Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Ein General, der die Fakten kennt

Die Wahr­heit »ist eine immer­wäh­ren­de Bemü­hung, sich ihr anzu­nä­hern«, schreibt Wer­ner Her­zog über eige­ne Erfah­run­gen. »Bemü­hun­gen«, sich der »Wahr­heit« anzu­nä­hern, erfor­dern den Zwei­fel, der von sich weiß, dass er nach allen Sei­ten schau­en muss. Er muss Fak­ten prü­fen, die Fol­gen des Han­delns beden­ken, das von der Ver­nunft auf den Frie­den gerich­tet sein muss. Soweit ich mich im west­li­chen Aus­land umhö­re, bis Macron einen Ein­fall hat­te, ist die deut­sche Debat­te über Hil­fen, vor allem über die Art der Waf­fen­lie­fe­run­gen, die Unter­stüt­zung ange­grif­fe­ner Staa­ten, die sich demo­kra­tisch und repu­bli­ka­nisch wäh­nen, beson­ders. Der fran­zö­si­sche Prä­si­dent spielt mit dem Gedan­ken, Trup­pen in die Ukrai­ne zu sen­den. Der frü­he­re Chef der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz, Ischin­ger, fin­det die Idee gar nicht so übel, zumin­dest sei sie »aus tak­ti­schen« Grün­den nicht aus­zu­schlie­ßen. Russ­land müss­te mit allem rech­nen. Das stär­ke die Posi­ti­on der Ukrai­ne und des Westens! Die deut­sche See­le trägt ihre Lasten der Geschich­te, bil­det Meta­mor­pho­sen, die beson­ders und son­der­bar sind. Eine risi­ko­be­rei­te nicht mehr preu­ßi­sche, son­dern neue Form eines Kon­glo­me­rats aus Poli­ti­ker-, Sicher­heits­exper­ten und Medi­en-Mili­ta­ris­mus hat sich gebildet.

Seit Ver­kün­dung der Zei­ten­wen­de durch Bun­des­kanz­ler Scholz ver­sucht eine Arma­da von poli­ti­schen Zivi­li­sten, »Mili­tär­kun­di­gen«, angeb­li­chen Exper­tin­nen und Exper­ten »unse­rer« Sicher­heit, von selbst­ge­wähl­ter Ein­sei­tig­keit der Medi­en ins Bild gesetzt, halb­wah­re Infor­ma­tio­nen als die »Wahr­heit« zu ver­brei­ten. Schwer zu ent­zau­bern, die Ver­füh­rung zum Kriegseintritt.

Deutsch­land muss sich mili­ta­ri­sie­rend ver­tei­di­gen, den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, ein »wan­kel­mü­ti­ger Freund« (Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung am Sonn­tag), ist nicht mehr zu trau­en. Die FAS stell­te die Fra­ge zur Atom­be­waff­nung listig, denn sie war rhe­to­risch gemeint, um die Debat­te über eine ato­ma­re Bewaff­nung wei­ter zu köcheln. Was die krie­ge­ri­schen CDU-Poli­ti­ker von Nor­bert Rött­gen bis Rode­rich Kie­se­wet­ter oder Strack-Zim­mer­mann von der FDP und Hof­rei­ter von den Grü­nen beschwö­ren, den »star­ken trans­at­lan­ti­schen Ver­bund« des Mili­tär­bünd­nis­ses, geht ande­ren Stim­men aus dem Lager der Abschreckung und Auf­rü­stung nicht weit genug, den Stim­men um Finanz­mi­ni­ster Lind­ner (FDP), um die ehe­ma­li­gen Außen­mi­ni­ster Fischer (Grü­ne) und Gabri­el (SPD), sowie Bar­ley (SPD), der SPD-Spit­zen­kan­di­da­tin für die Euro­pa­wah­len. Sie sin­nie­ren über EU-eige­ne ato­ma­re Fähig­kei­ten. Die FAS nährt Zwei­fel an der trans­at­lan­ti­schen Treue der USA, ver­stärkt die Über­le­gung nach Besitz von ato­ma­ren Waf­fen: »Man ver­traut also auf Appel­le an den wan­kel­mü­ti­gen Freund«? – Doch wohl nicht, wäre eine Ant­wort! Und ver­steckt damit die noch nicht sag­ba­re direk­te For­de­rung nach deutsch-euro­päi­scher Atom­be­waff­nung. Alle die­se Spiel­bäl­le trei­ben zum Wett­kampf um Eska­la­ti­on. Grundgesetzwidrig!

Denn von deut­schem Boden soll Frie­den aus­ge­hen. Die Medi­en ver­brei­ten »Kriegs­füh­rungs­pa­ro­len«, für Krieg sol­len wir unse­ren Gür­tel enger schnal­len: »Den Deut­schen müs­se jetzt klar gemacht wer­den«, so zitiert die FAS Rode­rich Kie­se­wet­ter, »dass wir uns in einer bedroh­li­chen Situa­ti­on befin­den und die Zeit der Work-Life-Balan­ce vor­bei ist«. »Euro­pa ist im Krieg!« legt der eng­li­sche Histo­ri­ker Timo­thy Gar­ton Ash in der Süd­deut­schen Zei­tung nach. Ihr Deut­schen, »ihr seid im Krieg!« »Putin muss geschla­gen wer­den«, das sei »der ein­zi­ge Weg die­sen Krieg zu töten!« Wol­len wir auf die­se Kriegs­be­richt­erstat­te­rIn­nen, Kriegs-Histo­ri­ke­rIn­nen, auf­rü­sten­den »Sicherheits«-ExpertInnen hören, auf die Het­ze reinfallen?

Was sagt ein Gene­ral dazu, ehe­mals ober­ster Mili­tär Deutsch­lands, der sich als Sol­dat ans Grund­ge­setz und an das Frie­dens­ge­bot unse­rer Ver­fas­sung gebun­den fühlt? Harald Kujat, unter rot-grü­nen Regie­run­gen nach 1998 zuerst Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr, spä­ter Vor­sit­zen­der des Mili­tär­aus­schus­ses der Nato (2002-2005) in Brüs­sel, stellt in Gesprächs­run­den zum Krieg in der Ukrai­ne infra­ge, dass die schlimm­sten Schrei­häl­se des Krie­ge­ri­schen das Frie­dens­ge­bot des Grund­ge­set­zes ach­ten oder auch nur die Fak­ten ken­nen, wie sie behaup­ten. Die­ser Harald Kujat, ein Mann vom Fach, ein wirk­li­cher »Fach­mann« und auf­ge­klär­ter Sicher­heits­exper­te, sieht Ver­nunft im Gewirr der Kriegs­pro­pa­gan­da auf ver­lo­re­nem Posten. Abwä­gend, Fak­ten und Alter­na­ti­ven prü­fend und durch­den­kend, löst der Gene­ral, der wie­der gefragt ist, bei den Kie­se­wet­ters und Strack-Zim­mer­manns hyste­ri­sche Reak­tio­nen aus. Doch in sich abge­schlos­se­nes Den­ken, unan­greif­ba­re »Sicher­heits­kon­zep­te« und Gewiss­heits­ver­brei­ter, die den Krieg in der Ukrai­ne bis zum bit­te­ren Ende wei­ter­füh­ren wol­len, liegt unter sei­nem Denk­ni­veau. Hören wir ihm zu:

In sei­nen letz­ten Inter­views bewer­tet er die Kriegs­la­ge für die Ukrai­ne so, dass ihr Waf­fen und vor allem Sol­da­ten feh­len und des­halb Russ­land auf dem Vor­marsch ist. Die Ukrai­ne wol­le wei­ter­hin Krieg füh­ren, des­halb ist ein Aspekt, den »Westen« stär­ker hin­ein­zu­zie­hen. Um das zu rea­li­sie­ren, for­dert man Waf­fen­sy­ste­me von der Nato, die den Krieg nach Russ­land tra­gen. Eine Stra­te­gie lau­tet, das mit den Crui­se-Mis­siles Tau­rus zu tun. Weit­rei­chen­de Waf­fen­sy­ste­me sol­len stra­te­gi­sche Zie­le errei­chen, um mili­tä­ri­sche Stütz­punk­te des Geg­ners zu tref­fen, heißt es im Deut­schen Bun­des­tag. Damit aber sei das rus­si­sche Nukle­ar­po­ten­zi­al bedroht, so Harald Kujat, der dafür ein Bei­spiel parat hat, den Vor­fall vom 26. Sep­tem­ber 2022 als die rus­si­sche stra­te­gi­sche Bom­ber­flot­te in Engels von ukrai­ni­schen Droh­nen getrof­fen wur­de. Wäre die Nukle­ar­an­la­ge getrof­fen wor­den, hät­ten wir 50 Jah­re nuklea­ren Win­ter, enor­me weit­rei­chen­de Zer­stö­run­gen oder eine nuklea­re Gegen­re­ak­ti­on. Russ­land müss­te mas­siv reagie­ren. Offen­sicht­lich sind wir bereit, das Risi­ko ein­zu­ge­hen, das der Main­stream »unse­rer« Sicher­heits­exper­ten, Poli­ti­ker und Medi­en bagatellisieren.

Auch »Tau­rus« kann nicht die mili­tär­stra­te­gi­sche Lage ändern, so dass Russ­land in die Defen­si­ve gerät. Der Marsch­flug­kör­per, kei­ne Rake­te, wird in der Regel von einem Flug­zeug abge­hängt. Ihn zeich­nen drei Fähig­kei­ten aus: Er fliegt über 500 Kilo­me­ter, das System ist äußerst lei­stungs­fä­hig, bun­ker­bre­chend über meh­re­re Beton-Eta­gen, er ist prak­tisch nicht bekämpf­bar, mit drei Navi­ga­ti­ons­sy­ste­men aus­ge­stat­tet, er kann vom geg­ne­ri­schen Radar nicht erfasst wer­den und fliegt mit hoher Geschwin­dig­keit in gerin­ger Höhe reli­ef­an­ge­passt. Ein wich­ti­ger Aspekt. Man kann dafür nicht jedes Flug­zeug nut­zen, z. B. nicht die ukrai­nisch-rus­si­schen; ein auf­wän­di­ger Anpas­sungs­pro­zess über Mona­te wäre erfor­der­lich, um das System zu beherr­schen, und es stellt hohe Anfor­de­run­gen an die Pro­gram­mie­rung. Die könn­te man auch in Deutsch­land durch­füh­ren, müss­te dann aber mit jeder neu­en Pro­gram­mie­rung ein­zeln in die Ukrai­ne flie­gen. Dann wäre Deutsch­land an Pla­nung und Vor­be­rei­tung des Kriegs betei­ligt, es wür­de den direk­ten Kriegs­ein­tritt bedeu­ten. Kujat ver­weist auf das AWACS-Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts. Im deut­schen Rechts­sy­stem, im Völ­ker­recht und in der Ver­fas­sung gäbe es dafür kla­re Grenzen.

Wir sei­en nicht in der Lage, den Ein­satz des Systems zu kon­trol­lie­ren – einen Ver­trag mit der Ukrai­ne zu schlie­ßen, über Ein­satz­or­te, wie man­che glaub­haft machen wol­len, bedeu­tet nicht etwa Kon­trol­le; zumal eini­ge Vor­fäl­le bekannt sind, die Ver­trags­treue bezwei­feln las­sen (auch der Nord-Stream-Vor­fall). Ob es ein Kriegs­ein­tritt wäre, kön­ne nur das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt fest­stel­len. Die Reak­ti­on Russ­lands hän­ge davon aller­dings nicht ab. Für den Gene­ral ist die alles ent­schei­den­de Fra­ge, ob wir an den Punkt kom­men, wo Ver­nunft sich durch­setzt. Der Ein­satz von Tau­rus wäre eine Eska­la­ti­on, denn es ist unsin­nig und aus­ge­schlos­sen, dass sich durch die­se Waf­fe die mili­tä­risch-stra­te­gi­sche Lage zugun­sten der Ukrai­ne ändert. Die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve ist: Wie kom­men wir zu einem Waf­fen­still­stand? Was Kie­se­wet­ters und ande­re for­dern, so Kujat, sei »unpa­trio­tisch«, eine »Miss­ach­tung des Rechts unse­res Vol­kes auf Über­le­ben, Sicher­heit, auf Wohl­stand, auf Frie­den«. Hin­zu kommt: Die zuneh­mend kon­fron­ta­ti­ve Hal­tung ist straf­recht­lich rele­vant. Damit soll­te man sich genau­er auseinandersetzen.