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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kalte und warme Blitze

Die Gefahr »kal­ter« und »war­mer« Blitz­schlä­ge hat der Autor wohl selbst befürch­tet, wenn er apho­ri­stisch im ersten Teil sei­nes Buches dekre­tiert: »Dalie­gen, erschla­gen vom eige­nen Gei­stes­blitz«. Aber die­se Feu­ers­not droht dem Apho­ri­sti­ker, wes­we­gen wohl in jeder Samm­lung »kal­te« und »hei­ße« Gedan­ken­blit­ze ver­sam­melt sind. Es hält sich hart­näckig der Aber­glau­be, dass war­me Blit­ze Brän­de ver­ur­sa­chen kön­nen, kal­te hin­ge­gen nicht. Dabei sind alle Blit­ze heiß. Nun, das mag auch für die im ersten Teil »Gedan­ken­spä­ne & Wort­fin­dun­gen« ver­sam­mel­ten Apho­ris­men zutref­fen, doch ist ihre Zünd­kraft (der Autor spricht in einer ambi­tio­nier­ten Vor­be­mer­kung gar von »Spreng­kraft«) nicht durch­ge­hend gleich stark. Vie­le, ja die mei­sten frap­pie­ren, über­rum­peln, machen in ihrer Geschlif­fen­heit sprach­los: »Tumor ist, wenn man trotz­dem lacht«. Bei ande­ren hin­ge­gen schmecken die Zuta­ten des Rezepts zu deut­lich durch: »Die Ewig­keit dau­ert etwas län­ger als gedacht.«

Anre­gend und unter­grün­dig wit­zig sind die unter »Wort­wech­sel /​ Kurz­dia­lo­ge« ver­sam­mel­ten Tex­te, die man gern zwei­mal liest. Hier wer­den auf ange­neh­me und sprach­spie­le­ri­sche Wei­se die gefürch­te­ten Small­talks ver­ulkt, am besten ist die­ser zwi­schen B und A: »Dar­über könn­te ich ein Buch schrei­ben.« /​ »Dann las­sen Sie es aber nicht drucken.« Und es ist Ulk mit Tief­gang, viel­leicht an DADA geschult: »Was bleibt?«, fragt A. Ant­wort von B: »Was blubbt!«

Par­odie­lieb­ha­ber kön­nen in der Abtei­lung »Lose Stro­phen« fün­dig wer­den. Wer in der Lyrik bewan­dert ist, wird hier Spaß und Anre­gung fin­den, auch die des Wie­der­le­sens der »Ori­gi­na­le«. Beson­ders im »Reim­spaß« der Hom­mage an Chri­sti­an Mor­gen­stern ging es mir so.

Die alte Regel, dass das Beste bis zum Schluss auf­ge­ho­ben wer­den soll, sie wur­de hier befolgt. Denn das Buch wird beschlos­sen von den »High­way Lyrics« der Lina Gall. Man muss dazu wis­sen, dass Oskar Ansull die Lyri­ke­rin Lina Gall samt Vita erfand, gal­li­na ist das spa­ni­sche Wort für Huhn. Die­se Erfin­dung hat einen ern­sten Hin­ter­grund, denn, so teilt der Erfin­der der Frau Lina Huhn, mit: »Ich brauch­te eine Autorin im Land­kreis Cel­le, die sich zu der geplan­ten Hüh­ner­ma­ssen­ver­nich­tungs­fa­brik in Wiet­ze bei Cel­le geäu­ßert haben könn­te, denn es gab lei­der kei­ne mir bekann­ten poe­ti­schen Reak­tio­nen auf die­se Anla­ge, wenn auch einen gro­ßen, doch erfolg­lo­sen Pro­test dage­gen.« In die­sem Teil des Buches erwar­ten den Leser scharf poin­tier­te Tex­te, lyri­sche Gebil­de, die ein­grei­fen, wach­rüt­teln, die dem »Ver­brau­cher« – viel­leicht im Super­markt – auch sei­ne Gedan­ken­lo­sig­keit vor­füh­ren, eine Gedan­ken­lo­sig­keit, die ange­sichts der zuneh­men­den Bru­ta­li­sie­rung der Welt, nicht nur im Bereich der »Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on« immer mehr sprach­li­che Ver­hül­lung braucht: »cel­ler land frisch­ge­flü­gel /​ hi küken & fri­ends /​ es klingt doch ganz lieb /​ geflü­gel­ver­ar­bei­tungs­be­trieb /​ geflü­gel­mas­sen­schlacht­hof /​ hin­ge­gen klingt doof«. Man kann also noch Gedich­ten begeg­nen, wel­che die Gegen­wart beim Schop­fe packen, die aus dem schöp­fen, was vor der Haus­tür pas­siert und doch die Welt spie­geln, wie etwa: »’s ist krieg oder auto­mo­bil­ma­chung«, wo das aus­ge­führt wird, was wohl jeden Auto­bahn­be­nut­zer schon ein­mal gedank­lich beschli­chen hat: Hier toben krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen, denn es schie­ßen »600ps geschos­se« vor­bei, und es gibt ein »lei­chen­sam­meln an leit­plan­ken«. Das Gedicht schließt: »kommt gut heim«. Den Zynis­mus, den man braucht, um Wahr­hei­ten zu trans­por­tie­ren: Ansull beherrscht ihn oft mei­ster­lich. Und wenn auch hier Anspie­lun­gen und »Anzi­ta­te« vor­kom­men, wel­che die Bele­sen­heit des Autors unter Beweis stel­len: In die­sem Teil des Buches ist jeder Blitz ein hei­ßer, ein zün­den­der. Die­ser Zünd­stoff kann in sei­ner Bis­sig­keit viel­leicht träg gewor­de­ne Her­zen schnel­ler schla­gen machen. Das gan­ze Buch, obwohl es mit »Gedan­ken­spä­nen« spielt, etwas »Neben­sætz­li­ches« behaup­tet, zeigt, dass unse­re Spra­che und dar­aus erzeug­te Lyrik leben­dig sind und machen.

Oskar Ansull, Neben­sætz­li­ches. Gedan­ken­spä­ne & Wort­fin­dun­gen, Wehr­hahn Ver­lag, Han­no­ver 2022, 208 S., 20 €.