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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Jiddisch-Retter

Die­ses Kunst­werk über eine Spra­che wür­de ich gern in mehr Spra­chen loben, als mir zur Ver­fü­gung ste­hen. Der Autor Jakob Hes­sing wählt zum Ein­stieg in das anspruchs­vol­le Pro­jekt über den jid­di­schen Witz eine Mischung von Auto­bio­gra­phie und Sach­in­for­ma­ti­on. Hier ein Exem­pel für das erste Thema:

Es ist eine anrüh­ren­de kur­ze Geschich­te, sie wur­de Hes­sing von der auf­merk­sa­men Ver­wandt­schaft kol­por­tiert: »Als klei­nes Kind über­quer­te ich mit mei­nen Eltern ein­mal einen Fahr­damm, da soll ich mich auf den Asphalt gesetzt und gesagt haben: ›Ken­ni, hoken Kojach.‹« Das klingt so laut­ma­le­risch, es muss jid­disch sein! Hes­sing fol­gert: »In mei­nen frü­hen Jah­ren in Polen und vor der Über­sied­lung nach Ber­lin sprach ich offen­sicht­lich Jid­disch.« Jakob ist in Har­mo­nie mit Vater und Mut­ter, anders als Franz Kaf­ka, der mit sei­nem Erzeu­ger auf kei­nem guten Fuße stand, gleich­wohl enga­giert sich der Sohn fürs Jid­di­sche, hält um 1912 her­um meh­re­re Reden, psy­cho­lo­gisch so gelun­gen wie die Zuhö­rer­schar auf hohem Niveau erhei­ternd. Kaf­ka Seni­or, gleich ihm vie­le Bür­ger Prags nann­ten die­se Arti­ku­la­ti­ons­wei­se ver­ächt­lich »Jar­gon«, man hät­te sich geschämt, sie zu benut­zen. Ver­tei­di­ger gibt es durch­aus – der Schrift­stel­ler Manès Sper­ber nutz­te den beschimpf­ten Jar­gon bis ins Erwach­se­nen­al­ter, dann lern­te er Deutsch, spä­ter Fran­zö­sisch vom Fein­sten, kein Mira­kel, wenn man sich in Paris ansiedelt.

Genannt wer­den im Buch drei Klas­si­ker jid­di­scher Lite­ra­tur: Scholem Ale­jchem, Men­de­le Moí­cher Sfórim, Jiz­chok Leib Perez. Einer brei­te­ren Öffent­lich­keit wird wohl der zuerst erwähn­te Scholem Ale­jchem bekannt sein, auf des­sen Roman beruht das inter­na­tio­nal erfolg­rei­che Stück über Tewje, den Milch­mann. Von den drei genann­ten Klas­si­kern teilt Hes­sing viel Ernst­haf­tes und Ergötz­li­ches mit, alles zusam­men bie­tet einen Fun­dus, aus dem von Kri­mi, Komö­die, Kata­stro­phen­sze­na­rio bis zum Kas­per­le­thea­ter sich Büh­nen und Film bedie­nen könn­ten. Allein die so wahn­wit­zi­gen wie maka­bren Ehe­ge­schich­ten bil­den einen uner­schöpf­li­chen Vorrat.

Ein Kapi­tel für sich sind in der Rea­li­tät und hier im Buch die Samm­lun­gen jüdi­scher – nicht jid­di­scher – Wit­ze von Sal­cia Land­mann. Hes­sing lobt sehr nobel deren Sprach­kennt­nis­se sowie ihren Fleiß, Land­mann-Bücher ver­kauf­ten sich wie geschnit­ten Brot, ein Wie­der­gut­ma­chungs­re­flex bei uns Deut­schen für all die Ver­bre­chen, denen die Juden im »Drit­ten Reich« aus­ge­lie­fert waren? Da wäre ein bes­se­res Gewis­sen jedoch zu bil­lig erkauft.

Nun hat­ten Ger­hard Zwe­renz und ich lan­ge Jah­re hin­durch einen bewähr­ten jüdi­schen Freund, der konn­te beim Lesen der Land­mann-Best­sel­ler eine gewis­se Übel­keit nur müh­sam unter­drücken. Aus dem unüber­treff­li­chen »Viel­leicht das Hei­te­re. Tage­buch aus einem ande­ren Jahr« von Robert Neu­mann (Ver­lag Kurt Desch, Mün­chen 1968) erlau­be ich mir ein paar Zei­len zu zitie­ren. Mir scheint, Hes­sing ist groß­zü­gig genug, das nicht als Affront gegen sein groß­ar­ti­ges Werk auf­zu­fas­sen. Neu­mann: »Vater, wozu braucht ein Goy ein Kopf? Den­ken tut er nicht – Tefil­lim legt er nicht – also nur zum Grü­ßen? (Der Witz zeigt, über den defen­si­ven Anti­go­jis­mus hin­aus, den Hoch­mut, den unser­ei­ner braucht, um zu über­le­ben. Alter­na­ti­ve: Die Ver­zweif­lung.« – Impul­se, die Hes­sing viel­leicht nicht ganz fremd sein mögen

Jakob Hes­sing: »Der jid­di­sche Witz. Eine ver­gnüg­li­che Geschich­te«, C.H.Beck, 172 Sei­ten, 12,95 €