die Russ­land bewusst sei. Und wei­ter: Putin zie­le auf die »Wahr­neh­mung von Kosten, Prio­ri­tä­ten, Risi­ken, Vor­tei­len, Über­ein­stim­mung mit unse­ren Wer­ten und Aus­wir­kun­gen unse­res eige­nen Han­delns« ab. Man kann all­ge­mein davon aus­ge­hen, dass Des­in­for­ma­ti­on als Waf­fe von allen Sei­ten ein­ge­setzt wird. Beim Kriegs­en­ga­ge­ment der Nato-Län­der mit beschränk­tem Ein­satz der Waf­fen­po­ten­zia­le spie­len vie­le ande­re Aspek­te eine bedeu­ten­de Rol­le, neben orga­ni­sa­to­risch-stra­te­gi­schen Aspek­ten, etwa Fra­gen nach Kon­se­quen­zen: Kommt der Krieg nach Euro­pa? Droht die Zer­stö­rung ande­rer Staa­ten? Erhö­hen fort­ge­setz­te Waf­fen­lie­fe­run­gen die Risi­ken und Gefähr­dungs­la­gen, z. B. sozia­ler Desta­bi­li­sie­rung gan­zer Gesell­schaf­ten? War­um gibt es kei­ne Frie­dens­pla­nung oder Vor­schlä­ge des Westens (der Nato)?

Das (noch) Unbe­ant­wor­te­te und die feh­len­de Pla­nung legen einer­seits die unge­klär­te Stra­te­gie des Westens (und der Nato) offen und ande­rer­seits das Rin­gen ande­rer Akteu­re, wie der ame­ri­ka­ni­schen Denk­fa­brik »Insti­tu­te for the Stu­dy of War«, um Stra­te­gien und Optio­nen geo­po­li­ti­schen Han­delns: Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten hät­ten »die Macht, die ein­zi­ge Erfolgs­stra­te­gie Russ­lands zu ver­ei­teln«. Zwar habe man in der Ver­gan­gen­heit zuge­las­sen, dass »Russ­land eine über­gro­ße Rol­le bei der Gestal­tung der ame­ri­ka­ni­schen Ent­schei­dungs­fin­dung« spie­le. Man müs­se also dar­auf ach­ten, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, die mit eige­nen »Inter­es­sen, Wer­ten und Tat­sa­chen in Ver­bin­dung ste­hen und nicht fremd­ge­steu­ert sind«. Nach ein­ge­hen­der Lek­tü­re des Berichts wird offen­sicht­lich, dass »rus­si­sche Des­in­for­ma­ti­ons­po­li­tik« mit unkri­ti­scher Bericht­erstat­tung der Frank­fur­ter Rund­schau gepaart, das Gegen­teil von Auf­klä­rung, selbst Des­in­for­ma­ti­on wer­den kann, weil die eigent­li­chen Hin­ter­grün­de und Inter­es­sen der »ame­ri­ka­ni­schen Denk­fa­brik« aus­ge­klam­mert blei­ben. Die Stu­di­en sicher­heits­po­li­ti­scher Denk­fa­bri­ken wider­spie­geln Debat­ten über glo­ba­le Stra­te­gien des US-ame­ri­ka­ni­schen Impe­ri­ums – Vari­an­ten wie jene vom hoch­de­ko­rier­ten Vier­ster­ne­ge­ne­ral David Petraeus, der die US- und Koali­ti­ons­streit­kräf­te im Irak und in Afgha­ni­stan kom­man­diert hat­te; Petraeus, der sich als »libe­ra­ler Rocke­fel­ler-Repu­bli­ka­ner« sieht, will kei­nen Atom­krieg ris­kie­ren, kei­ne Eska­la­ti­on infol­ge eines Waf­fen­ein­sat­zes, wie etwa durch Ein­rich­tung einer Flug­ver­bots­zo­ne über die Ukrai­ne (Herbst 2022). Das Vor­stands­mit­glied des ISW hält eska­la­ti­ons­fä­hi­ge Kriegs­waf­fen für nicht ein­setz­bar. Im Vor­stand der Denk­fa­brik ist auch Wil­liam »Bill« Kri­stol, bedeu­ten­der Prot­ago­nist des Neo­kon­ser­va­tis­mus in den USA. Kri­stol plä­diert für die mili­tä­risch gestütz­te Hege­mo­nie der USA welt­weit sowie für die umfas­sen­de Revi­si­on des Völ­ker­rechts. Oder der am 27. März 2024 gestor­be­ne »Joe« Lie­ber­man, der mit den Repu­bli­ka­nern der Bush jun.-Zeit beim völ­ker­rechts­wid­ri­gen »War on Ter­ror« kol­la­bo­rier­te. Gegrün­det wur­de das Insti­tut 2007 von der Mili­tär­hi­sto­ri­ke­rin Kim­ber­ly Kagan als Reak­ti­on auf die Sta­gna­ti­on der Krie­ge im Irak und in Afgha­ni­stan, im Kern finan­ziert von einer Grup­pe von Rüstungs­un­ter­neh­men. Ihr erklär­tes Ziel: vom »Impe­ri­al Moment« (Titel ihres Buches aus 2010) für die ame­ri­ka­ni­sche Zukunft zu ler­nen, der Visi­on des Insti­tuts. Wir brau­chen dage­gen den guten Jour­na­lis­mus, der Hin­ter­grün­de auf­deckt, Infor­ma­tio­nen kri­tisch dar­bie­tet, um über Frei­heit und Zukunft zu ver­han­deln, gebun­den an Ver­nunft, Gleich­heit der Men­schen und huma­ne Lebensverhältnisse.