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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Mr. Ice Cream« ist gestorben

Dar­an erin­nern sich Jazz-Freun­de in Hal­le noch immer: am 8. Novem­ber 2011 mach­ten die drei legen­dä­ren B’s der euro­päi­schen Jazz-Sze­ne Chris Bar­ber (Posau­ne), Ken­ny Ball (Trom­pe­te) und Mr. Acker Bilk (Kla­ri­net­te) mit ihren Bands auf ihrer letz­ten gemein­sa­men Tour­nee auch in der Saal­e­stadt Sta­ti­on und gaben ein Kon­zert im aus­ver­kauf­ten Opern­haus. An einem Abend konn­te man fünf­zig Jah­re Jazz und Dixie­land live erle­ben. Mit Ever­greens wie »Ice Cream« und »Peti­te Fleur« von Chris Bar­ber, Acker Bilks Mil­lio­nen­sel­ler »Stran­ger on the Shore« oder dem fan­ta­sti­schen »Mid­night in Mos­cow« von Ken­ny Ball begei­ster­ten die drei Her­ren das Publi­kum. Jede Band mit ihrem eige­nen Stil! In der Pau­se wur­den den drei Musi­kern – vor allem von älte­ren Jazz-Freun­den – die Cover von alten AMI­GA-Lang­spiel­plat­ten mit Auto­gramm­bit­te gereicht. Über Jahr­zehn­te wohl­be­hü­te­te Schät­ze. Das Kon­zert war ein ein­ma­li­ges und nicht wie­der erleb­ba­res High­light, denn Ken­ny Ball (2013) und Acker Bilk (2014) star­ben weni­ge Jah­re spä­ter. Chris Bar­ber dage­gen weil­te noch mehr­fach zu Kon­zer­ten in Deutsch­land, so 2016 anläss­lich sei­nes 62-jäh­ri­gen Bühnenjubiläums.

Nun ist der Jazz-Posau­nist und Big-Band-Lea­der Chris Bar­ber am 2. März im Alter von 90 Jah­ren gestor­ben. Am 17. April 1930 im Städt­chen Wel­wyn Gar­den City nörd­lich von Lon­don gebo­ren, hat­te der jun­ge Bar­ber bereits mit 20 Jah­ren sei­ne erste Ama­teur­band. Das Jura­stu­di­um hat­te er nach eini­gen Seme­stern abge­bro­chen, um sich ganz der Jazz-Musik zu wid­men. 1954 über­nahm Bar­ber die Lei­tung der »Jazz and Blues Band« und wur­de bald ihr Namens­ge­ber. Mit sei­ner Band ver­half er dem Jazz nicht nur in Groß­bri­tan­ni­en, son­dern in ganz Euro­pa zum Durch­bruch. Der viel­sei­ti­ge Musi­ker, der sei­nem ange­lern­ten Musik­in­stru­ment, der Posau­ne, stets treu blieb, wur­de auch zum Lehr­mei­ster man­cher Beat- und Pop-Grö­ße. In den 1960er Jah­ren waren es etwa The Beat­les, The Rol­ling Stones oder Eric Clap­ton, die sich von sei­ner Musik inspi­rie­ren lie­ßen. Paul McCart­ney mach­te ihn sogar indi­rekt für die Beat­les-Grün­dung mit­ver­ant­wort­lich. Bar­ber, der auch von vie­len ame­ri­ka­ni­schen Jazz­grö­ßen geschätzt wur­de, blieb mit sei­nen Band­mit­glie­dern, alle­samt her­vor­ra­gen­de Soli­sten, aber immer dem Dixie­land, dem Blues und spä­ter dann auch dem Skiff­le ver­bun­den. Mit über 70 Jah­ren erwei­ter­te er Ende 2001 sei­ne Trup­pe zur elf­köp­fi­gen Big Chris Bar­ber Band und gab teil­wei­se noch bis zu 100 Kon­zer­te im Jahr. Ruhe­stand war ein Fremd­wort für ihn. Musik war sein Leben, wovon auch über 250 Lang­spiel­plat­ten (ohne Best-Offs) Zeug­nis able­gen. 2014 ver­öf­fent­lich­te er sei­ne Auto­bio­gra­fie »Jazz Me Blues«. Erst ein schwe­rer Sturz 2019 brem­ste den Jazz-Vete­ran aus und zwang ihn vor zwei Jah­ren letzt­end­lich doch zum Aufhören.

In Deutsch­land fand Chris Bar­ber stets ein treu­es Publi­kum; es soll ihm sogar mehr Auf­trit­te ermög­licht haben als in sei­ner bri­ti­schen Hei­mat. Der Band­lea­der lern­te dafür sogar Deutsch. Sei­ne Kon­zer­te waren stets der Garant für swin­gen­de Unter­hal­tung mit unver­fälsch­ter Jazz­tra­di­ti­on. Wir wer­den nicht nur einen exzel­len­ten Jazz-Musi­ker ver­mis­sen, auch einen char­man­ten Enter­tai­ner, der zwi­schen sei­nen Auf­trit­ten gern Anek­do­ten mit dem sprich­wört­li­chen bri­tisch-distan­zier­ten Humor erzählte.