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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Monsanto-Schauspiel

2015 sit­zen Invest­ment­ma­na­ger, stark in Monsan­to, dem füh­ren­den Her­stel­ler von Roun­dup, einem Unkraut­ver­til­gungs­mit­tel, enga­giert, zusam­men und dis­ku­tie­ren die Lage. Sie wis­sen, dass auf Monsan­to in den USA eine Kla­ge­wel­le zurol­len und das Ver­mö­gen zusam­men­schmel­zen las­sen wird, wel­ches sie verwalten.

Was ist zu tun? Sich von den Akti­en in grö­ße­rem Stil zu tren­nen, sie also zum Kauf anzu­bie­ten, wür­de deren Kur­se schnell ver­fal­len las­sen. Die­se Stra­te­gie kommt nicht infra­ge, denn damit wäre ein Abschmel­zen der Ver­mö­gens­wer­te ver­bun­den. Das wäre aber für Fondma­na­ger ein Gau, denn sie ver­die­nen an wach­sen­den Ver­mö­gens­wer­ten. Zusätz­lich hängt ihre beruf­li­che Repu­ta­ti­on von Erfol­gen ab. Miss­erfol­ge schmä­lern das Anse­hen und schwä­chen die Posi­ti­on für zukünf­ti­ge Ein­kom­mens­ver­hand­lun­gen. Die beste Alter­na­ti­ve bestün­de dar­in, einen Block­ver­kauf zu orga­ni­sie­ren, also das Unter­neh­men auf einen Schlag loszuwerden.

Was ist zu tun? Wenn wir einen grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Käu­fer fin­den, sagen sie sich, der uns den vol­len Preis für Monsan­to bezahlt, wird der dann die Abfin­dun­gen und Straf­zah­lun­gen aus den zu erwar­ten­den Gericht­ver­fah­ren zah­len müs­sen. Er wird im Zuge der Gerichts­ver­fah­ren selbst an Wert ver­lie­ren, weil sich zahl­lo­se Aktio­nä­re bei den Schreckens­mel­dun­gen von ihren Akti­en tren­nen wer­den. Bay­er Lever­ku­sen gerät ins Visier, weil er der größ­te Wett­be­wer­ber auf dem Markt ist. Wenn die Stra­te­gie auf­geht, wird man den Kon­zern spä­ter für einen Appel und ein Ei selbst über­neh­men kön­nen – gewinnt also doppelt.

Im ersten Schritt muss man Bay­er­ak­ti­en kau­fen, um ggf. im Auf­sichts­rat prä­sent zu sein und die inter­nen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in dem Gre­mi­um ggf. beein­flus­sen zu kön­nen. Danach muss man das Bay­er- Manage­ment von dem »hoch­wer­ti­gen« Monsan­to-Deal über­zeu­gen. Ein neu­er Vor­stands­chef, der sich ins rech­te Licht set­zen will, kommt dafür gera­de recht. Der wird emp­fäng­lich für die Ein­flü­ste­run­gen sein, dass Bay­er doch den Welt­markt beherr­schen müs­se. Bekannt­lich sind die Deut­schen immer wie­der nicht von die­ser Welt, son­dern träu­men, wie ehe­mals der Daim­ler­kon­zern unter der Füh­rung von Herrn Schremmp, von einem Weltkonzern.

Von nun an geht alles den zu erwar­ten­den Gang: Bereits ein Jahr vor der Monsan­to-Über­nah­me durch Bay­er pfif­fen die Spat­zen es von den Dächern, mit wel­chen Kla­gen Monsan­to wer­de rech­nen müs­sen. Aber Spat­zen fol­gen nur ande­ren grö­ße­ren Vögel – oder soll man sagen: Heu­schrecken­schwär­men? Lever­ku­sen liegt aber im trau­li­chen Rhein­land und ist als Pro­vinz­stadt mit den Gepflo­gen­hei­ten der Welt nicht gut vertraut.

Hat man den Deal unter Dach und Fach, kann man sich getrost zurück­leh­nen. Das Ver­mö­gen der Eigen­tü­mer von Monsan­to ist geret­tet, und auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tiks zeich­nen sich »zusätz­li­che Gewinn­chan­cen« ab, weil man kei­ne Ahnung hat oder das Rechts­sy­stem der USA nur unzu­rei­chend kennt. Die »Drecks­ar­beit« wird der Vor­stands­vor­sit­zen­de Bau­mann erle­di­gen müs­sen, selbst wenn er schließ­lich ahnt, gründ­lich her­ein­ge­legt wor­den zu sein. Das kann er aber nicht sagen, ohne sofort sei­nen Job zu ver­lie­ren. Die Drecks­ar­beit besteht in der Ver­wal­tung einer schier unfass­ba­ren Zahl von Pro­zes­sen. Der ver­ein­bar­te Kauf­preis für die kom­plet­te Fir­men­über­nah­me bela­stet die Gewinn­si­tua­ti­on, so dass sich der Vor­stands­chef mit Kosten­ein­spa­run­gen zu beschäf­ti­gen hat, die im Per­so­nal­be­reich orga­ni­sa­to­ri­sche Kon­se­quen­zen mit Stel­len­ab­bau und Arbeits­ver­dich­tung haben werden.

Die Pres­se, respek­ti­ve deren Mit­ar­bei­ter, die bei Reu­ters abzu­schrei­ben gelernt haben, ken­nen kei­ne Schach­spie­le mehr, ahnen kei­ne stra­te­gi­schen Zusam­men­hän­ge, wenn sie ihnen nicht vor­ge­be­tet wer­den, und ver­ste­hen sowie­so nichts mehr und küm­mern sich nur um ein­zel­ne Ereig­nis­se, ohne den Zusam­men­hang zu erah­nen. Die Haupt­sa­che ist, Leser wer­den zu Trä­nen gerührt. Der­weil gehen die Din­ge ihren Gang.

Was schert es einen Invest­ment­fond in den USA, wenn deut­sche Städ­te ihre Gewer­be­steu­er­zah­ler in gro­ßem Stil ver­lie­ren. Das sind aus deren Sicht nicht ein­mal Kol­la­te­ral­schä­den, denn sie sind kei­ne Mel­dung in den USA wert. In San Fran­cis­co wird nie­mand den Ort Lever­ku­sen ken­nen. Mit den zu bilan­zie­ren­den Ver­lu­sten sinkt für den Haupt­stand­ort der Bay­er­wer­ke die Höhe der Gewerbesteuereinnahmen.

Aber wie­der eröff­nen sich neue Chan­cen. Soll­te Lever­ku­sen finan­zi­ell in Bedräng­nis gera­ten, bie­ten die Fondma­na­ger im Zwei­fel gleich noch eine Lösung an: mit dem Sale- und Lea­se-Back­ver­fah­ren kann man ihnen ihre Kana­li­sa­ti­on abkau­fen und sie für 100 Jah­re zu besten Kon­di­tio­nen ver­mie­ten. Da gab es doch ein­mal was! Viel­leicht wird sich Lever­ku­sen dazu hin­rei­ßen las­sen, auf die­sem Wege die ent­gan­ge­nen Gewer­be­steu­er­zah­lun­gen auszugleichen.

Nach­trag: Der Bör­sen­kurs der Bay­er­ak­ti­en hat einen neu­en Tiefst­stand (2023) erreicht. Herr Bau­mann ist nicht mehr der Vor­stands­vor­sit­zen­de. Der neue, Bill Ander­son, denkt jetzt dar­über nach, den Bay­er­kon­zern zu zer­le­gen und stück­wei­se zu ver­kau­fen. Das Wort von den Krä­hen, die ein­an­der die Augen nicht aus­hacken ist falsch. Im Gegen­teil, sie frö­nen dem Kannibalismus.

Bay­ers Geschich­te ist also noch nicht vor­bei, aber wäh­rend Carl Duis­berg zur Zeit der Wei­ma­rer Repu­blik tat­säch­lich auf einen Welt­kon­zern blicken konn­te, mit Inter­es­sen bis nach Japan und Chi­na, so scheint sich hier jetzt eine Zei­ten­wen­de anzubahnen.