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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Recht, über Gott zu lachen

Ein bär­ti­ger Mann mit Tur­ban hält sei­nen Kopf zwi­schen den Hän­den. Er scheint sehr ver­är­gert zu sein. In der Sprech­bla­se steht: »Schon hart, wenn einen Idio­ten lie­ben …!« Die Zei­len über der Zeich­nung erläu­tern: »Moham­mad beklagt sich. Er wird von Fun­da­men­ta­li­sten über­rollt!« Der Pro­phet beklagt sich also über die Hal­tung sei­ner fana­ti­schen Anhän­ger. Eine Titel­sei­te von Char­lie Heb­do, dem fran­zö­si­schen Sati­re­ma­ga­zin: pro­vo­kant, schrill, bunt. Nicht jeder muss über die­se Kari­ka­tur schmun­zeln, jeder darf sich belei­digt füh­len. In einer auf­ge­klär­ten, frei­en Gesell­schaft nennt man so etwas poli­ti­sche Karikatur.

Seit 1992 macht Char­lie Heb­do davon Woche für Woche Gebrauch: Gegen selbst­ge­fäl­li­ge Poli­ti­ker, kor­rup­te Wirt­schafts­bos­se, bigot­te Moral­wäch­ter – vor allem aber gegen reli­giö­se Fana­ti­ker. So auch auf der zitier­ten Titel­sei­te aus dem Jahr 2006, die dem Zeich­ner Kurt Wester­gaard gewid­met war, der wegen sei­ner Kari­ka­tu­ren in der däni­schen Tages­zei­tung Jyl­lands-Posten von mos­le­mi­schen Fun­da­men­ta­li­sten mit dem Tod bedroht wor­den war. Damals waren er und die Zei­tung beschul­digt wor­den, den »öffent­li­chen Frie­den« zu gefähr­den. Eine skan­da­lö­se Umkeh­rung des Täter-Opfer-Prin­zips. Denn nicht Wester­gaard und die Jyl­lands-Posten-Redak­ti­on gefähr­de­ten den öffent­li­chen Frie­den, son­dern reli­giö­se Fana­ti­ker, die in ihrem Wahn Men­schen droh­ten und töte­ten, weil sie unfä­hig waren, sati­ri­sche Kunst, wie sie in einer offe­nen Gesell­schaft legi­tim ist, zu akzeptieren.

Neun Jah­re spä­ter, am 7. Janu­ar 2015, sprin­gen zwei mit Kalasch­ni­kows bewaff­ne­te mos­le­mi­sche Ter­ro­ri­sten vor dem Pari­ser Redak­ti­ons­ge­bäu­de von Char­lie Heb­do aus dem Auto, zwin­gen die Zeich­ne­rin Coco zur Her­aus­ga­be des Sicher­heits­codes und stür­men in den zwei­ten Stock. Dort erschie­ßen sie einen Leib­wäch­ter, den Chef­re­dak­tor Sté­pha­ne Char­bon­nier und meh­re­re Mit­ar­bei­ter. Die Bil­der, wie sie unter »Alla­hu akbar«- und »Wir haben den Pro­phe­ten gerächt«-Rufen in einen schwar­zen Citro­ën stei­gen und auf der Flucht einen Poli­zi­sten aus näch­ster Nähe exe­ku­tie­ren, gehen um die Welt. Zwölf Men­schen wer­den aus dem Leben geris­sen. Eine bar­ba­ri­sche Tat. Frank­reich steht unter Schock.

Und doch: schon damals wur­den Stim­men laut, die die »Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit« des Sati­re­ma­ga­zins beklag­ten. Sie mach­ten Char­lie Heb­do letzt­lich selbst für das mör­de­ri­sche Infer­no ver­ant­wort­lich, weil die Zeit­schrift unter dem »Deck­man­tel der Mei­nungs­frei­heit« die Gefüh­le von Gläu­bi­gen ver­let­ze und Reli­gio­nen lächer­lich mache. Sol­che Ein­wür­fe kamen nicht allein kon­ser­va­ti­ven Glau­bens­ver­wal­tern und der poli­ti­schen Rech­ten. Auch von lin­ken Intel­lek­tu­el­len und Medi­en wur­de das Recht auf Kri­tik an Gott und ande­ren »hei­li­gen« Auto­ri­tä­ten infra­ge gestellt. Sie war­fen Char­lie Heb­do vor, ras­si­stisch zu sein und den Glau­ben der Schwäch­sten zu ver­höh­nen – und damit vor allem vie­le mos­le­mi­schen Ein­wan­de­rer zu ernied­ri­gen. An die­sem Bild wird bis heu­te fest­ge­hal­ten: Welt­weit recht­fer­tigt ein erheb­li­cher Teil der Isla­mi­sten Gewalt und Ter­ror wegen angeb­li­cher Her­ab­wür­di­gung des Korans oder des isla­mi­schen Pro­phe­ten Mohammad.

Die­se Argu­men­ta­ti­on, die häu­fig für die Recht­fer­ti­gung stra­pa­ziert wer­de, sei der beschä­men­de Ver­such einer Täter-Opfer-Umkehr, sagt Richard Mal­ka, der als Anwalt seit 1992 die Inter­es­sen von Char­lie Heb­do ver­tritt – und des­halb seit Jah­ren unter Poli­zei­schutz steht. Wo aber kämen wir hin, fragt er, wenn wir es vom Ein­ver­ständ­nis reli­giö­ser Fana­ti­ker abhän­gig machen wür­den, ob ein Kunst­werk, ein Thea­ter­stück, ein Film gezeigt wer­den darf oder nicht, weil er angeb­lich den Pro­phe­ten Moham­mad her­ab­stuft, belei­digt oder der Lächer­lich­keit preisgibt?

In einem sei­nem Schluss-Plä­doy­er, das er 2020 im Pro­zess gegen die Kom­pli­zen der Atten­tä­ter vor dem Son­der­straf­ge­richts­hof in Paris gehal­ten hat, for­der­te er die Ideo­lo­gen und dienst­ba­ren Gei­ster des Ter­rors auf, mit ihren Bemü­hun­gen auf­zu­hö­ren, für den Islam Son­der­rech­te zu bean­spru­chen. »Die Kunst- und Mei­nungs­frei­heit kann in einer offe­nen, demo­kra­ti­schen Gesell­schaft nicht aus Rück­sicht auf reli­giö­se Fana­ti­ker ein­schränkt wer­den, dies kommt einer Beloh­nung gleich.« Nicht Reli­gi­ons­kri­tik stö­re den öffent­li­chen Frie­den, son­dern Glau­bens­fa­na­ti­ker, die »unse­re Frei­hei­ten ver­ach­ten, die alle Ungläu­bi­gen und Anders­gläu­bi­gen has­sen, vor allem die, die sich erlau­ben, über ihren Pro­phe­ten zu lachen, ihn zu kari­kie­ren«, so Malka.

Sein Plä­doy­er ist jetzt in deut­scher Über­set­zung als Buch erschie­nen. Ein schma­les Bänd­chen von gro­ßer rhe­to­ri­scher Wucht. Eine Chro­no­lo­gie des Grau­ens und der poli­ti­schen Igno­ranz. Mal­ka benennt Namen und Inter­es­sen aus Poli­tik und Medi­en, die über Jah­re eif­rig Legen­den- und Lügen­ge­schich­ten ver­brei­te­ten, wonach Char­lie Heb­do »Feind aller Mus­li­me« sei. Sie alle nimmt er in Mit-Haf­tung: Oppor­tu­ni­sten, Weg­se­her und Ver­drän­ger, die für die bren­nen­de Lun­te, die sie mit ent­facht haben, Ver­ant­wor­tung tra­gen. Sein Plä­doy­er ist – im Sin­ne des Wor­tes – eine »wahr­haf­ti­ge« empa­thi­sche Ankla­ge gegen Gleich­mut und Gleich­gül­tig­keit. Vor allem aber eine ful­mi­nan­te Ver­tei­di­gung der Mei­nungs­frei­heit und des Rechts, sich über Gott lächer­lich zu machen – falls es ihn gibt.

Richard Mal­ka: Das Recht, Gott lächer­lich zu machen, Ali­bri Ver­lag 2023, 95 S., 10 €.