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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine Frage der Berufsehre?

»Berufs­eh­re« hat viel mit dem jewei­li­gen Beruf zu tun. Ein Biblio­the­kar hat ver­mut­lich über­schau­ba­re Kon­tak­te, ein Bau­lei­ter muss mit sehr vie­len (und unter­schied­li­chen) Men­schen-Typen aus­kom­men (bit­te ab hier so ver­ste­hen: Ich mei­ne dies neu­tral für alle Geschlechts-Vari­an­ten). Ein Ver­käu­fer muss etwas anprei­sen, des­sen Qua­li­tä­ten her­aus­stel­len und dafür den maxi­mal mög­li­chen Preis erzie­len; ein Käu­fer muss die Ware prü­fen, deren mög­li­che Män­gel erken­nen und den nied­rig­sten Preis anstre­ben. Zumin­dest haben bei­de mit rea­len Waren zu tun und sind letzt­end­lich auch für deren Qua­li­tät und Funk­ti­on ver­ant­wort­lich. Die Fra­ge der Berufs­eh­re (oder des Ver­hal­tens-Ethos) kann also durch­aus ver­schie­den sein. Ist jemand län­ge­re Zeit in einer Tätig­keit invol­viert, prä­gen sich die ent­spre­chen­den Ver­hal­tens­mu­ster her­aus. Ein Histo­ri­ker kon­zen­triert sich eher auf inten­si­ves und – oft ein­sa­mes – Quel­len­stu­di­um; als Leh­rer tritt man täg­lich extro­ver­tiert vor Schü­lern auf; ein Anwalt hat sowohl Stun­den der kon­zen­trier­ten text­li­chen Recher­che als auch der inten­si­ven Argu­men­ta­ti­on z. B. bei Verhandlungen.

So viel zu Ein­zel­bei­spie­len – nicht sta­ti­stisch belegt, jedoch aus der Lebens­er­fah­rung von 70 Jah­ren resü­miert. Und je nach Berufs­bild sind auch ent­spre­chen­de Ver­hal­tens­mu­ster zu beob­ach­ten, z. B. zwi­schen Genau­ig­keit in der Ana­ly­se und elo­quen­ter Aus­drucks­wei­se, zwi­schen stil­ler Ver­bis­sen­heit und domi­nie­ren­dem Ver­hal­ten (so etwa wie »ich ver­kün­de die fina­le Wahrheit«).

Aus der Unzahl mög­li­cher Berufs­fel­der sei noch­mals ein Bereich her­vor­ge­ho­ben, näm­lich jener für die Erstel­lung mate­ri­el­ler Objek­te: Wür­de z. B. ein Tisch­ler einen Schrank ablie­fern, des­sen Ober­flä­che rau ist oder des­sen Schar­nie­re klem­men, wäre es Pfusch. Über­trägt man dies gene­rell auf die pro­du­zie­ren­den Gewer­be, heißt dies: Alle Para­me­ter der geplan­ten Funk­tio­na­li­tät müs­sen erreicht wer­den; ggf. kann eine ein­zi­ge Abwei­chung das Objekt zur Inve­st­rui­ne machen. Damit wird deut­lich, wie kom­plex die Errich­tung z. B. eines Gebäu­des oder eine Indu­strie­an­la­ge ist. Hier­für sind ab Pla­nungs­be­ginn alle appa­ra­ti­ven, ener­ge­ti­schen, IT-rele­van­ten usw. Anfor­de­run­gen »unter einen Hut« zu brin­gen – bis hin zum Brand­schutz, zur Logi­stik usw. In der Rea­li­sie­rungs­pha­se sind die­se Details streng zu über­wa­chen; wür­de ein fal­sches Kabel ver­baut, könn­te dies im kri­ti­schen Fall über­hit­zen und einen Brand aus­lö­sen – irgend­wo in einem Kabel­schacht, rela­tiv spät erkenn­bar und ört­lich schwie­rig zu errei­chen. Der Brand des Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fens 1996 ist auch nur durch eine Unacht­sam­keit ent­stan­den. In die­sem Sinn ste­hen die pro­du­zie­ren­den Gewer­be dafür ein, dass alle »Knack­punk­te« und Feh­ler­quel­len bedacht wer­den und bei Pla­nung und Rea­li­sie­rung eines Objekts nichts »schief­geht« – und kei­ne Fir­ma wür­de einem uner­fah­re­nen Inge­nieur oder Pro­jekt­lei­ter eine der­ar­ti­ge Auf­ga­be übertragen.

Als über­ge­ord­ne­ter Rah­men aller gesell­schaft­li­chen Berei­che fun­giert die Rich­tungs­kom­pe­tenz der jewei­li­gen Regie­rung: Sie gibt die gesetz­li­chen Rege­lun­gen vor, stellt hier­für ggf. auch beträcht­li­che Mit­tel bereit und kon­trol­liert, ob die rea­le Ent­wick­lung wie gewünscht ver­läuft. Dabei geht es – beson­ders wenn neue Rege­lun­gen vor­be­rei­tet wer­den – um die Abschät­zung ihrer Wirk­sam­keit, das Abwä­gen ihrer Fol­gen und die Ana­ly­se mög­li­cher Neben­wir­kun­gen, viel stär­ker, als es bei einer ein­zel­nen Inve­sti­ti­on der Fall ist!

Natür­lich arbei­ten alle Betei­lig­ten der legis­la­ti­ven Gre­mi­en in einem hoch­kom­ple­xen Bezie­hungs­ge­flecht – bei tau­sen­den Sei­ten von Beschluss­vor­la­gen, Refe­ren­ten­ent­wür­fen, Arbeits­grup­pen usw., und das bis zu sie­ben Tage pro Woche. Dies alles lässt sich nicht in einem Arti­kel kom­pri­mie­ren, des­halb soll hier nur der Aspekt der fach­li­chen Tie­fe betrach­tet werden.

  • Die Par­tei­en, die sich zur Wahl stel­len, machen den Wäh­lern Wahl­ver­spre­chen, wer­den aber in kei­ner Wei­se dar­an gemes­sen, die­se ein­zu­lö­sen; schon ein Koali­ti­ons­ver­trag kann sie hin­fäl­lig machen.
  • Die jewei­li­gen Spit­zen­kan­di­da­ten sind meist die Vor­sit­zen­den der Par­tei­en, die im Vor­feld durch einen Par­tei­tag o.ä. gewählt wer­den. Ihre Kom­pe­tenz resul­tiert weni­ger aus ihren Fähig­kei­ten, son­dern aus ihren Wahl­re­den auf einem Parteitag.
  • Die Wahl­ge­win­ner kön­nen bis zur näch­sten Wahl (im Rah­men der Geset­ze) ohne detail­lier­te Kon­trol­le agie­ren, sofern sie Rücken­deckung von ihren Bun­des- bzw. Land­tags-Frak­tio­nen haben. Aber erhiel­ten die Par­tei­en denn nicht genau für ihre Wahl­zie­le das Kreuz auf den Stimmzetteln?

Aus die­sem Grund sol­len zwei wesent­li­che Zusam­men­hän­ge betrach­tet wer­den, die m.E. für eine ehr­li­che und ergeb­nis­ori­en­tier­te Poli­tik uner­läss­lich sind: das Ein­lö­sen von Wahl­zie­len und die Kom­pe­tenz von Regierungsentscheidern.

Die poli­ti­schen Gre­mi­en sind nicht an ihre Wahl­ver­spre­chen gebun­den. Dar­aus resul­tie­ren mit­un­ter (für den »Otto-Nor­mal­ver­brau­cher«) unver­ständ­li­che Vor­gän­ge: Ein SPD-Gran­de äußer­te, dass ein Bewer­ten der Par­tei­po­li­tik an den Wahl­ver­spre­chen irgend­wie unschick­lich wäre; die inter­ne Wahl des vor­letz­ten Füh­rungs­du­os mit dem Slo­gan »Raus aus der Gro­Ko« – nach des­sen Wahl sehr schnell ver­ges­sen! Eine Par­tei hat vor der letz­ten Wahl Unter­stüt­zung für Juli­an Assan­ge ver­spro­chen – und danach kaum etwas für ihn getan. Ein Ver­gleich dazu: In sehr vie­len Beru­fen ist das Ein­hal­ten von Ver­pflich­tun­gen das ober­ste Berufs­ge­bot! Ist bei der­ar­ti­gen »Frei­heits­gra­den« der Poli­ti­ker der Unmut in brei­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten nicht verständlich?

Aktu­ell kann eine Kor­rek­tur des Regie­rungs­han­delns nur erfol­gen, wenn das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt einen Geset­zes­ver­stoß fest­stellt. Jedoch, genau­so drin­gend wäre das Ein­kla­gen der Wahl­zie­le! Ohne dies könn­te (im schlimm­sten Fall) nach einer Wahl eine total kon­trä­re Poli­tik, gegen die Inter­es­sen der Bevöl­ke­rung, aus­ge­löst wer­den. Des­halb als Vor­schlag: eine Bestands­auf­nah­me nach 100 oder 200 Tagen mit der Aus­sicht, die nicht erfüll­ten Wahl­zie­le einzuklagen.

Zur Kom­pe­tenz der Regie­rungs­ent­schei­der: Dies ist hier­zu­lan­de kaum rele­vant. In der EU stellt sich z. B. jedes künf­ti­ge Mit­glied der Kom­mis­si­on dem EU-Par­la­ment, in den USA gibt es eine ähn­li­che Vor­ga­be. Aber in Deutsch­land? Aktu­el­le Bei­spie­le, wie es real läuft: Ist ein Mini­ster haft­bar, wenn er drei­stel­li­ge Mil­lio­nen­be­trä­ge »in den Sand setzt«? Wird Günst­lings­wirt­schaft bestraft – oder der Ver­ur­sa­cher bald­mög­lich auf einen ande­ren Posten geho­ben? Wer­den Fehl­aus­sa­gen von hohen Poli­ti­kern geahn­det, z. B. zur Sicher­heit der Ener­gie­ver­sor­gung? Zumin­dest in der Öffent­lich­keit wird nichts davon bekannt. Dem­nach scheint es irrele­vant, ob hoch­ran­gi­ge Poli­ti­ker fach­li­che Kom­pe­tenz besit­zen – sie sind qua­si »amt­lich geschützt«, agie­ren haupt­säch­lich nach poli­ti­schen Vor­ga­ben und ggf. eige­nem ideo­lo­gi­schem Gusto. Ver­gli­chen mit einem Bau­lei­ter, der sein Pro­jekt exakt nach Kosten- und Ter­min­plä­nen fer­tig­stel­len muss, wo kei­ne Schrau­be feh­len darf, schei­nen die »Frei­heits­gra­de« in der Poli­tik unermesslich.

Aber gera­de in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung kön­nen Hand­lun­gen oft weit­rei­chen­de Fol­gen haben, über Jahr­zehn­te hin­aus – und hier ent­schei­det häu­fig eine par­tei­in­ter­ne Posi­tio­nie­rung über einen Mini­ster­po­sten mehr als die fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on. Eine Mög­lich­keit des »Gegen­steu­erns« bestün­de dar­in, aus den Ana­ly­sen des Bun­des­rech­nungs­ho­fes mone­tä­re Kon­se­quen­zen für die Ver­ant­wort­li­chen nach­weis­ba­rer Fehl­ent­schei­dun­gen abzu­lei­ten – zwar erst im Nach­hin­ein, aber auch als eine Art War­nung für Künf­ti­ges. Denn der Amts­eid (»…zum Woh­le des deut­schen Vol­kes…«) soll­te schon juri­stisch rele­vant sein. Gene­rell ist jeden­falls unver­kenn­bar, dass die Berufs­eh­re im Poli­tik-Betrieb deut­lich ver­schie­den ist von vie­len Berufsgruppen…

Besteht die­se mög­li­cher­wei­se in einer Art »Par­tei­dis­zi­plin«, wie sie in Inter­views oft auf­scheint, wenn jede »Lini­en-Abwei­chung« gebrand­markt und jede noch so kurio­se Aus­sa­ge »von oben« mit hei­ßen Wor­ten als Erfolg dekla­riert wird? Oder in der Fähig­keit, Kom­pro­mis­se mög­lichst »geräusch­los«, ggf. im Hin­ter­zim­mer aus­zu­han­deln? Ein grad­li­ni­ges Han­deln (wie in Bet­ti­na Weg­ners Lied »Kin­der« gefor­dert) scheint mir anders zu sein …