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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Virus germanicus

Wie­der ein­mal kreiß­te der Berg neun Stun­den bis zur Ver­kün­di­gung. Ein Zwerg­mäus­lein ward gebo­ren. Es ist nicht die Zeit, Sati­ren zu schrei­ben. Das Leben selbst tex­tet sie. Stra­pa­zier­te PC-Tasta­tu­ren in mini­ste­ri­el­len Amts­stu­ben von Kiel bis Mün­chen, von Düs­sel­dorf bis Pots­dam und mit­ten­mang Ber­lin samt Kanz­le­rin­nen­amt. Hein­rich Hei­ne wür­de mei­nen: »Ich ken­ne den Text und auch die Her­ren Ver­fas­ser.« Gen­dern war zu sei­ner Zeit nicht angesagt.

Der Bun­des­tag stell­te am 4. März die »Epi­de­mi­sche Lage von natio­na­ler Trag­wei­te« fest. Seit über einem Jahr geht das so. Frei­brief für Regie­rungs­chefin und Landesfürsten*innen, um locker vom Hocker einen Wech­sel­kurs zu steu­ern – im Zick­zack oder vor und zurück oder bei­des zugleich. Hin­ter­her berei­ten die 16 Landesautoritäten*innen den Menü­mix nach ihrer Art auf. Was sie und der Bund aus­bal­do­wert haben, das lohnt meist kaum die Druck­far­be. 500 Mil­lio­nen Gra­tis-Schnell­tests waren avi­siert. Wer hat die Beschaf­fung ver­spro­chen? Nie­mand will’s gewe­sen sein. Aldi & Co. spran­gen flugs in die Bresche.

So lau­ern hin­ter allen deut­schen Ecken »gro­ße Her­aus­for­de­run­gen«, gestei­gert mit äußerst schwie­rig oder sehr kom­pli­ziert. Mal kein Impf­stoff plus lee­re Impf­zen­tren. Mal reich­lich Astra­Ze­ne­ca, kei­ner will es haben. Kurz­ar­beit allent­hal­ben. Boni, Aktio­nä­re und Vor­stands­be­zü­ge blei­ben ver­schont. Erst waren es nur ihrer zwei MdB aus CSU und CDU, dann deren fünf auf der nach oben offe­nen Ska­la der Kor­rup­ti­ons­ver­däch­ti­gen. Der OB von Halle/​Saale und ande­re styl­ten sich zu Ret­tern unver­brauch­ter Impf­do­sen. Neh­men ist eben seli­ger als Geben.

Im Spahn’schen Cha­os-Hot­spot gilt Win­s­ton Chur­chills Devi­se: »Ich glau­be nur der Sta­ti­stik, die ich selbst gefälscht habe.« So zählt abstru­se Zah­len­rech­ne­rei mehr als Kom­pe­tenz aus dem Robert-Koch-Insti­tut, von Ärz­te­kam­mern, Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen und Kran­ken­kas­sen. Der Schluss liegt nahe, dass letzt­lich die Ein­woh­ner­zahl D mit 83,2 Mil­lio­nen Bür­gern zu hoch ist, um Covid-19 und den Muta­tio­nen Paro­li zu bie­ten zu kön­nen. Nicht zu ver­ges­sen sind Gute-Bilanz-Behin­de­rer wie 90+. Erfreu­lich, dass wenig­stens Gor­bat­schow bei den Mos­ko­wi­tern sess­haft blieb, wo mit Sput­nik V immu­ni­siert wird. Mini­ster­prä­si­dent Rei­ner Hasel­off aus Sach­sen-Anhalt hät­te das gern für sich und sei­ne Lands­leu­te. 38 Län­der wie Ägyp­ten, Mexi­ko, Ungarn und die Slo­wa­kei sind welt­weit mit von der Par­tie. Die EU-Obe­ren rat­schla­gen noch, ob sie das rus­si­sche Teu­fels­zeug zulas­sen werden.

Zurück in die Rea­li­tät. Seit Beginn der Pan­de­mie erkrank­ten in der Bun­des­re­pu­blik mehr als zwei­ein­halb Mil­lio­nen Men­schen. Das ist mathe­ma­tisch ein sehr nied­ri­ger Pro­zent­satz, zumal davon über 2,3 Mil­lio­nen wie­der gene­sen sind. Dank des ver­dienst­vol­len Höchst­ein­sat­zes von Ärz­te­schaft und Pfle­ge­kräf­ten. Die Zahl der voll­stän­dig geschütz­ten »Impf­lin­ge« mit und ohne Gen­der­stern­chen bleibt sehr beschei­den: Es bleibt ein lan­ger Weg bis 60 oder gar 70 Pro­zent der Bür­ger geimpft wor­den sind und »Her­den­im­mu­ni­tät« erreicht sein dürfte.

Egal wie hart die Zei­ten sind, die föde­ra­li­sti­sche deut­sche Staats­bü­ro­kra­tie zir­ku­liert in ihrem Teu­fels­kreis der dekre­tier­ten Regu­la­ri­en. Die wah­ren Ursa­chen für die Kala­mi­tä­ten wer­den nicht benannt. Das staat­lich stran­gu­lier­te Gesund­heits­we­sen ist zual­ler­erst zu nen­nen. Kli­ni­ken und Kran­ken­häu­ser en mas­se wur­den pri­va­ti­siert. Die Gesund­heits­äm­ter sind per­so­nell nicht nur am Limit, son­dern weit dar­un­ter. Zudem sind Pati­en­ten­da­ten so top­se­cret, dass kein Gesund­heits­amt sie von Kli­ni­ken, Kran­ken­häu­sern und Kran­ken­kas­sen nut­zen kann, um vor Ort nicht wei­ter im Dun­keln zu tap­pen und Infek­ti­ons­her­de zu ermit­teln. Von einer durch­gän­gi­gen Kon­trol­le ange­ord­ne­ter Qua­ran­tä­ne gar nicht erst zu reden. Auch des­halb sind schon rund 75.000 Todes­fäl­le zu bekla­gen. Das ent­spricht etwa der Ein­woh­ner­zahl von Bocholt, Aschaf­fen­burg oder Bran­den­burg an der Havel. Seit 30 Jah­ren Gesund­heit auf Spar­flam­me und als pro­fit­gei­les Geschäfts­mo­dell. Auch, weil der Gegen­pol DDR mit sei­ner Sozi­al­po­li­tik 1990 eli­mi­niert wor­den war. Schwe­ster Agnes sie­delt nur noch im Filmmuseum.

Von Amts­we­gen vor­sorg­lich total qua­ran­tä­ni­siert, lebt der Bun­des­bür­ger frei­heits­be­schränkt super. Das Lesen und Recher­chie­ren der Epi­steln für Auf­ent­halt im Frei­en, Besuch und Schu­le, das arbeit­ge­ber­freund­li­che Home­of­fice plus ner­vi­ges Home­schoo­ling beschränkt Coro­na-wid­ri­ges Ver­hal­ten. Im Nah­ver­kehrs-armen, wolfs­be­sie­del­ten länd­li­chen Raum läuft eh nix. Schlimm trifft es bei den behörd­li­chen Regu­la­ri­en nur Lehrer*innen. Woher soll­ten aus­ge­rech­net sie wis­sen, wann und wie Schu­len zu öff­nen sind, wie Wech­sel­un­ter­richt zu betrei­ben wäre, Kin­der aller Jahr­gän­ge »beschult« wer­den kön­nen und die Klas­sen­räu­me zu belüf­ten sind. Phy­sik-, Mathe-, Deutsch-, Bio- und Che­mie­bes­ser­wis­ser bedür­fen alle unbe­dingt nach­drück­li­cher mini­ste­ri­el­ler Lebensnachhilfe.

Als Neue­stes wur­de die sel­ten gewor­de­ne Spe­zi­es Haus­ärz­tin und Haus­arzt ent­deckt. Sie ken­ne risi­ko­be­haf­te­te Patienten*innen wohl am besten. Von Betriebs­ärz­ten war neben­bei die Rede. Ein bun­des­ho­heit­lich gnä­digst erteil­tes Pla­cet steht an. Dann dür­fen sie zur Sprit­ze grei­fen und den heil­sa­men Piecks set­zen. Zur­zeit arbei­ten sie sozu­sa­gen auf Pro­be in Impf­zen­tren. Eine gro­ße Anzahl kom­pe­ten­ter Wis­sens­trä­ger wie Amts- und Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gun­gen sowie Kran­ken­kas­sen blieb viel­fach gänz­lich ver­bor­gen. Eine Stu­die soll sich in der Pla­nungs­pha­se befin­den. Das Pro­ce­de­re kann 20 Jah­re dau­ern. Solan­ge näm­lich, wie der Ober­bür­ger­mei­ster von Pots­dam vor lau­fen­den Kame­ras die Bau­zeit einer drit­ten Havel­brücke in sei­ner Stadt mit allem büro­kra­ti­schen Drum und Dran pro­gno­sti­zier­te. Hof­fent­lich wird bei die­ser Zeit­pro­gno­se eine ver­nünf­ti­ge Medi­zin gegen das Virus ger­ma­ni­cus foe­de­ra­tus gra­pheo­cra­ti­cus gefun­den (frei über­setzt: Virus deut­scher ver­bün­de­ter Büro­kra­tie). Es lässt jede gefähr­li­che Covid-19-Muta­ti­on bri­ti­scher, süd­afri­ka­ni­scher oder ande­rer Gene­sis Licht­jah­re weit hin­ter sich.

Das erfuhr der Ostp­ri­g­nit­zer Land­rat Ralf Rein­hardt. Er star­te­te ein­fach gut orga­ni­siert mit den Kom­mu­nen und fach­lich ver­sier­ten Ver­bün­de­ten das Modell Impf­bus. Das Pro­jekt wur­de aller­dings vom Pots­da­mer Gesund­heits­mi­ni­ste­ri­um – vor­nehm umschrie­ben – »nicht gera­de mit Zustim­mung über­häuft«. Der Amts­se­gen der Beden­ken­trä­ger kam erst hin­ter­her. Soll­te wie­der ein­mal eine »Ver­wal­tungs­re­form« anste­hen, so wäre für ähn­lich täti­ge Gesundheitsminister*innen*ien der kw-Ver­merk ange­bracht. Ersatz­wei­se könn­ten sich in PPP (Public Pri­va­te Part­ner­ship) Ross­mann, Lidl, REWE & Co. geschäfts­füh­rend bewer­ben. Der deut­sche Föde­ra­lis­mus liegt auf der Inten­siv­the­ra­pie­sta­tio­nen, krank an Haupt und Glie­dern. Bit­te, Staats­recht­ler drin­gendst ans Krankenbett!