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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Endlich in einer Beziehung

Heu­te kreist die Wahr­heits­droh­ne über Schwe­den, dem jüng­sten Nato-Mit­glieds­land. Alles ist anders, zwei­hun­dert­zehn Jah­re Neu­tra­li­tät sind been­det, dem­nächst viel­leicht zwei­hun­dert­zehn Jah­re Frieden. 

Auf jeden Fall die Pres­se­frei­heit. Ein neu­es Gesetz stellt alles unter Stra­fe, was als Unter­stüt­zung des Ter­ro­ris­mus gel­ten kann. Bei der Defi­ni­ti­on hilft der neue Part­ner Tür­kei. Im Gegen­zug erhält er schwe­di­sche Waf­fen nebst Unter­stüt­zung bei der »Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung«. Dafür gibts die Nato-Mit­glied­schaft für Schwe­den, wofür die Tür­kei wie­der­um US-Kampf­flug­zeu­ge bekommt, dem­nächst als Dau­er­gä­ste im nord­sy­ri­schen Luft­raum erwar­tet, den die USA offi­zi­ell über­wa­chen. Am Boden zieht Schwe­den dort die Unter­stüt­zung zurück, die es zivi­len Kräf­ten erst vor knapp zwei Jah­ren zuge­si­chert hatte.

Schwe­disch-tür­ki­scher Honey­moon, da ist ein Blick auf den neu­en Part­ner erlaubt. Seit drei Mona­ten fliegt er eine Offen­si­ve nach der ande­ren auf das Gebiet der Demo­kra­ti­schen Kräf­te Syri­ens, kur­disch Roja­va. Im Novem­ber zer­stör­ten tür­ki­sche Droh­nen das Gas­ver­tei­lungs­zen­trum Siwê­di­yê, das einer Regi­on mit einer Mil­li­on Ein­woh­nern Strom lie­fer­te. Im Janu­ar brach­te ein wei­te­rer Droh­nen­an­griff die Strom­ver­sor­gung in neun Städ­ten und zwei­tau­send­zwei­hun­dert­zwei­und­drei­ßig Dör­fern weit­ge­hend zum Erlie­gen. »Mit­ten im kal­ten Win­ter«, heißt es im Kir­chen­lied. Schu­len, Kran­ken­häu­ser, die Treib­stoff- und Grund­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung wur­den ange­grif­fen, etwa eine Müh­le, die täg­lich ein­tau­send Ton­nen Mehl pro­du­ziert hat­te. Anfang Febru­ar beschos­sen tür­ki­sche Droh­nen Zivil­schutz­ein­hei­ten in Qamiş­lo, eben damit befasst, neu ent­ste­hen­de IS-Struk­tu­ren in dem mit 55.000 Insas­sen größ­ten Inter­nie­rungs­la­ger für ehe­ma­li­ge IS-Kämp­fer und ihre Fami­li­en aus­zu­he­ben. Tage spä­ter wur­de ein Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum für Kriegs­ver­sehr­te in Nord- und Ost­sy­ri­en bom­bar­diert. Dort star­ben Men­schen, die im Kampf gegen den IS ver­wun­det wor­den waren und sich auf einen Wech­sel in zivi­le Beru­fe vor­be­rei­te­ten. Die stän­di­gen Luft­an­grif­fe, spe­zi­ell die auf Bewa­cher von IS-Gefan­ge­nen, kön­nen dazu füh­ren, dass Letz­te­re sich mas­sen­haft befrei­en, ist vor Ort zu hören. Es wäre Absicht. Die Tür­kei ist de fac­to ver­bün­det mit dem Sata­ni­schen Staat, wie die Kopf­ab­schnei­der zutref­fen­der hei­ßen soll­ten. Sie wird dabei gedeckt von einem Bünd­nis, das Erdo­gans Defi­ni­tio­nen kri­tik­los über­nimmt. Nato-Gene­ral­se­kre­tär Stol­ten­berg 2017: »Beden­ken Sie bit­te, dass kein ande­res Nato-Land so stark von Ter­ro­ri­sten ange­grif­fen (sic) wur­de wie die Türkei.«

Glück­wunsch, Schwe­den, dein Neu­er ist ja rich­tig sym­pa­thisch! Und passt so gut zu dir. Wie, du bist libe­ral und er nicht? Mal lang­sam. Er grün­det bald eine »Demo­kra­ti­sche Alli­anz für Viel­falt und Auf­bruch« (DAVA) bei dir wie in Deutsch­land. Die räumt mit der »Gen­der-Ideo­lo­gie« auf und ist offen für alle Mus­li­me, freu dich drauf. Dei­ne Schwe­den­de­mo­kra­ten sind Natio­na­li­sten, er auch. Dei­ne Kött­bullar hei­ßen Köf­te bei ihm und schmecken sogar. Dein Stahl fin­det Ver­wen­dung in sei­nem Wahr­zei­chen, dem Döner­spieß. Er trinkt gern Schnaps, aber heim­lich, genau wie du mit dei­nem ver­klemm­ten Alko­hol­ge­setz. Por­no­gra­phie ver­kaufst du da bes­ser als zu Hau­se, bei all den Vor­hän­gen, Umhän­gen, Vor­hän­ge­schlös­sern an den Frau­en der Not­be­helf für die Macho­männ­chen. Was in den tau­send Zim­mern des Prä­si­den­ten­pa­lasts abgeht, willst du gar nicht wis­sen. Der Prä­si­dent weiß es selbst nicht mehr. Und komm, reli­gi­ös warst du auch immer, sek­ten­reich und ver­schwur­belt, wenn man dei­nen Dich­tern von August Strind­berg bis Per Olov Enquist glau­ben darf. Lies Orhan Pamuk und du siehst in hun­dert Spie­geln dein reli­gi­ös-sen­ti­men­ta­les, vor Selbst­lie­be auf­ge­platz­tes Frömm­ler­ge­sicht. Nein nein, mit Islam oder Chri­sten­tum hat das nichts zu tun. Das ist ein­fach nur unangenehm.

Und wenn du noch immer zwei­felst – er hat Droh­nen! Dein neu­er Freund ist der größ­te Droh­nen­pro­du­zent und -ver­käu­fer welt­weit. Seit 2021 haben fünf­zehn Län­der Bay­rakt­ar-TB2-Droh­nen bei ihm gekauft. Ein wei­te­res Dut­zend Län­der hat bestellt und war­tet. Die mei­sten Kun­den set­zen die Waf­fe inner­halb der eige­nen Gren­zen ein, gegen ihre Bevöl­ke­rung. Greif zu, viel­leicht kriegst auch du mal Ärger mit den Schwed:innen, zum Bei­spiel wenn sie mer­ken, was dei­ne Auf­rü­stung kostet. Du fragst nach einem Bei­spiel für den intra­na­tio­na­len Ein­satz von Bay­rakt­ar-Droh­nen? Ich gebe dir eins: die Ukrai­ne. Am 26. Okto­ber 2021, vier Mona­te vor dem gern »unpro­vo­ziert« genann­ten völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg Russ­lands, setz­te die Ukrai­ne erst­mals eine Bay­rakt­ar TB2 gegen Stel­lun­gen im abtrün­ni­gen Don­bass ein. Honi soit qui mal y pen­se? Ich den­ke: Dein neu­er Nato-Freund weiß genau, was er tut. Vom wenig spä­ter aus­ge­bro­che­nen Ukrai­ne­krieg pro­fi­tiert er drei­fach: als »Ver­mitt­ler«, als Waf­fen­händ­ler, vor allem aber mit sei­nem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg gegen Nord­sy­ri­en, für den die (ab)gelenkte Öffent­lich­keit gera­de kei­ne Zeit und kein Inter­es­se hat.

Frie­de den nord­sy­ri­schen Hüt­ten! Frie­de auch dem Prä­si­den­ten­pa­last – wenn er nur zu der tür­kisch-kur­di­schen Aus­söh­nungs­po­li­tik zurück­keh­ren woll­te, die bis Juli 2015 erfolg­reich von Erdo­gan gete­stet wurde.