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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gefühlsecht

Wann wird etwas als empö­rend emp­fun­den? Wenn es, was so klar wie Kloß­brü­he sein soll, unberechtigt ist, da es Gerechtfer­tig­tes und Erstre­bens­wer­tes ver­letzt. Empö­rung ist ein Gefühl, des­sen Inten­si­tät von der »Bedeut­sam­keit« und dem »Stel­len­wert« des Aus­lö­sers abhängt und das dazu neigt, sich als idea­li­sti­sches Enga­ge­ment mög­lichst stark zu äußern. Empört zu sein, speist und berech­tigt sich aus Grün­den, von deren offen­sicht­li­cher Unab­weis­bar­keit das Gefühl über­zeugt ist. Empö­rung und Über­zeu­gung bedin­gen und bekräf­ti­gen sich, schau­keln sich hoch. Über­zeu­gung kann sich einer die Wirk­lich­keit (bis zur Wider­le­gung) tref­fen­den Fest­stel­lung ver­dan­ken oder einem Glau­ben ent­sprin­gen, der schon sei­ner Über­zeugt­heit hal­ber ein­fach rich­tig lie­gen muss. Empö­rung wur­zelt also in allem mög­li­chen, und wenn Empör­te, um dem rei­nen, authen­ti­schen Aus­druck ihres Gefühls, auf den es ihnen ankommt, eine mög­lichst brei­te gemein­sa­me Büh­ne zu berei­ten, dar­auf ver­zich­ten, sich unter­ein­an­der mit des­sen Fun­die­rung aus­ein­an­der­zu­set­zen, so bringt ihnen das – »egal, wes­halb genau« – einen Pyrrhussieg.

Wenn von vie­len geteilt, kann das Gefühl als Trieb­kraft mäch­tig wer­den und sich öffent­lich­keits­wirk­sam, wie bei Frie­dens- und Coro­na­de­mos gesche­hen, »ein­brin­gen«. Das ist der Sieg. Wenn, wie es gang und gäbe ist, nach dem Mot­to »Haupt­sa­che, wir sind vie­le« – nur dar­auf kom­me es an – ein Zusam­men­ge­hen mit über das­sel­be Fak­tum Mit­em­pör­ten als größt­mög­li­cher Zweck­bünd­nis- und Quer­front­er­folg ange­strebt wird, so ist es für des­sen Erzie­lung nur hin­der­lich, nach Unter­schied­lich-, ja Gegen­sätz­lich­keit von Beweg­grün­den zu fra­gen. Mit solch wech­sel­sei­ti­gem »Andocken« ver­schwin­den im Umklei­de­raum gelas­se­ne Dif­fe­ren­zen aber nicht; gera­de nach erfolg­rei­cher Zur­schau­stel­lung der »Einig­keit« muss letz­te­re aus­ein­an­der­lau­fen bzw. sich mit hier­zu­lan­de äußerst ver­pön­ter Zer­strit­ten­heit wie­der demen­tie­ren. Das ist der Preis, der den Sieg min­dert. Was tun? Das All­heil­mit­tel, einen Kampf ver­schie­de­ner Lini­en zu über­win­den, liegt gemein­hin dar­in, sich nur inso­fern wei­ter um deren Absich­ten zu sche­ren, als sich all­ge­mein­gül­ti­ge und somit nicht zu über­tref­fen­de Wer­te ankar­ren las­sen, die vom Gegen­über ein­fach geteilt wer­den müs­sen, so er nicht als Untu­gend­bold daste­hen möchte.

Ein bana­les Bei­spiel aus dem All­tags­le­ben: Im Geträn­ke­markt begab sich eine gera­de ein­ge­tre­te­ne, unsen­si­bel aus­ge­drückt: »ein­ge­wickel­te« Dame vor die war­ten­de Pfand­fla­schen­rück­ga­be­schlan­ge und ver­lang­te sofor­ti­ge Bedie­nung. Der Vor­der­mann in der Schlan­ge steu­er­te zu die­sem empö­ren­den Ver­hal­ten sinn­ge­mäß die fol­gen­de Beleh­rung bei: Im Hei­mat­land der Dame habe er als Musi­ker schon vor dem König gespielt und aus hohem Mun­de ver­nom­men, dass »ihr die von uns kriegt, die wir nicht bei uns haben wol­len«. Der exem­pla­ri­sche Kom­men­tar hat es in sich.

Erstens: Es wird eine Schä­di­gung wahr­ge­nom­men, die empö­rend, da nicht zuläs­sig ist, zumin­dest mora­lisch nicht. Die auch in zig Publi­ka­tio­nen beklag­te neu­er­dings ein­ge­ris­se­ne und guter alter Sit­te ver­lu­stig gegan­ge­ne Rüpel­haf­tig­keit moder­nen Benimms ist der Auf­takt zum Zwei­ten, dem »Typisch!«, das ganz offen­sicht­lich nicht von hier stam­men kann, denn wenn Deut­sche rüpeln, dann sind sie bloß schwar­ze Scha­fe typisch deut­scher Tugen­den. Drit­tens geht der Kom­men­tar jedem Ange­spro­che­nen gegen­über von der selbst­ver­ständ­li­chen Über­ein­stim­mung dar­in aus, dass das bean­stan­de­te Ver­hal­ten einer Ein­zel­nen den Aus­schluss aus einer »guten« natio­na­len Gemein­schaft recht­fer­tigt. Damit hat sich eine All­tags­krän­kung in ein paar Sät­zen zu einer zwar bana­len, gän­gi­gen, vor allem aber »wer­ti­gen« Empö­rung hoch­ge­ar­bei­tet, denn eigent­lich geht es um nichts weni­ger als den Unter­gang des Abend­lan­des: »Wir« gegen »die Fein­de der Nati­on«. Anders aus­ge­drückt: »Wir« ver­schaf­fen den »Dritt­welt­län­dern« mit dem Depo­nie­ren unse­res Mülls bei ihnen ein Geschäft, und zum Dank spü­len sie »uns« hier als mensch­li­cher Müll Ange­se­he­ne an die Ufer. So etwas haben »wir« nicht bestellt!

Nach der Illu­stra­ti­on des Gene­ral­bas­ses heu­ti­gen Mei­nens noch­mals die Fra­ge: Han­delt es sich bei eige­ner Empö­rung um eine, die zutref­fen­de Grün­de mate­ri­el­ler Schä­di­gung kennt – oder sieht sie sich im gro­ßen ideel­len, tat­säch­lich unter­bü­geln­den »Wir« gut auf­ge­ho­ben? »Check your indi­gna­ti­on!« Eine Emp­feh­lung: Wenn man empört ist, dann gibt es dafür nicht nur die im Wer­te­ka­non geli­ste­ten, son­dern auch jede Men­ge als »nie­de­re« gebrand­mark­te Beweg­grün­de; für Empö­rung nicht über Unge­rech­tig­keit, son­dern über Ver­hält­nis­se, die syste­ma­tisch dafür sor­gen, dass Repro­duk­ti­ons­be­dürf­nis­se derer, die sich ver­din­gen müs­sen, gera­de auch mit sozi­al­po­li­ti­scher Aus­ge­stal­tung, chro­nisch gefähr­det blei­ben müs­sen. Das wäre doch wirk­lich ein­mal »gefühls­echt».