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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mut und Menschlichkeit

Der Recht­hi­sto­ri­ker Chri­stoph Schmin­ck-Gustavus hat ein lesens­wer­tes Buch geschrie­ben. Das umfang­rei­che Werk legt zunächst dar, wie das natio­nal­so­zia­li­sti­sche Regime durch Ras­sen­ge­set­ze, Über­wa­chung des zivi­len Lebens, Ver­fol­gung von Wider­stands­bil­dun­gen sei­ne Macht­struk­tu­ren ver­fe­stig­te. In die­sem all­ge­mei­nen Rah­men gewin­nen die ein­zel­nen Cha­rak­te­re des Wider­stands ein bewe­gen­des Pro­fil: Hel­muth J. Graf von Molt­ke, Hans von Dohn­anyi und Diet­rich Bon­hoef­fer offen­ba­ren auch nach dem geschei­ter­ten Atten­tat auf Hit­ler (Juli 1944) in den NS-Gefäng­nis­sen ihren Mut, und ihre Ver­ant­wor­tung für ihre Mit­strei­ter und ihre Fami­li­en in per­sön­li­chen Brie­fen, die auf gehei­men Wegen als »Kas­si­ber« an ihre Ange­hö­ri­gen gelang­ten. Auch den Fol­ter­me­tho­den, mit denen die Nazis Geständ­nis­se erpres­sen woll­ten, hiel­ten sie stand.

Es ist einer der Vor­zü­ge die­ses an Vor­zü­gen rei­chen Werks, dass es den deut­schen Wider­stand nicht punk­tu­ell auf den 20. Juli 1944 ver­kürzt, son­dern sei­ne Ent­ste­hung kon­tra­stiv zum NS-Ter­ror­re­gime auf­zeigt – und damit Aus­kunft gibt über das in zwei extre­me Lager seit Jah­ren gespal­te­ne Deut­sche Reich: den Ter­ro­ri­sten, Ver­bre­chern und Mör­dern einer­seits und den ethi­schen Par­tei­gän­gern des Wider­stands ande­rer­seits. Gegen­sät­ze die­ser Art baut das Buch nicht künst­lich auf, son­dern sie erge­ben sich wie von selbst aus dem Gang der Gescheh­nis­se und fes­seln den Leser emo­tio­nal und men­tal zugleich.

Schmin­ck-Gustavus zeigt ein­dring­lich, dass auf Sei­ten des Wider­stands auch ein Netz von Hel­fern und Oppo­nen­ten aus­ge­spannt war und dass bewun­derns­wert muti­ge Men­schen, Geist­li­che, Ärz­te und ein­fa­che Wach­män­ner, hohe Risi­ken ein­ge­gan­gen sind. Hier wur­de eine Ethik vor­ge­lebt, die sich ermu­ti­gend von der Duck­mäu­ser­mo­ral zahl­lo­ser Mit­läu­fer der Nazis abhob und ein Zei­chen setz­te gegen Gewalt und Kor­rup­ti­on im NS-Staat.

Der Autor – er lehr­te als Rechts­hi­sto­ri­ker an der Uni­ver­si­tät Bre­men – fragt sich, wie in der deut­schen Geschich­te die­se schnei­den­de Pola­ri­tät von Unmensch­lich­keit sei­tens der NS-Par­tei­gän­ger und der wider­stands­kräf­ti­gen Mensch­lich­keit ihrer Geg­ner ent­ste­hen konn­te. Er zeigt, dass die Ver­tre­ter des Ter­ror-Regimes durch Unter­wer­fungs­be­reit­schaft einer­seits und durch Kar­rie­ris­mus ande­rer­seits ange­trie­ben wur­den, wäh­rend die Wider­stands­kämp­fer durch ihre tat­kräf­ti­ge Ethik und ihren kon­se­quen­ten Huma­nis­mus ein fried­li­ches Euro­pa her­bei­zu­füh­ren such­ten. Die Grün­de für die Hal­tung der radi­ka­len Ver­tre­ter des NS-Systems las­sen sich aus ihren Kurz­bio­gra­fien erschlie­ßen. Der Autor zeigt dar­über hin­aus, dass die ver­häng­nis­vol­le Unter­wer­fungs­be­reit­schaft der Nazi-Anhän­ger einer in der deut­schen Geschich­te fest ver­wur­zel­ten anti­de­mo­kra­ti­schen Tra­di­ti­on entsprach.

Im letz­ten Teil sei­ner Unter­su­chung ent­hüllt der Autor, gestützt auf Münch­ner Schwur­ge­richts­ak­ten, klar­sich­tig das Ver­sa­gen der deut­schen Justiz nach dem Krieg. Eini­ge ehe­ma­li­ge Nazi-Scher­gen, die wäh­rend der letz­ten Kriegs­jah­re die Todes­ur­tei­le gegen Wider­stands­kämp­fer wie Hans von Dohn­anyi und Diet­rich Bon­hoef­fer ver­hängt oder sie in die Wege gelei­tet hat­ten, wur­den nicht etwa kor­rekt zur Rechen­schaft gezo­gen und ihres Unrechts über­führt, sie konn­ten sich viel­mehr auf ihren angeb­li­chen »Befehls­not­stand« beru­fen. Die Tat­sa­che, dass eini­ge der damals ver­häng­nis­voll agie­ren­den Rich­ter nach Kriegs­en­de ihr Amt wei­ter­hin aus­üben durf­ten, beweist das Ver­sa­gen der »Ent­na­zi­fi­zie­rung« in beson­ders dra­sti­scher Wei­se. Schmin­ck-Gustavus legt die in der Nach­kriegs-Justiz herr­schen­de Geschichts­blind­heit offen, die eine ver­meint­li­che »Gehor­sams­pflicht« hin­sicht­lich der Geset­ze eines Ter­ror-Regimes postu­lier­te und die­se höher wer­te­te als die auf einen Frie­den aus­ge­rich­te­te Ethik der Wider­stands­kämp­fer. Es zeigt sich, dass die vom Autor gelei­ste­te Durch­for­stung von bis­lang über­se­he­nen Akten­kon­vo­lu­ten eine prä­zi­se­re Kri­tik der Recht­spre­chung als bis­her ermöglicht.

Chri­stoph Schmin­ck-Gustavus’ Buch brei­tet ein Pan­ora­ma histo­ri­scher Ana­ly­sen, gründ­li­cher Akten­stu­di­en, Brief­zeug­nis­sen und auf­klä­ren­der Urtei­le aus. Zum hohen wis­sen­schaft­li­chen Niveau des Werks gesellt sich ergän­zend sei­ne Eigen­schaft als Lese­buch. Die heim­lich geführ­te Kor­re­spon­denz zwi­schen Hans von Dohn­anyi und sei­ner Frau Chri­sti­ne erzählt von der unbe­irr­ba­ren Lie­be des Paars inmit­ten einer Welt von Gewalt, die Nach­zeich­nung der geplan­ten (jedoch letzt­lich geschei­ter­ten) Ret­tungs­ak­ti­on für Hans von Dohn­anyi durch den Arzt Dr. Tiet­ze vibriert vor Span­nung, das Wag­nis eines Gei­gen­spiels in den Gefäng­nis­mau­ern zum Trost der Inhaf­tier­ten, das die Gefäng­nis­wär­ter erlaubt hat­ten, wird auch künf­ti­ge Leser erschüttern.

Diet­rich Bon­hoef­fers Mut, dem Tod kla­ren Bewusst­seins stand­zu­hal­ten, führt uns mensch­li­che See­len­kraft bei­spiel­haft vor Augen. Wir wer­den Zeu­ge einer von den Wider­stands­kämp­fern ent­fal­te­ten Mensch­lich­keit und ihren Gefähr­dun­gen. So ent­hält die­ses histo­risch-juri­sti­sche und poli­ti­sche Werk zugleich bewe­gen­de See­len­dra­men und span­nungs­rei­che Gesche­hens­ab­läu­fe. In die­ser Ver­bin­dung dürf­te es auch für jün­ge­re Gene­ra­tio­nen eine anzie­hungs­kräf­ti­ge Lek­tü­re dar­stel­len.

Chri­stoph Schmin­ck-Gustavus: Der Tod auf stei­lem Ber­ge. Die »Stand­ge­richts­pro­zes­se« gegen Diet­rich Bon­hoef­fer und Hans von Dohn­anyi und die Frei­spre­chung ihrer Mör­der. Bre­men: Donat 2020.